Tatort – Mitgehangen

Behrendt, Bär, Wilson, Grove, Rotter, Ko. Wasser, Blicke, Verzweiflung & der Jazz

Foto: WDR / Thomas Kost
Foto Rainer Tittelbach

Die Differenzen zwischen den Ermittlern sind seit jeher typisch für den „Tatort“ Köln. Auch in „Mitgehangen“ (WDR / Bavaria Fiction) gehen die beiden ihre eigenen Wege. Autor Rotter & Regisseur Sebastian Ko bedienen dieses Interaktionsmuster sehr viel diffiziler als üblich, und Ballaufs Sinnkrise besitzt ungewohnte Tiefe, ja, sie trifft den existentiellen Kern der Polizeiarbeit. Die Geschichte einer Familie, für deren materielles Wohlergehen der Vater einen hohen Preis bezahlt, weiß auch film(ästhet)isch zu bestechen. Ins Auge fallen vor allem die Farbdramaturgie und eine oft schroffe Montage, die das Raue, die unkonventionelle visuelle Lösung bevorzugt. Dazu sehr passend: der eigenwillige Score. Das vielleicht Nachhaltigste aber ist, wie Rotters Plot und Kos Besetzung Erwartungen der Zuschauer wecken, um sie ohne großes Bohai zu unterlaufen. Ein leiser Meta-Krimi, ein Kölner „Tatort“-Highlight!

Der Liebevolle, seine Frau, die Firma & der Teufel aus Rumänien
Ein Baggersee bei Köln. Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) wissen nicht, was sie erwartet. Es wird unappetitlich. Aus dem Kofferraum eines versenkten Pkws wird die Leiche eines Mannes geborgen. Aale haben sich post mortem an ihm bedient, zuvor wurde er erschossen an seinem Arbeitsplatz, einer Autoreifenfirma. Bei dem Toten handelt es sich um den Rumänen Florin Baciu, ein viel gehasster Mann, der aber mit seinen Kontakten zur „Autotuning-Szene“ die Lebensversicherung war für die Besitzer des Familienunternehmens, Matthes Grevel (Moritz Grove) und seine Frau Katrin (Lavinia Wilson). Deshalb konnte sich der Mann offenbar auch alles erlauben. Er erstellte Erotik-Collagen von seiner „Chefin“, machte Lolita-Fotos vom Küken der Familie und zog immer wieder Geld aus der Firma. Grevel hielt still. Erst kommt das Fressen und dann die Moral. Obwohl der langjährige Mitarbeiter und Freund der Familie, Otto Ziemer (Sebastian Hülk), bereits handgreiflich gegenüber Baciu wurde, schießt sich Ballauf ganz auf den fürsorglichen, geradezu sanftmütigen Familienvater ein. Freddy Schenk macht große Augen, als sein Kollege Grevel allein auf der Basis von Indizien in Untersuchungshaft nimmt. Ballauf aber ist sich seiner Sache sicher. „Wart’ mal ab, bis wir den weichgekocht haben.“ Sie schaffen es, aber anders als gedacht. Nach einem Langzeitbesuch seiner Frau erhängt sich Grevel in seiner Zelle.

Tatort – MitgehangenFoto: WDR / Thomas Kost
Unappetitlicher Leichenfund am Baggersee. Anfang vom Ende: überall Tote! Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) kriegt die Krise.

