Tatort – Pleitegeier

Manfred Krug, Brauer, Kabel, Landuris & Horst Frank. Mörderraten in den 1980ern

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Foto Rainer Tittelbach

Eine Hamburger Halbweltgröße begleicht nur ungern seine Rechnungen, hat Insolvenz angemeldet, lebt dennoch in Saus und Braus – bis dieser Konkursaktobat tot im Pool treibt. „Pleitegeier“, der neunte Stoever-„Tatort“ und der sechste mit seinem Kollegen Brockmöller,   ist ein typischer 80er-Jahre-Fernsehkrimi. Alles ist ein bisschen dick aufgetragen – die Blicke und Gesten der Schauspieler, das Szenenbild zwischen Muff und Dekadenz, der Score zwischen Muzak und Billigrock. Dafür lässt man sich die Ironie von Stoever/Krug gern gefallen und für Nostalgieeffekte sorgen Heidi Kabel, Horst Frank und Jürgen Roland.

Der Häuser- und Diskothekenbesitzer Manfred Kaiser (Horst Frank) begleicht nur ungern seine Rechnungen. Zwar hat er Insolvenz angemeldet, residiert aber in Saus und Braus in seiner Villa, die offiziell seiner Freundin Maria Moll (Eleonore Weisgerber) gehört. Die Gläubiger haben keine Chance gegen diesen Konkursakrobaten, der sich von seinem Leibwächter (Ronald Nitschke) und seinem Anwalt  (Holger Mahlich) alles Unangenehme vom Hals schaffen lässt. Auch der Elektromeister Roland Krause (Hans-Helmut Dickow) wird äußerst arrogant abgewimmelt. Kurz vor dem Offenbarungseid weiß sich der keinen anderen Ausweg und begeht Selbstmord. Damit seine Lebensversicherung an seine Frau (Heidi Kabel) ausgezahlt wird, tarnt er ihn als Unfall. Ihr Sohn Harry (Dieter Landuris) versucht, zumindest einen Teil der Schulden einzutreiben. Der ist zwar ein schmächtiges Bürschchen, kann aber Karate. Das hinterlässt Eindruck; der Anwalt rät, einen Teil der Teilsumme zu bezahlen. Doch dann treibt Manfred Kaiser tot im Pool und unweit von ihm liegt Harry – bewusstlos.

„Pleitegeier“, der neunte Stoever-„Tatort“ und der sechste mit seinem Kollegen Brockmöller, erzählt einen Whodunit, der in das Privatleben eines großspurig lebenden hanseatischen Halbweltunternehmer leuchtet und dessen unmoralischen Lebensstil mit der Rechtschaffenheit der kleinen Leuten kontrastiert. Während die einen vorsätzlich (halb)kriminell sind, werden die anderen in ihrer Not zu unlauteren Mitteln gezwungen. Keine Frage, mit welcher Seite Manfred Krugs Stoever sympathisiert. Allerdings den Selbstmord als Unfall deklarieren – das könne er nicht, erklärt er der Witwe, die von der Hamburger Volksschauspielerin Heidi Kabel („Ohnsorg Theater“) gespielt wird. Der solide inszenierte Film von Krimi-Experte Pete Ariel, der neben acht „Peter-Strohm“-Folgen neun „Tatort-Episoden drehte, ist ein typischer 80er-Jahre-Fernsehkrimi. Alles ist ein bisschen dick aufgetragen – die Blicke und Gesten der Schauspieler, das Szenenbild zwischen Muffigkeit und Dekadenz, der Score, der zwischen Fahrstuhlmusik, Angejazztem und (bei Verfolgungsszenen) Instrumentalrock pendelt.

Tatort – PleitegeierFoto: NDR
Manfred Krug & Charles Brauer schrieben NDR-„Tatort“-Geschichte, aber sicherlich nicht mit „Pleitegeier“ (1988) von Pete Ariel.

Erzählweise und Inszenierung verlängern das, was das Drehbuch von Bruno Hampel, der bereits in den 60er Jahren erfolgreiche Serien schrieb (z.B. 39 Folgen von „Kommissar Freytag“), vorgibt: eine ganze Menge gesellschaftliche Klischees, untermauert mit einer klaren Gut-Böse-Zeichnung, woraus sich eine für heutige Zuschauer äußerst vorhersehbare Dramaturgie und Geschichte ergibt. Die Dialoge, wenn sie nicht aus dem Mund der Kommissare kommen, sind wenig ausgefeilt und sagen einem rasch, wo’s – vermeintlich – langgeht („Den kauf ich mir eines Tages“). Ein bisschen muss man „Pleitegeier“ deshalb durch die nostalgische Brille sehen, will man diese 208. „Tatort“-Episode goutieren können. Das dürfte Zuschauern über 50 Jahren leichter fallen. Denn da ist zum einen Manfred Krug („Liebling Kreuzberg“), dessen gelassenes, beiläufiges und stets leicht ironisches Spiel für die damalige Zeit noch etwas Besonderes war. Der schickt seinen Spurenleser „Brocki“ gern schon mal vor, während er sich lieber auf Intuition und seine graue Zellen verlässt. Und neben Heidi Kabel gibt es ein Wiedersehen mit Edel-Bösewicht Horst Frank und Regisseur Jürgen Roland, der auch gern mal vor der Kamera Halbweltgrößen gab. Und Eleonore Weisgerber bestätigt, dass es in jedem „Tatort“ dieser Phase eine attraktive Frau geben musste.

Dramaturgisch interessant und typisch für die ersten 20 Jahre „Tatort“: So präsent die Ermittler in ihren Szenen auch sein mögen, so stehen sie und ihre Ermittlungsarbeit noch nicht so deutlich im Vordergrund wie in den Krimis ab Mitte der Neunziger, in denen die Personifizierung, beeinflusst von Reihen wie „Bella Block“, „Rosa Roth“ oder „Sperling“, zum Markenzeichen des seriellen TV-Krimis wurde. Das typische Muster damals: dem Zuschauer werden das Milieu und die Protagonisten (inklusive möglicher Tatverdächtiger) zunächst einmal vorgestellt. Der Zuschauer soll sich selbst ein Bild machen. Allerdings bleiben die entscheidenden Situationen ausgespart. Auch später gibt es etliche Szenen ohne die Ermittler. Und so geht der Zuschauer mit einem kleinen Wissensvorsprung gegenüber Stoever und Brockmoeller in das Mörderratespiel – dessen kriminelle Klischee-Konstellation der heutige Fernsehzuschauer allerdings relativ rasch erahnen dürfte. (Text-Stand: 22.7.2015)

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Reihe

NDR

Mit Manfred Krug, Charles Brauer, Dieter Landuris, Heidi Kabel, Eleonore Weisgerber, Holger Mahlich, Horst Frank, Ronald Nitschke, Jürgen Roland, Hans-Helmut Dickow

Kamera: Klaus Eichammer

Schnitt: Karin Baumhöfner

Musik: Franz Bartzsch

Produktionsfirma: Studio Hamburg

Drehbuch: Bruno Hampel

Regie: Pete Ariel

EA: 07.08.1988 20:15 Uhr | ARD

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