Tatort – Scheinwelten

Behrendt, Bär, Jeanette Hain. Wenn Kamera, Schnitt und Schauspieler erzählen...

Foto: WDR / Uwe Stratmann
Foto Rainer Tittelbach

Einen etwas anderen Look, eine moderne Bilsprache, aber auch ein Spiel mit ungewohnten Perspektiven zeichnet Andreas Herzogs „Scheinwelten“, den 56. Köln-„Tatort“ aus. Das beginnt beim Buch von Johannes Rotter: der sonst eher blasse Staatsanwalt gerät in einen Gewissenkonflikt und existenzbedrohend in die Bredouille. Seine extravagante Frau ist in einen Mordfall verstrickt. Jeanette Hain spielt diesen boshaft arroganten Charakter mit ihrem typischen Hang zur Entrücktheit. Auch die B- & C-Plots haben wie die meisten Nebenfiguren ihren Reiz: es sind Illegale, Zocker, Gestrauchelte, die um jeden Preis überleben wollen…

Der Sohn des Multimillionärs Jakob Broich wird in seiner Villa tot aufgefunden – erstochen. Offenbar war es kein Raubmord. Am Tatort gibt es wenig brauchbare Spuren. In der Reinigungsfirma Broich stoßen Ballauf und Schenk auf illegale Putzhilfen und bald sieht es so aus, als ob der Tote sich mit Vermittlungen von Scheinehen ein lukratives Zubrot verdient hat. Jener Ingo Broich lebte auf großem Fuß und war drauf und dran, das vom Vater Erwirtschaftete zu verzocken. „Nimm dir so viel du willst – Hauptsache, er bekommt keinen Cent“, kritzelte der schwer kranke Senior auf die Unterlagen für eine Stiftung, die seinen Nachlass verwalten soll. Sein Sohn war für ihn gestorben. Aufblüht der alte Mann nur noch, wenn seine Nachbarin und Beraterin, die Rechtsanwältin Beate von Prinz, in seiner Nähe ist. Ihre Dienste wurden als Geschenke deklariert – in Höhe einer halben Million Euro. Diese Frau, glatt wie ein Fisch, macht es den Kommissaren nicht leicht – aber auch der Staatsanwalt ist alarmiert. Sein Name: Wolfgang von Prinz; er ist der Ehemann der coolen Anwältin.

Tatort – ScheinweltenFoto: WDR / Uwe Stratmann
Trauer über den Tod seines Sohnes kann der kranke, schwerreiche Saubermann Broich (Hans-Peter Hallwachs) nicht empfinden. Dietmar Bär & Klaus J. Behrendt

Dieser „Tatort“ beginnt mit einer Sequenz, die nach Bildern einer Pokerrunde wie in einem Spieler-Film in ein modernes Video übergeht, das für den Tierschutzbund gemacht worden sein könnte. Zu sehen ist das Leiden zweier Katzen, die von seinem Besitzer vernachlässigt werden. Der Krimizuschauer ahnt bereits den Grund für fehlendes Wasser und Fresschen im Napf. Eine der beiden Katzen wird noch eine Bedeutung für die Handlung bekommen – von daher ist der lange, clippige Vorspann mehr als l’art pour l’art. Der Beginn korrespondiert in seiner Stimmungslage mit dem Ende des Films. Über beiden Passagen liegt ein Song der Gruppe Schmidt, ein simpler Coldplay-Verschnitt, in Kombination mit dem Erzählten, der stimmungsvollen Montage mit wirkungsvollen Einstellungen aber, ergeben sich daraus zwei ästhetisch scheinbar kühle, aber zugleich emotional sehr eindringliche Szenen. Die Handschrift ist nicht zu verleugnen. Andreas Herzog startete als Cutter für Werbespots, bevor er TV-Movies wie „Die Frau am Checkpoint Charlie“ schnitt; seit 2003 arbeitet er als Regisseur.

