Ein Toter ist nicht an der Tagesordnung auf dem Revier in Konstanz. Als während des Sommerfestes der Polizei ein Kind tot aufgefunden wird, ist die Ordnung gehörig gestört in der sonst so verschlafenen Bodensee-Region. Der Südwestrundfunk entlässt den “Tatort” aus dem urbanen Schmelztiegel und geht in eine Gegend, aus der bislang selten Filme gekommen sind. Doch des Ungewöhnlichen nicht genug – die Darstellerin der neuen Kommissarin ist eine gestandene deutsche Theaterschauspielerinnen: Eva Mattes. Mit “Schlaraffenland” hat sie einen starken Einstand, nicht zuletzt, weil Nina Grosse genau die richtige Regisseurin ist für jene sinnliche Metaphorik, die die Geschichte von Autor Stefan Dähnert auszeichnet.
Ein toter Junge unter einem Apfelbaum. Dazu der wohl phänomenalste Sonnenaufgang, den es je in einem Fernsehkrimi gegeben hat. Ein stimmiger Beginn für einen Film, der auch in der Folgezeit immer wieder versucht, das Grässliche mit dem Poetischen kurzzuschließen. Gegensätzliches verbindet sich auch in der Heldin: Klara Blum ist zum einen eine Frau, die fest mit beiden Beinen auf dem schwäbischen Boden, die sogar im grün-blauen See wehrhaft ihre Frau steht; zum anderen ist sie ein Mensch der Intuition, der Psychologie, eine Frau, die lieber nicht den ganzen Polizeiapparat auffährt. Über die Verhältnismäßigeit der Mittel gerät sie gelegentlich mit ihrem Gatten und Vorgesetzten in kleine Auseinandersetzungen. Fehler macht aber auch sie. Einer kostet ihr beinahe das Leben. “Das Schöne an ihr ist gerade, dass sie nicht vollkommen ist und dass sie auch nicht mit ihrer Unvollkommenheit kokettiert”, betont Eva Mattes. “Sie ist nicht schick und eher unpassend angezogen. Sie ist eine ungewöhnliche Kommissarin.” Welche Hauptkommissarin lässt sich schon von einem kleinen Polizeibeamten – die Hände auf dem strammen Hinterteil seiner Vorgesetzten – einen Hügel hochschieben!?
Dennoch: Eva Mattes wirkt in “Schlaraffenland” wie die Urmutter, die alles Männliche überstrahlt, ja überlebt. Sogar gegen einen Giftmischer nimmt sie es auf. Mattes sieht ihre Figur weit weniger mythologisch, nicht einmal geschlechterarchetypisch. “Klara Blum sieht nicht alles als reines Frauen-Männer-Problem.” Durchsetzen könne sie sich, weil sie ein durch und durch natürlicher, unkomplizierter Typ sei. “Es läge ihr auch fern, sich als Spezialistin für bestimmte Ermittlungen oder für die besondere Einfühlung zu sehen und damit eine Klischeevorstellung zu erfüllen.” Festschreibung auf bestimmte Normen, das mag Eva Mattes nicht. Sie will sich überraschen lassen von einem Charakter, auch in einem Reihen-Format wie dem “Tatort”. Für sie ist die Rolle der Kommissarin ein Sprung ins kalte Wasser. Sie gibt zu, bis vor kurzem keinen einzigen “Tatort” gesehen zu haben. (Text-Stand: 28.4.2002)