Tatort – One Way Ticket

Wachtveitl, Nemec, Rupert Henning. Starke Grundidee & ein etwas aufgeblasener Plot

Foto: BR / Marco Nagel
Foto Rainer Tittelbach

Der Münchner „Tatort – One Way Ticket“ begibt sich ein Stück weit aus der süddeutschen Komfortzone. Der Film erzählt davon, wie die Globalisierung die Kriminalität beflügelt – und das von Deutschland aus! Rentner als Kuriere – das Hauptmotiv des Films von Autor-Regisseur Rupert Henning steht für den Zuschauer bald fest, die Kommissare brauchen da schon länger und am Ende löst sich der internationale Verbrechensfall mit einem eher überflüssigen Stasi-Exkurs quasi wie von selbst. Der fertige Film hält nicht, was das Produktions-Knowhow (Kenia-Dreh), was seine alternative Dramaturgie und was die Geschichte versprechen. Der langjährige Nur-Drehbuchautor Rupert Henning verlässt sich zu sehr auf die Schauspieler und ihren Text. Das macht den Handlungsfluss etwas zäh und den Film nicht nur gelegentlich schwermütig, sondern auch schwerblütig.

Ein Entwicklungshilfeexperte ist vergiftet worden. Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) kommen nur schleppend voran bei diesem Fall. Sie fragen sich, weshalb so viele sogenannte „alte Hasen“, beispielsweise Heiner Hersfeld (Hans-Uwe Bauer), Uschi Drechsl (Ulrike Willenbacher) oder Esther Kubat (Katja Rupé), für eine Hilfsorganisation ehrenamtlich arbeiten und häufig nach Afrika geschickt werden. Sie wissen nicht, dass Martin Endler (Siemen Rühaak), der Romeo des Teams, der von einem neuen Anfang mit der schönen Numa Imani (Cynthia Micas) träumt, gerade in Kenia festgenommen wurde: In seiner Reisetasche befand sich ein doppelter Boden – darunter 300.00 Euro. Jetzt sitzt er im legendären Gefängnis von Nairobi, und sein Leben ist nicht mehr viel wert. Im herbstgrauen München hilft den Kommissaren derweil die Forensik auf die Sprünge: Der Entwicklungshelfer ist mit einem schwer nachweisbaren Gift getötet worden, „Normannenkraut“ genannt, eine toxische Wunderwaffe, mit der jahrelang auch die Stasi operiert hat. Sind da vielleicht noch ein paar Versprengte der alten Seilschaften im Devisenhandel und internationalen Drogenschmuggel aktiv? Und welche Rolle spielen der ominöse alte Mann im Rollstuhl (Hark Bohm) und seine rechte Hand (Monika Lennartz)?

Tatort – One Way TicketFoto: BR / Marco Nagel
In „One Way Ticket“ geht die Traumreise einmal in die andere Richtung. Nicht Deutschland ist das Sehnsuchtsland – für Martin Endler (Siemen Rühaak) ist es Kenia. Mit der schönen Numa (Cynthia Micas) will er seine zweite Chance nutzen

Der Münchner „Tatort – One Way Ticket“ begibt sich ein Stück weit aus der süddeutschen Komfortzone. Der Film erzählt davon, wie die Globalisierung die Kriminalität beflügelt – und das von Deutschland aus! Rentner als Kuriere – das Hauptmotiv des Films von Autor-Regisseur Rupert Henning („Tatort – Grenzfall“ / „Tatort – Schock“) steht für den Zuschauer bald fest. Die Kommissare brauchen länger. Dennoch bleiben sie anfangs die einzigen Konstanten in dieser ungewöhnlichen Krimi-Konstruktion, die sich fast eine Filmhälfte lang zwischen den Münchner Ermittlungen, dem Knast in Kenia und den sich seltsam verhaltenden älteren Menschen hin und her bewegt. Erst nach 40 Minuten setzt sich bei den Kommissaren die Erkenntnis durch, dass einige dämonische Überreste der DDR-Vergangenheit wohl noch lebendig sind. Doch wie kommt man weiter in so einem Fall? Ein möglicher Kronzeuge sitzt in Kenia, die so harmlos wirkenden, reifen Vielflieger halten dicht („Haltet euch an das, was wir verabredet haben“) und die Fährte vom HVA-Mabuse haben Batic und Leitmayr noch nicht aufgenommen. Da bleibt zunächst ein bisschen Zeit, um das Augenmerk auf die Ermittler und ihren Umgang miteinander zu lenken: Kalli (Ferdinand Hofer) entwickelt sich zum übereifrigen „Gschaftler“, der nicht immer den angemessenen Ton findet, Ritschy Semmler alias Stefan Betz sorgt mit seiner eigenwilligen Rhetorik für ein paar launige Einlagen und die Hauptkommissare necken sich in alter Frische. Letzteres muss man nach 81 Filmen nicht unbedingt haben, aber da der Fall in der Mitte etwas durchhängt – warum nicht?