Einen etwas anderen Look, aber auch ein Spiel mit ungewohnten Perspektiven zeichnet „Scheinwelten“ aus. Das beginnt bereits beim Drehbuch von Johannes Rotter, das dem Zuschauer eine ganz neue Seite des blaublütigen Staatsanwalts präsentiert, der sonst allenfalls die typische Rolle des Antreibers oder Bedenkenträgers zu übernehmen hatte. Das Spiel der Akteure wird nicht nur häufig in ein besonderes Licht getaucht, mal ist es raumfüllend und natürlich, mal düster, mal schwarz wie die Zukunft der Ehe des Staatsanwalts. Vor allem sind es die Räume, die die Beziehungen der Figuren untereinander erhellen. Da schmiegt sich die Anwältin an den Mann im Rollstuhl – Luxus, Weite, Freiheit konnotieren diese Bilder. Im Haus des Staatsanwalts tut sich zwischen ihm und seiner schöneren Hälfte enorm viel Raum auf. Und dann auf einmal wird Beate von Prinz in die Enge getrieben: in den Verhörraum, in die Zelle der Untersuchungshaft. „Scheinwelten“ besitzt auch interessante Protagonisten, Illegale, Zocker, Gestrauchelte, die um jeden Preis überleben wollen, „sie verfolgen unterschiedliche Irrwege, um sich selbst von ihrer Einsamkeit abzulenken“, betont Regisseur Andreas Herzog.

Tatort – ScheinweltenFoto: WDR / Uwe Stratmann
Weite, Freiheit, Ausbruch – und doch eine Scheinwelt für einen dem Tod Geweihten. Krankenzimmer mit Ausblick & schöner Frau. Jeanette Hain, Hans-Peter Hallwachs

Regisseur Andreas Herzog über seinen „Tatort“:
„Mein Kameramann Ralf Noack und sich haben immer versucht, die Ästhetik und die Bildsprache inhaltlichen Aspekten folgen zu lassen. Die Cadrage gibt den Figuren die Freiheit, sich zu bewegen, Haltungen durch ihre Position zueinander zu spielen und auch ihre Körpersprache einzusetzen. Sie wirken oft entrückt, verloren oder können den Raum, in dem sie sich befinden, nicht ausfüllen.“

Und da ist Jeanette Hain, der es wieder einmal gelingt, mit einem rätselhaft entrückten bis arrogant boshaften Charakter einem Film ihren Stempel aufzudrücken und mit der Aura der kalten Lebefrau von Welt, einer Frau, die ihren Preis hat, zu bezaubern. Ein Blick von ihr (sie darf auch ein paar ätzend spitze Dialoge sprechen) sagt mehr als Aufsager-Sätze wie „Mitgefühl gehört ja offensichtlich nicht zu Ihren Stärken“ (Ballauf) oder „Mich gibt es nicht in Deutschland; ich bin unsichtbar“ (eine illegale Ukrainerin). Ein anderer Satz: „Eine illegale Fachkraft hat in Deutschland nur drei Möglichkeiten: Putzen, Puff oder einen deutschen Mann heiraten.“ Das klingt nach Botschaft, ist aber auch für die Geschichte bedeutsam… Hans Peter Hallwachs ist großartig als Schlaganfallpatient mit Sprechproblemen; die Besetzung anderer Nebenrollen mit eher unbekannten Gesichtern ist stimmig und tut der „Authentizität“ gut. Nicht nur Anfang und Schluss, der ganze Film ist für Kölner „Tatort“-Verhältnisse stark stilisiert. Das muss man wohl mögen, um den Film gut zu finden. Was die Krimihandlung angeht, nur so viel (um die Spannung nicht zu nehmen): die Verzahnung des Dramas zweier Ehepartner, die wie Fremde nebeneinander her leben, mit dem Krimi-Plot ist nicht so überzeugend gelungen wie das meiste Andere in diesem „Tatort“. (Text-Stand: 7.12.2012)

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Reihe

WDR

Mit Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Jeanette Hain, Christian Tasche, Hans-Peter Hallwachs, Torsten Peter Schnick, Juta Vanaga, Jens Kipper, Konstantin Lindhorst, Joana Adu-Gyamfi

Kamera: Ralf Noack

Szenenbild: Naomi Schenk

Schnitt: Gerald Slovak

Soundtrack: Schmidt („Heart Shaped Gun“), Faithless („Insomnia“), Jackson &  McCartney („Ebony & Ivory“), Black Eyed Peas („I gotta Feeling“)

Produktionsfirma: Colonia Media

Drehbuch: Johannes Rotter

Regie: Andreas Herzog

Quote: 8.86 Mio. Zuschauer (23,7% MA)

EA: 01.01.2012 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
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Kontoinhaber: Rainer Tittelbach