Leichenschmaus für den langjährigen Leiter einer Gehörlosenschule. Währenddessen stirbt in einem Zimmer ein Stockwerk über der Gaststätte eine Frau beim feurig-leidenschaftlichen Liebesspiel mit ihrem verheirateten Lover (Martin Geuer). Der lässt mit Hilfe eines Freundes die Leiche beseitigen. Beim Telefonat im Auto fühlt er sich dabei unbeobachtet, doch Ben (Benjamin Piwko), gehörloser Gast der Beerdigungsfeier, liest den Telefondialog von den Lippen ab und versucht wenig später, den Täter um 10.000 Euro zu erpressen. Die Polizei findet derweilen die an der Saar angespülte Leiche, entdeckt die Spur zu dem Hotelzimmer und Kommissar Jens Stellbrink (Devid Striesow) samt Team befragt die Teilnehmer des Leichenschmauses um die Witwe Hilde Reichert (Lena Stolze). Doch es scheint keine Verbindung zu dem Opfer zu geben. Kurz darauf wird eine schwerhörige junge Frau ermordet aufgefunden und so bekommen die beiden Fällen doch einen Zusammenhang.
Foto: SR / Manuela Meyer
Peter Probst, preisgekrönter Autor („Die Hebamme“) und kürzlich auch für das Drehbuch zu „Luis Trenker – Ein schmaler Grat der Wahrheit“ verantwortlich, schickt in seinem sechsten „Tatort“ Kommissar Stellbrink in die Welt der Gehörlosen. Kein leichtes, aber ein durchaus innovatives Thema in der ARD-Krimireihe. Das birgt zwar auch die Gefahr, zu bemüht erklärend und political correct zu werden. Doch das vermeidet Probst durchaus geschickt. Auch bei den Dialogen ist vieles anders als üblich. Denn im „Tatort – Totenstille“ wird – dem Thema geschuldet – weit mehr mit den Händen geredet als sonst in TV-Krimis. So mussten Textpassagen überarbeitet und geändert werden, weil sie nicht 1:1 in Gebärdensprache umgesetzt werden konnten. Auch für Regisseur Zoltan Spirandelli, der den letztjährigen SR-“Tatort – Weihnachtsgeld“ mit Stellbrink inszeniert hat, eine echte Herausforderung. Zum einen wird die Gebärdensprache nicht untertitelt oder anderweitig übersetzt. SR-Redakteur Christian Bauer sagt dazu: „Wir wollten einen Film über die Kommunikation der zwei Welten drehen. Wenn ein hörender Tatort-Zuseher den Inhalt der Unterhaltung genau wissen will, muss er sich eben die die Untertitel über den Videotext dazu schalten“. Klar, dass alles, was dramaturgisch wichtig ist, auch von anderen Figuren noch ausgesprochen wird. Doch selbst Kommissar Stellbrink lernt im Krimi die Gebärdensprache, um sich bei den Ermittlungen besser in die Welt der Gehörlosen versetzen zu können. Zum anderen ging man bei der Besetzung neue Wege. Wenn sich hörende Filmemacher in der Welt der Gehörlosen bewegen, übernehmen meist Hörende die Rollen Gehörloser. Nicht so bei diesem Tatort: Die gehörlosen Rollen werden von gehörlosen Darstellern gespielt: von Benjamin Piwko, Kassandra Wedel und Jessica Jaksa. Das schafft Authentizität, ist aber ein Wagnis, das Spirandelli gern eingegangen ist: „Es war bereichernd für mich mit solch sehr begabten Laien zu arbeiten“.
Mit „echten“ Gehörlosen zu drehen, dafür hat sich auch Julia Probst eingesetzt, Diese, weder verwandt noch verschwägert mit Peter Probst, hat als Fachberaterin an dem Krimi mitgearbeitet. Die gehörlose Lippenleserin und Bloggerin (twitterte bei der WM 2014, was sie von der DFB-Kickern und des Bundes-Jogi ablesen konnte) öffnete dem hörenden Team die Tür in die Gehörlosenwelt und ermöglicht so Bilder und Szenen, die mehr als die bekannten Vorstellungen des Lebens Betroffener bieten.
