Es gibt kein deutsches Wort, dass diesem Gefühl völliger Hilflosigkeit gerecht würde. Deshalb hat sich das englische „Stalker“ eingebürgert. Der Begriff bezieht sich ursprünglich auf einen Jäger, der sich an seine Beute heranpirscht. „Stalker“-Krimis wählen die Opferperspektive. Eine Geschichte über dieses Phänömens steht und fällt daher mit der Kunst, eine Atmosphäre allgegenwärtiger Bedrohung herzustellen. Optisch ist das nicht schwer: Eine Wohnung ist auch tagsüber verdunkelt, um sich den Blicken zu entziehen; bestimmte Details, etwa ein Stapel mit Pizzakartons, deuten darauf hin, dass sich hier jemand einigelt. Zwischenschnitte weisen dem Zuschauer die Position des Täters zu, weil sie das Opfer mit dessen subjektiver Sichtweise betrachten. Es liegt im Wesen des Krimis, dass dieser Täter anonym bleibt.
Um so wichtiger ist das Opfer. René Heisig entschied sich für Annett Renneberg, und das war eine ausgezeichnete Wahl. Renneberg, bekannt geworden als selbstbewusste Signorina Elettra aus den „Commissario Brunetti“-Verfilmungen, hat eigentlich erst in dem weit unter Wert gehandelten Kinofilm „Devot“ zeigen können, was sie drauf hat. Sie spielt die Rolle der Versicherungsangestellten, die sich Tag und Nacht beobachtet fühlt, mit genau der richtigen Mischung aus Fatalismus und Verzweiflung. Analog zum Psychothriller ist die Gefahr ausgerechnet dann am größten, als sich Rike Hoffmann endlich in Sicherheit wähnt. Doch wenn nicht einmal die Wohnung der Hauptkommissarin ihr Schutz gewährt, dann ist sie nirgendwo sicher; und genau daraus speist sich die Macht des „Stalkers“.
Die Polizei ist ohnehin keine große Hilfe. Deshalb ist Rikes Fall bei Lena Odenthal in den besten Händen. Die Ludwigshafener Ermittlerin kommt ins Spiel, als ein Event-Manager nach der Betriebsfeier einer Versicherung tot aufgefunden wird. Die letzte, die ihn lebend gesehen hat, war Rike Hoffmann. Der Reihe nach klappern Odenthal und Mario Kopper die diversen Verdächtigen ab, bis ihnen klar wird: Hier geht es um mehr als bloß um Mord. Der Manager hat seinen Konkurs verschleppt, seiner verliebten Assistentin übel mitgespielt und außerdem einen eifersüchtigen Bruder; aber all das sind bloß die üblichen Ablenkungsmanöver… Abgesehen von der humorvollen Einführung des Ermittler-Duos inszeniert Heisig diesen SWR-Krimi todernst. Ludwigshafen zeigt er von seiner unwirtlichsten Seite; selbst scheinbar innige Freundschaften tragen Spuren von Verrat. Und weil Heisig mit vergleichsweise wenig Aufwand ein spannender Krimi gelungen ist, kann man zwei kleine Einwände getrost vernachlässigen: Odenthal gerät jedes Mal ins Dozieren, wenn sie über das Phänomen der „Stalker“ spricht; und der Täter muss mitunter ziemlich übertrieben vor sich hinkeuchen.