Wenn ARD und ZDF Geschichten über Rechtsextremismus erzählen, ist das immer eine heikle Gratwanderung: Damit die handelnden Personen authentisch wirken, müssen sie ihr radikales Gedankengut zum Ausdruck bringen. Um zu vermeiden, dass die Figuren zur Identifikation einladen, werden sie gern unsympathisch überzeichnet. Florian Oeller (Buch) und Franziska Buch (Regie) sorgen in diesem „Tatort“ daher einige Male allzu aufdringlich dafür, dass niemand vergisst, wer in dieser Geschichte die Guten und wer die Bösen sind; schließlich soll es keinen Beifall von der falschen Seite geben.
„National Feminin“ beginnt mit einem verhinderten Attentat: In einem Hörsaal der Uni Göttingen stellt sich Sophie Behrens (Jenny Schily) kurz vor ihrem Wechsel ans Bundesverfassungsgericht einer Diskussion. Im letzten Moment kann ihre studentische Hilfskraft Marie (Emilia Schüle) verhindern, dass ein junger Mann die Jura-Professorin mit einem Farbbeutel attackiert. Am nächsten Morgen wird die Studentin mit aufgeschnittener Kehle im Wald gefunden, und die Kommissarinnen Lindholm und Schmitz (Maria Furtwängler, Florence Kasumba) müssen tief in einen Sumpf tauchen, der ihnen beiden zuwider ist: Die mit einer Frau (Heike Trinker) verheiratete Juristin ist dank ihrer kritischen Äußerungen über den modernen Feminismus zur Ikone einer rechten Jugendbewegung geworden, zu der auch Marie gehörte. Die junge Frau war Behrens’ Geliebte und hatte einen Videoblog, in dem sie für einen nationalistischen Feminismus warb und die Angst vor „immer mehr Männern aus frauenverachtenden Kulturen“ schürte. Nach ihrer Ermordung hetzt die rechte Szene umgehend gegen Migranten, denn Marie hatte einen Stalker angezeigt. Personenbeschreibung und Tatumstände lassen zwar keinerlei Rückschlüsse auf den ethnischen Hintergrund des Täters zu, aber Maries Gesinnungsgenossen sind überzeugt, die Polizei habe diese Informationen einfach unterschlagen.
Man kann „National feminin“ auch anders bewerten:
„Dass der ‚Tatort‘ traditionell auch Sozialstudie sein will, ist ehrenwert, kann aber im spannungsarmen Abarbeiten eines Themas münden. Diese Gefahr ist gebannt, wenn sich eines der aktuell faszinierendsten Ermittlerduos der rechten Szene annimmt. Figuren, Plot und Machart des Krimis fesseln, während er zeigt, wie Rechts-Frauen unter dem Radar fliegen. Sie geben sich konservativ weiblich und sind sprachlich eloquent. Frauen gelten außerdem als ungefährlicher. Ein fataler Irrtum, wenn man an Beate Zschäpe denkt.“ (TV-Spielfilm)
Der Fall und damit auch der Film sind selbstverständlich von allergrößter Brisanz. Es ist nicht das erste Mal, dass sich der NDR in seinen Sonntagskrimis mit diesem Themenkomplex befasst. Zuletzt musste sich sich der eher linksorientierte Bundespolizist Falke (Wotan Wilke Möhring) in „Dunkle Zeit“ („Tatort“, 2017) mit einer Rechtspopulistin auseinandersetzen, die offenbar nur knapp einem Mordanschlag entkommen ist. Die der Amerikanerin Camille Paglia nachempfundene Juristin aus „National Feminin“ ist gleichfalls eine charismatische und hochintelligente Frau, zumal Jenny Schily mit ihrem differenzierten Spiel dafür sorgt, dass die designierte Verfassungsrichterin trotz ihrer höchst konservativen Ansichten durchaus sympathisch ist; ihre in einer Rückblende eingespielte Antrittsvorlesung ist provokant, scharfsinnig & witzig. Auch Lindholm kann sich der Ausstrahlung dieser Frau nicht entziehen.