Foto: SR / Manuela Meyer
Nach schwachem Einstieg und leichter Steigerung ist der fünfte Saar-“Tatort“ immer noch nicht der erhoffte Befreiungsschlag für Devid Striesow als Kommissar Stellbrink. Man hat zwar sichtbar am Team gearbeitet, doch man hat sich nicht für harte Einschnitte entschieden. Leider! So ist zwar Staatsanwältin Dubois (Sandra Steinbach) sowohl von den Spielanteilen als auch vom Spiel selbst her deutlich zurückgenommen, wurde der Part von Kollegin Marx (Elisabeth Brück) reduziert und der von Spurensicherer Jordan (Hartmut Volle) ausgebaut. Doch diese Figuren funktionieren nicht als Team, es gibt keine Bindung, eher hölzerne Interaktionen oder erwartbare typische Ermittlungsszenen, und keine (glaubwürdigen) Reibereien. Stellbrinks Frotzeleien muss eine Neue über sich ergehen lassen („er ist nur ihr Einweisungsbeamter, nicht der liebe Gott“), die Polizistin Mia Emmrich (Sandra Maren Schneider). Warum nur wirkt das alles so leblos – liegt es am Buch, an der Regie? Wohl eher an der vorgegebenen Figurenkonstellation. Stellbrink selbst ist zwar härter geworden. Und kantiger. Doch manches ist dabei nicht so recht nachvollziehbar. Warum er gerade gegenüber der jungen Polizistin im Team so kühl und auch machohaft agiert, erklärt sich nicht.
Für Striesow ist es der fünfte Einsatz als Saarbrücken-Kommissar. Dass er ein glänzender Schauspieler ist, hat er oft genug bewiesen und zeigt es auch hier, aber er wird mit dieser Figur – so wie sie für ihn konzipiert wurde – sichtbar nicht warm. Dieser Stellbrink ist ein Einzelgänger. Das wurde schon in der ersten Folge deutlich und wurde auch so eingeführt. Warum lässt man ihn dann nicht alleine ermitteln – ganz ohne Kollegin, ohne Staatsanwältin, ohne Spurensicherer? Das sind Figuren, die nahezu jeder Krimi zu bieten hat, die funktional einsetzbar sind und in erster Linie als Dialogpartner dienen. Weg damit, Stellbrink sollte als einsamer Jäger mit seiner Vespa Verbrechern nachstellen, in Abgründe blicken, mit sich selbst hadern, kämpfen, leben. Das wäre sein Alleinstellungsmerkmal in der „Tatort“-Reihe und das gäbe mehr Spielmöglichkeiten für den starken Mimen. So jedenfalls kommt er nicht voran.
Ja, dieser Krimi bietet etwas Besonderes, er gibt eindrucksvolle Einblicke in das Leben gehörloser Menschen. Und ja, dieser Krimi verwebt das Thema geschickt mit einer phasenweise spannenden Handlung, die durchaus manche Straffung vertragen hätte. Doch zum „düsteren Familiendrama“, wie es Regisseur Spirandelli sieht, fehlt den Figuren die Tiefe, dem Fall und dem Kommissar die Sogwirkung, da dominiert zu sehr das Thema Gehörlosigkeit. Die Welten hörender und nicht oder kaum hörender Menschen zusammenzuführen, das gelingt Spirandelli. Gerade noch wird gesprochen, dann nur noch die Lippen bewegt. Das ist gewöhnungsbedürftig, aber gut. Nur zu Beginn ist man versucht auf der Fernbedienung zu prüfen, ob man nicht versehentlich die Stummtaste gedrückt hat.