„Schussfahrt“ von Wolfgang Staudte erlebte seine TV-Premiere im Juni 1980 und somit gut zwei Jahre nach „Rechnung mit einer Unbekannten“, ebenfalls ein „Tatort“ aus Essen. Die Drehbücher stammten jeweils von Peter Hemmer, der sich hier wie dort am perfekten Mord versucht. Der Titel des ersten Films würde auch zum zweiten passen, zumal es sich bei der vermeintlich Unbekannten in beiden Fällen um die Ehefrau des Mörders handelt.
Der Krimi beginnt mit idyllischen Sonnenbildern eine verliebten Pärchens, das vom Segeltörn zurückkehrt. Ein Kameraschwenk endet schließlich bei einem Mann, der nachdenklich auf einer Parkbank sitzt: Kurt Wiedemann (Heinz Baumann) weiß offenkundig, dass seine deutlich jüngere Frau Karin (Doris Kunstmann) ein Verhältnis mit dem jungen Christian (Volkert Kraeft) hat. Kurz darauf genügt Staudte eine einzige Szene, um zu verdeutlichen, wie sehr sich das Ehepaar auseinandergelebt hat. Dass Karin ihren Mann nicht längst verlassen hat, liegt an der schweren Zeit, die er seit seiner Entlassung als Geschäftsführer durchmacht. Als Kurt einen Vorstellungstermin in Frankfurt hat, täuscht er an einer Tankstelle auf nicht mal halber Strecke einen Schaden am Auto vor und kehrt wieder um. Er weiß, dass Karin Besuch von Christian hat, fingiert einen Einbruch, erschießt den Nebenbuhler und versichert der Polizei, es habe noch einen zweiten Mann gegeben, der mit der Beute auf und davon sei. Auf diese Weise ist Kurt nicht nur den Nebenbuhler los, er kassiert auch noch Geld von der Versicherung; die Wertsachen aus dem Safe hat er zuvor im Keller versteckt. Selbst Karin glaubt die Geschichte und ist erschüttert, dass ihr Christian offenbar einen Komplizen hatte, der in aller Ruhe den Tresor ausgeräumt hat, während sich das Liebespaar ein Stockwerk höher vergnügt hat. Der Polizei verschweigt sie, dass sie den Toten kannte. Bloß Haferkamp (Hansjörg Felmy) findet es verdächtig, dass Wiedemann auf jede Frage eine Antwort weiß; auch dies eine Parallele zum früheren Film. Der mutmaßliche Mittäter, Herbert Rull (Burkhard Driest), ist ein enger Freund Christians. Zur Tatzeit hat er sich allerdings durch diverse Kneipen gesoffen und den Rest der Nacht mit einer Frau verbracht. Da er außerdem weiß, dass der angeblich ahnungslose Gatte sehr wohl über Karins Verhältnis informiert war, will er Wiedemann erpressen, aber der findet auch für dieses Problem eine perfekte Lösung.
Soundtrack: Sweet Smoke („Just A Poke“), Eloy („Poseidon’s Creation“), Frank Mills (“The Poet And I”), Klaus Doldinger’s Passport (“Ataraxia Pt. 1”)
Selbst ohne die kaum übersehbaren Parallelen zu „Rechung mit einer Unbekannten“ wäre „Schussfahrt“ kein Film, der aus der Liste der zwanzig Haferkamp-Krimis herausragt, auch wenn es faszinierend ist, wie der von Heinz Baumann überlegt und ungerührt verkörperte sowie mit einem Schuss Arroganz versehene Mörder seinen Kopf immer wieder aus der Schlinge zieht; vermutlich ist es gerade die unbewusst wahrgenommene Überzeugung des Täters, cleverer zu sein als die Polizei, durch die sich Haferkamp in seiner Ehre gekränkt fühlt. Staudtes Umsetzung wirkt aus heutiger Sicht jedoch allzu bedächtig. 1980 allerdings war der Film schon allein wegen der Besetzung reizvoll: Doris Kunstmann war dank sinnlichen Attraktivität und einer Racke-rauchzart-Stimme unter anderem mit den kommerziell sehr erfolgreichen Johannes-Mario-Simmel- Verfilmungen Filmen „Und Jimmy ging zum Regenbogen“ (1971) sowie „Alle Menschen werden Brüder“ (1973) zum Star geworden; und der frühere Bankräuber Burkhard Driest, durch „Die Verrohung des Franz Blum“ (1974) bekannt und mit einem Talkshowflirt mit Romy Schneider („Sie gefallen mir. Sie gefallen mir sogar sehr.“) berühmt geworden, war mit seiner Ungeschliffenheit ohnehin die perfekte Besetzung für zwielichtige Raubeine aller Art. Die physische Präsenz, mit der Kunstmann und Driest ihre Figuren im Wortsinne verkörpern, bildet einen reizvollen Kontrast zu dem intellektuellen Duell, das sich Baumann und Felmy in ihren Rollen liefern, was wiederum zur Folge hat, dass die Krimispannung ebenfalls eher abstrakter Natur ist.
Interessant ist auch die akustische Ebene. Staudte hat auf Filmmusik im üblichen Sinn verzichtet und bedient sich ausschließlich bei bereits fertigen Kompositionen, die in Deutschland entstanden sind. Die Band Sweet Smoke, deren „Just A Poke“ die Anfangsidylle untermalt, besteht zwar aus Amerikanern, doch ihre Alben hat sie hierzulande aufgenommen. Als Leitmotiv für die Schurkereien von Wiedemann dient ein markantes Stück aus „Ocean“, dem erfolgreichsten Album der Artrock-Band Eloy, und als Haferkamp dem Mörder mit einem Bluff hereinlegen will, sorgt Klaus Doldinger mit seiner Band Passport für Spannung.