Die Kölner Buddies scheinen klug & erwachsen geworden zu sein
Mit dem Suizid wird nicht zu viel verraten von „Mitgehangen“, dem 72. „Tatort“ aus Köln. Denn der Selbstmord des verantwortungsvollen Familienvaters wird bereits in der ersten Szene vorweggenommen. Danach wird jener schmerzliche Prozess des „Weichkochens“ gezeigt, der einem rücksichtslosen Zerlegen der Familie des Tatverdächtigen gleichkommt. Nach über einer Stunde ist dann der tragische Höhepunkt erreicht. Bei Schenk meldet sich nun sein Gewissen. Ballauf ist zwar auch betroffen, fühlt sich von der Staatsanwaltschaft aber bestätigt, für die der Suizid ein Schuldeingeständnis ist. Das Gegeneinander der beiden Buddies und ihre Differenzen beim Ermitteln sind seit jeher typisch für den Köln-„Tatort“. Autor Johannes Rotter („Kehrtwende“) & Regisseur Sebastian Ko („Wir Monster“) bedienen dieses Interaktionsmuster diffiziler als üblich. Ballauf blafft nicht nur oder gibt die Mimose, sondern er gerät geradezu in eine berufliche Sinnkrise. Er besinnt sich auf sich selbst, erinnert sich an eine Zeit, als er noch nicht täglich Mord und Todschlag ausgesetzt war. Der Blick über den Baggersee hat etwas in ihm geweckt: die Erinnerung an seine Schwimmleidenschaft in der Jugend – und deshalb wird er ab sofort täglich einsam seine Bahnen ziehen. Eine treffende Metapher für seinen Zustand. Da kann dann selbst ein eher schlichtes Gemüt wie Schenk nicht nur rummotzen, wie es sonst seine Art ist. Auch er geht lieber seinen eigenen Weg, sucht andere Verdächtige und nimmt – so gut es geht – die Familie aus Ballaufs Schusslinie. In der Schlussszene dann lauscht er den wahr(haftig)en Worten des desillusionierten Kollegen. Die ewigen Jungs sind ein Stück weit erwachsen geworden.

„Du wirst nie gerufen, wenn alles gut ist, nie, wenn alles schön ist. Du wirst immer nur gerufen, wenn alles scheiße ist, wenn alles fürchterlich ist. Erschos-sen, erstochen erwürgt, verstümmelt. 40 Jahre lang. Kennst du das?“
(Max Ballauf am Ende des Films zu Freddy Schenk)

Tatort – MitgehangenFoto: WDR / Thomas Kost
Kann man dem Glück der Grevels trauen? „Feger“ Lavinia Wilson & Moritz Grove in „Tatort – Mitgehangen“ (ARD/WDR, 2018)

Das Wasser, der Jazz, die Blicke & die Tränen der Verzweiflung
„Kartenhaus“, Kos erster „Tatort“, eine filmisch brillante Bonnie & Clyde“-Ballade, war ein ungewöhnlicher Film, gemessen am Kölner Reihen-Ableger. Auch „Mitgehangen“ ist filmisch bemerkenswert. Die Farbgebung hat Stil, die schroffen Einstellungswechsel und eine Montage, die nicht das Geordnete, das Harmonische, sondern das Raue, die unkonventionelle visuelle Lösung sucht, stechen ins Auge. Der eigenwillige Score von Olaf Didolff mit seinen fulminanten jazzigen Breaks, mal fahrig nervös, mal präzise akzentuiert, dynamisiert die Bilder. Die Locations sind filmogen, und dass Firma und Wohnung der Grevels in Blickweite liegen, sorgt für blickintensive Szenen und passt ausgezeichnet zum Bild eines Familienbetriebs, bei dem es keine Trennung gibt zwischen Beruf und Freizeit. Und die Inszenierung wirkt filmisch und erfrischend modern. Den Schauspielern werden keine Gefühlsausbrüche abverlangt. So wird der unermessliche Schmerz, den der Selbstmord des kleinen Reifenhändlers bei der Ehefrau hervorruft, nicht „realistisch“ gespielt, sondern als Zusammenbruch sinnlich & intensiv in der Wirkung inszeniert, ohne Dialoge, dafür mit Zeitdehneffekten, elektronischem Sound und Schenk als Fels in der Brandung. In den Einstellungen danach kommt das formale Hauptmotiv des Films, das Element Wasser, stimmungsvoll zum Einsatz als Projektionsfläche für die allgemeine Tristesse, die die Kommissare überkommt. Der See, der Regen, sicherlich auch irgendwo eine Träne und dazu Leonard Cohens tiefer Bass. Aber auch die Menschen und ihre Kommunikation werden kunstvoll und sehr effektiv ins Bild gerückt. Trotz solcher starker Eindrücke darf eine Personalie nicht vergessen werden. Schenk und Ballauf haben einen neuen Kollegen: Norbert Jütte, gespielt von Roland Riebeling. Der hat die Ruhe weg, eine andere Tonalität als der Film, ist dennoch kein Störfaktor und hat als Sidekick Potenzial.

