Ein weiblicher Torso in einem Abwasserkanal, Foltervideos im Netz, ein akribisch vorbereiteter Mord vor laufender Kamera – Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) sind sichtlich angefasst von diesem Fall, der allen die Sprache verschlägt. Über den Kollegen Eisner aus Wien (Harald Krassnitzer in einer Gastrolle) und eine Suchtberaterin kommen die Kommissare dem möglichen Täter auf die Spur. Es könnte ein junger Mann sein, der sich eine Zeitlang am Quälen und Töten von Tieren ausprobiert hat und nun offenbar zum bestialischen Morden von Menschen übergegangen ist. „Ein typisches Muster“, wie jene Lisa Berger (Aenne Schwarz) weiß. Sie und eine Gruppe von Tierschützern hat diesen netzaktiven Mann, der sich den amerikanischen Serienmörder Jeffrey Dahmer zum Vorbild genommen hat, durch die monatelange akribische Analyse seiner Videos und Posts aufgespürt. Doch die Wiener Polizei kam zu spät. Jetzt treibt der Unbekannte in München sein Unwesen. Immer wieder stockt den Ermittlern der Atem, wenn neue Gewaltvideos viral gehen. Möglicherweise ist sogar ein Trittbrettfahrer unterwegs. Besonders Hammermann (Ferdinand Hofer) kann sich bei diesem Recherche-intensiven Fall hervortun; allerdings begibt er sich dabei in größte Gefahr – und emanzipiert sich so zugleich vom netten Kalli.
Foto: BR / Linda Gschwentner
Der Torso der toten Frau ist in einem Koffer aufbewahrt. Eine Innenansicht bleibt dem Zuschauer erspart. Auch bei den Foltervideos wird immer nur so viel gezeigt, dass man sich eine Vorstellung machen kann, aber nie zu viel, damit sich eine verstörende Wirkung auf Jugendliche und Kinder möglichst ausschließen lässt. Außerdem sind diese Sequenzen umsichtig geschnitten oder sie werden wie in einer Szene mit der Informantin Lisa Berger von Erklärungen begleitet, die deutlich entlastend wirken. Es war eine gute Entscheidung, schon in einem frühen Stadium der Entwicklung den Schulterschluss mit dem Jugendschutz gesucht zu haben. Die Gratwanderung – gerade im Abbildmedium Film – zwischen Gewalt-Voyeurismus auf der einen und einer vagen und damit verharmlosenden Darstellung der realen Brutalität auf der anderen Seite ist die größte Herausforderung eines Films wie „Schau mich an“, besonders als Beitrag einer so populären Krimi-Reihe wie „Tatort“. Christoph Stark, Autor und Regisseur in Personalunion, ist verantwortungsvoll mit dem „Problem“ umgegangen, ja, er ist sich des Widerspruchs bewusst, dass auch er, der das Phänomen kritisiert, „ein Teil dieser Maschinerie“ ist, indem er die Gewalt im Netz, die auf viele Menschen eine Faszination ausübt, in seinem Film ansatzweise zeigt.
Dramaturgisch ein kluger Schachzug ist es, Kalli, den freundlichen jungen Mann von neben, zum potenziellen nächsten Opfer zu machen. So wird die Identifikation mit diesem sympathischen Jungkommissar spannungstechnisch genutzt. Vor allem aber gerät so die Gewaltbereitschaft des Täters nicht mehr vermittelt per Video, sondern unmittelbar in den Fokus, ohne als Zuschauer befürchten zu müssen, Augenzeuge eines Mordes zu werden; außerdem ergibt sich so auch die Möglichkeit, mehr über die Motive für die schrecklichen Taten zu erfahren. Einige biographische Daten fanden bereits kurz, beiläufig und wertneutral Erwähnung. Auch dies ist ja ein Kritikpunkt an den Filmen über Serienkiller: Sie werden zwar als Monster dargestellt, werden aber in Serien wie „Dahmer“ oder „German Crime Story – Gefesselt“ zu Hauptfiguren und damit durch die Dramaturgie ein Stück weit zu „Helden“ gemacht. Dieser Gefahr erliegt ein Ermittler-Krimi wie „Schau mich an“ nicht. Und mehr noch: Dieser „Tatort“ moralisiert auch nicht in die andere Richtung. Ernste Mienen ja, aber keine ständigen Betroffenheitsstatements, wie man sie früher im „Tatort“ München oder Köln gern an den Tag legte. Auch entscheidet sich Stark für eine sachliche, unspektakuläre Inszenierung, die den Menschen – egal, ob Ermittler, Informant oder Täter – folgt, auch in ihre Milieus, die nicht zur Ästhetisierung taugen. Dafür setzt der Autor-Regisseur im Schlussdrittel auf Hochspannung. Es geht raus aus München; auch der Schauplatzwechsel tut gut.
Foto: BR / Linda Gschwentner
Und so ist dieser „Tatort“ am Ende mehr als der gediegene Themenfilm mit gelegentlichen kleinen Schockmomenten, wie in den ersten Filmminuten zu befürchten war. Spätestens ab jener Szene, in der Kalli und Lisa Berger, die sich über ihre Selbstbehauptungsprobleme näherkommen, die Gegen-Seite der Gewalt-Kommunikation ansprechen, die des Betrachters, gewinnt die Geschichte eine andere Dimension. „Es ist etwas Voyeuristisches. Der umgekehrte Blick durchs Schlüsselloch. Jemand schaut auf dich, wenn du etwas Unvorstellbares, ganz Unbegreifliches tust. Das ist ja ein sehr intimer, verletzlicher Moment für den Täter, aber auch für den, der zusieht.“ In dieser Szene springt die Kamera immer wieder in eine beobachtende, totale Ansicht, so als wolle uns das Bild auf unseren eigenen Voyeurismus hinweisen. Nach 45 Filmminuten wird der Täter offen geführt. Wenig später hält die Geschichte eine Riesen-Überraschung parat, die einem erst mal Rätsel aufgibt, sich dann aber als genau das erweist, was die Suchtberaterin angedeutet hat. Gewalt zieht eine hochkomplexe Kommunikation nach sich. Es gibt nicht nur Täter und Opfer, sondern auch die, die sich von dem perversen Treiben, ja, sogar von einem Massenmörder, angezogen fühlen. Das gesellschaftliche Phänomen wird in „Schau mich an“ heruntergebrochen auf eine private Ebene. Im konkreten Fall des Films mag das psychologisch nicht absolut stimmig erscheinen, es erweitert allerdings klug die Perspektive des Themas und sorgt für die bereits erwähnte Hochspannung.