Zunächst also kommt von Batic und Leitmayr lange Zeit wenig, dann auf einmal packen die beiden aus, nachdem sie die älteren Herrschaften aufs Präsidium bestellt und dort systematisch weichgekocht haben. Sie fassen die (Vor-)Geschichte nicht nur für den Zuschauer zusammen, sondern konfrontieren mit ihren heftigen Vorwürfen auch die vorgeladene Rentner-Gang, um im Anschluss deren speziellen Handlungsmotive und moralischen Standpunkte anzudiskutieren – leider dem intellektuellen Niveau der Protagonisten entsprechend. Jetzt ist zwar der letzte Zuschauer im Bilde, aber so richtig kommen trotz erster Eingeständnisse die Ermittlungen dennoch nicht weiter. Am Ende löst sich der Fall dann quasi wie von selbst, sodass den Kommissaren nur eine Statistenrolle zukommt. Das wiederum ist konsequent: Denn wie sollen es auch zwei Münchner Beamte mit einem international agierenden Drogenring aufnehmen? Diese etwas gewöhnungsbedürftige Art des Ermittelns entspricht also der Art des Verbrechens. Einen klassischen Krimi sollte der Zuschauer bei „One Way Ticket“ aber ohnehin nicht erwarten. So oder so – der fertige Film hält nicht, was das Produktions-Knowhow (einige Außenaufnahmen sind in Kenia entstanden ), was seine alternative Dramaturgie und was der Plot um die reiselustigen Oldie-Kuriere anfangs versprechen.

Tatort – One Way TicketFoto: BR / Marco Nagel
Kalli (Ferdinand Hofer), Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Batic (Miroslav Nemec) befragen die „Alten Hasen“ Ludwig Jahn (Charly Rabanser), Astrid Seyfarth (Annelies Guldner), Esther Kubath (Katja Rupé) und Heiner Hersfeld (Hans-Uwe Bauer) zu ihrem möglichen Komplizen. Sie werden zwar langsam weichgekocht – aber dennoch ist es schwer, die Oldie-Kuriere zu überführen.

Dass der „Tatort“ auch einmal nur ein gesellschaftlich relevantes Drama sein kann, das den Zuschauer längere Zeit mit Fragezeichen auf die Folter spannt und auf Spannungsdramaturgie sowie auf „Action“ (Momente, in denen dramatische Bewegung ins Spiel kommt) fast völlig verzichtet, ist keine Seltenheit und wird bei der Masse an Krimis, die es anders machen, vom Kritiker prinzipiell als willkommene Abwechslung begrüßt. Bei „One Way Ticket“ bekommt man allerdings Zweifel, ob es sich bei diesem „Tatort“, für dessen Rentner-Kuriere es zwar reale Vorbilder gibt, tatsächlich um ein „gesellschaftlich relevantes“ Thema mit politischem Mehrwert handelt. Hark Bohm als aasiger Soziopath und Monika Lennartz als sein Eis statt Feuer spuckender Hausdrache knüpfen zwar ausdrucksstark an eine deutsche Genre-Tradition an, doch der von ihnen personifizierte Stasi-Exkurs wabert trotz markanter Szenen eher undifferenziert als ein deutscher Mythos der Schuld, aus dem ein Mythos deutscher Schuld wird, durch die zwar nicht überladene, dafür aber etwas aufgeblasen wirkende Handlung.

Und auch wenn man dem gesprochenen Wort stets gut folgen kann, so verlässt sich der langjährige Nur-Drehbuchautor Rupert Henning doch etwas zu sehr auf die Schauspieler und ihren Text. Das macht den Handlungsfluss mitunter etwas zäh und den Film nicht nur gelegentlich schwermütig, sondern auch schwerblütig. Und „im letzten Akt“ wird der ganze Fall inklusive Vorgeschichte in einem rhetorisch gedrechselten Dialogwechsel erklärt. Das hat seine Qualitäten, bleibt aber zugleich etwas spröde. Selbst die Herren Kommissare kriegen noch einen Epilog, in dem sie ihre persönlichen Prognosen, Justitia betreffend, aufstellen, damit für den Zuschauer auch alles seine moralische Ordnung (Crime doesn’t pay“) hat.

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Reihe

BR

Mit Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, Ferdinand Hofer, Hans-Uwe Bauer, Siemen Rühaak, Monika Lennartz, Hark Bohm, Ulrike Willenbacher, Stefan Betz, Robert Joseph Bartl, Jürg Löw, Cynthia Micas, Katja Rupé, Moritz von Treuenfels, Charly Rabanser, Harald Schrott

Kamera: Josef Mittendorfer

Szenenbild: Markus Dicklhuber

Kostüm: Esther Amuser

Schnitt: Dirk Göhler

Musik: Verena Marisa

Redaktion: Stephanie Heckner

Produktionsfirma: Roxy Film

Produktion: Annie Brunner, Andreas Richter, Ursula Woerner

Drehbuch: Rupert Henning

Regie: Rupert Henning

Quote: 5,32 Mio. Zuschauer (16,3% MA)

EA: 26.12.2019 20:15 Uhr | ARD

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