Ein vertrauliches Gespräch, bei dem sich Professorin und Polizistin auf Augenhöhe begegnen, ist einer der stärksten Dialoge des Films. Sehr gut sind auch die Auftritte von Emilia Schüle in Maries unangenehm clever konzipiertem Blog (Schüle hat schon 2012 als Titelfigur in dem vorzüglichen Lindholm-Krimi „Wegwerfmädchen“ mitgewirkt). Die eindrucksvollen Szenen sorgen allerdings dafür, dass andere umso schwächer wirken. Das gilt in erster Linie für jene Momente, in denen Furtwängler keinen Zweifel an der Botschaft des Films lässt: Als Lindholm Maries Mitstreiter vernimmt, sorgt einer der beiden jungen Männer angesichts der afrikanischen Wurzeln von Kommissarin Schmitz dafür, dass der Aufdruck „Remigration“ auf seinem T-Shirt gut zu lesen ist. Falls es wirklich Zuschauer geben sollte, denen sich nicht erschließt, was mit dem Begriff gemeint ist, muss Lindholm nun ausgerechnet den Jugendlichen erläutern, worum es dabei geht.
Weitaus ungelenker ist jedoch eine zweite Szene, deren Absicht derart deutlich zu spüren ist, dass sie in der Tat zu Verstimmung führt. Eine Polizistin soll überprüfen, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Mord und früheren Gewaltdelikten gegen Frauen im Großraum Göttingen geben könnte. Das seien aber ganz schön viele, wendet die Kollegin ein, woraufhin Lindholm einen Kurzvortrag über den „Femizid“ hält: „Wir wissen, dass in Deutschland alle 24 Stunden ein Mann versucht, eine Frau umzubringen; und an jedem dritten Tag gelingt es einem. 2018 waren es 147 Frauen.“ Diese Sätze könnten auch aus einer Podiumsdiskussion mit Maria Furtwängler stammen. Die Schauspielerin engagiert sich für die Beendigung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, macht sich für gesellschaftliche Vielfalt sowie die Überwindung einschränkender Rollenbilder stark und finanziert eine eigene Stiftung, die sich für eine „freie, gleichberechtigte Gesellschaft“ einsetzt. Das ist selbstverständlich aller Ehren wert, und es wird kein Zufall sein, dass sich „National Feminin“ dieses Themas annimmt; trotzdem lässt sich eine Botschaft eleganter verpacken. Wie politische Auseinandersetzung ungleich wirkungsvoller funktionieren kann, zeigen die mehrfach eingeblendeten widerlichen Hasskommentare aus rechten Netzwerken.
„National Feminin“ ist ein „Tatort“ mit hohem Anspruch, und daran muss sich der Film messen lassen. Florian Oeller, Autor des kürzlich ausgestrahlten Dokudramas „Die Getriebenen“ sowie der Polit-Thriller-Trilogie „Tödliche Geheimnisse“ (alle ARD), hat sich offenkundig gründlich in der rechten Jugendszene umgeschaut. Die Umsetzung seines Drehbuchs hat dagegen einige Schwachpunkte. Das patriotische junge Trio zum Beispiel ist nicht immer gut geführt. Während der Wortführer (Samuel Schneider) immerhin eine einigermaßen differenzierte Figur ist, entspricht der Dritte im Bunde (Leonard Proxauf) auch optisch dem Klischee des tumben Neonazis, der unreflektiert Parolen nachplappert, die er nicht versteht. Seltsam auch, dass die mit dem Smartphone aufgenommen Beiträge in den Videoblogs zwischendurch die Perspektive wechseln, damit sie wie ein Spielfilm aussehen. Davon abgesehen ist die Kameraarbeit (Bella Halben) vorzüglich.
Und so erfreulich es auch ist, dass die Kommissarinnen ihre blödsinnigen Animositäten aus dem ersten gemeinsamen Film („Das verschwundene Kind“, 2019, ebenfalls von Franziska Buch) hinter sich gelassen haben: Dass sich Lindholm in den Gatten (Daniel Donskoy) der Kollegin verliebt, wirkt wie ein Versuch, die Geschichten um eine Soap-Ebene anzureichern. Erstaunlich auch, dass die Rosen, die der Mann seiner Frau zum Hochzeitstag schenkt, nach zwölf Stunden ohne Wasser immer noch wie frisch geschnitten aussehen. Der Film gibt übrigens selbst die Antwort darauf, was von Lindholms Vorträgen zu halten ist: Nachdem sie die Jugendlichen wegen deren Rassismus in die Mangel genommen hat, macht Schmitz ihr deutlich, dass dies die Ermittlungen nicht weiterbringe. Lindholms Verteidigung – „Ich mach’ das auch für dich“ – kontert die dunkelhäutige Kollegin kühl: „Ich hab’ dich nicht darum gebeten.“ (Text-Stand: 30.3.2020)