Tatort – Nie wieder frei sein

Nemec, Wachtveitl, Sturm, Zübert. Ausnahme-"Tatort" mit unüblichen Verdächtigen

Foto: BR / Hagen Keller
Foto Rainer Tittelbach

Ein Vergewaltiger und Mörder steht vor Gericht. Er wird frei gesprochen – und jetzt ist alles möglich: das Opfer ist weiterhin in Gefahr, Selbstjustiz wäre denkbar, aber auch die Verteidigerin ist gefährdet in dem emotional aufgeheizten Klima. Wendungsreich der Handlungsverlauf, hoch emotional die Protagonisten, das (oft würdelose) Verhalten der Menschen unbestechlich registrierend die Kamera. Packend, tragisch, nachhaltig.

Es ist Nacht, ein Lieferwagen hält an, ein lebloser, weiblicher Körper wird von der Ladefläche gezogen. Ein Mann schneidet das Kleid der Frau auf und zieht es herunter. Er besprüht sie von Kopf bis Fuß und reibt sie ab. Dann fährt er weg. Wenig später, die Frau bewegt sich, sie lebt. Es ist ein Wunder: Melanie Bauer hat eine Vergewaltigung mit anschließendem Tötungsversuch überlebt. Eine andere junge Frau hatte weniger Glück. Markus Rapp steht vor Gericht. Leitmayr und Batic machen ihre Aussagen. Sie haben Beweise gesammelt, Indizien zusammengetragen und den Angeklagten bei einer „Reinszenierung“ der Tat in einem Bordell festgenommen. Ermittlungsfehler und der seelische Druck, der auf Melanie Tauber lastet und sie bei der Stimmidentifizierung „versagen“ lässt, führen zum Freispruch des Angeklagten. Jeder weiß, dass Rapp der Täter war, sogar seine Anwältin scheint es zu ahnen.

Tatort – Nie wieder frei seinFoto: BR / Hagen Keller
Alles auf Anfang? Batic und Leitmayr beißen sich die Zähne aus an diesem Fall. Und die restlichen Zähne zieht ihnen die toughe Anwaltin. Miroslav Nemec, Lisa Wagner, Shenja Lacher, Udo Wachtveitl

„Nie wieder frei sein“ ist ein Ausnahme-„Tatort“. Ungewöhnlich der Handlungsverlauf, hoch emotional die Protagonisten, das (oft würdelose) Verhalten der Menschen unbestechlich registrierend die Kamera. Nicht nur die Eingangsszene bohrt sich schmerzlich in den Zuschauer. Es liegt eine tragische Unausweichlichkeit auf den Bildern: die Kommissare müssen wieder ermitteln, um den Täter endgültig festzusetzen, aber erst muss etwas passieren, sonst kann das Verfahren nicht wieder aufgenommen werden. Und alles ist möglich: das Opfer ist weiterhin in Gefahr, Selbstjustiz wäre denkbar, aber auch die vermeintlich emotionslose Karriereverteidigerin ist gefährdet. Die „Nachbarschaftshilfe Unterhaching“ macht mobil, Melanies Vater, ihr Ex-Freund und die Schwester des getöteten Opfers, sie alle sind hoch motiviert und könnten ins Geschehen eingreifen. Selbst der Vater des Mörders scheint genug zu haben von seinem missratenen Sohn. Vielleicht belastet er sogar seinen Markus? Oder vielleicht rastet Batic aus und „misshandelt“ den Vergewaltiger?

Keine dieser Optionen für den Handlungsverlauf würde überraschen. Alles könnte passieren. Das ist eine dramaturgisch starke Ausgangssituation. Die große Qualität des Drehbuchs von Dinah Marte Golch spiegelt sich darüber hinaus vor allem aber in der Art und Weise, wie all diese psychologischen Motive miteinander vernetzt werden. Mit dem Ergebnis: der Film packt einen, ist hoch dramatisch, ohne vordergründig hoch dramatisch gemacht zu sein. Wachtveitl und Nemec passen ihr Spiel perfekt dem Fall an. War ihr Spiel zuletzt in „Unsterblich schön“ so flach wie das Drehbuch, so ist es bei „Nie wieder frei sein“ so tief und nachhaltig wie die wendungsreiche Geschichte. Die Besetzung ohne die üblichen Fernsehgesichter passt zum Realismus-Konzept des Films, der immer wieder mit einer dokumentarisch anmutenden Kamera arbeitet. In dem Krimidrama von Christian Zübert gibt es nach 60 Minuten viele Verdächtige, aber es gibt nicht die „üblichen“ Verdächtigen. Und alle sind Opfer!

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Reihe

BR

Mit Miroslav Nemec, Udo Wachtveitl, Anna Maria Sturm, Lisa Wagner, Shenja Lacher, Tilo Prückner, Rainer Bock, Stephan Zinner, Katharina Müller-Elmau

Kamera: Philipp Kirsamer

Schnitt: Dirk Göhler

Musik: Sebastian Pille

Produktionsfirma: Hofmann & Voges

Drehbuch: Dinah Marte Golch

Regie: Christian Zübert

Quote: 9,63 Mio. Zuschauer; Wh.: 4,96 Mio. (18,9% MA)

EA: 19.12.2010 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

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Kontoinhaber: Rainer Tittelbach