Tatort – MitgehangenFoto: WDR / Thomas Kost
Schlussakkord einer Liebe. Langzeitbesuch im Knast: Katrin Grevel (Lavinia Wilson)

Regisseur Sebastian Ko über die Filmsprache von „Mitgehangen“:
„Die Menschen bewegen sich in einer ganz eigenen, fast in sich geschlossenen Welt. Bei der Inszenierung unterstreichen wir das zum Beispiel durch die Farbgebung: Die Kostüme sind überwiegend blau, schwarz, weiß, auch mal braun. Wir sehen kaum Aufnahmen in der Totalen, alles bleibt eng und die Figuren bewegen sich in den Ecken der Räume.“

Mehr Meta-Krimi als Whodunit – und kein Klischee wird bedient
Nicht minder unkonventionell ist der Krimiplot gestrickt. Dieser „Tatort“ ist ein verkappter Whodunit. Soll heißen: Zwar schwebt über allem die Frage, wer der Mörder dieses offensichtlichen Teufels aus Rumänien ist, aber das Familiendrama, die Fülle an interessanten Wendungen, zwischenmenschlichen Entwicklungen und emotionalen Zwischentönen (die scheinbar heile Welt der Familie bricht mehr und mehr auseinander) übertrumpft die Finalität des Krimis. Das liegt zum einen an den überzeugenden Schauspielern, an Lavinia Wilson, Sebastian Hülk und vor allem an Moritz Grove, dem Darsteller des Mannes, der „zu gut ist für diese Welt“, aber auch an Behrendt und Bär, die hier eine feine nuancierte Performance hinlegen dürfen. Vor allem aber ist es die Doppelbödigkeit der Geschichte, die Mehrdeutigkeit vieler Situationen und der Verzicht auf dramaturgische Stereotype, die „Mitgehangen“ zu einem sehr guten „Tatort“ machen. Autor Johannes Rotter lässt einen immer wieder in die Falle laufen, indem er Erwartungen nicht bestätigt, sondern vielmehr dem auf narrative Klischees konditionierten Zuschauer den Spiegel vorhält. Nichts von dem, was einem bei diesen Charakteren, ihrer Konstellation oder bei der Besetzung in den Sinn kommt, bestätigt sich: weder die Erwartungen sexueller Natur, die Lavinia Wilson weckt, noch die Rolle des ewigen Hausfreundes. Aber auch die Interpretationsversuche uneindeutiger Szenen (bei-spielsweise der egozentrische Rammelsex als Schlussakkord vor dem Suizid) laufen mehr oder weniger ins Leere. Und der elementare, nachhaltige Twist des Films – konkreter sollte man vorab nicht werden – hat gewiss mehr mit der Logik der Wirklichkeit zu tun als eine ausgeklügelte Spannungsdramaturgie. Rotter und Ko verweigern dem Gewohnheitstier Zuschauer die Sicherheiten einer konventionellen Krimihandlung. Stattdessen kann man erkennen, wie manipulativ Sympathievergabe & Empathiepolitik in Filmen oft funktionieren.

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Reihe

WDR

Mit Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Lavinia Wilson, Moritz Grove, Sebastian Hülk, Alvar Goetze, Roland Riebeling, La-na Cooper, Joe Bausch

Kamera: Kay Gauditz

Szenenbild: Frank Polosek

Schnitt: Doro Vajda

Musik: Olaf Didolff

Kostüm: Elisabeth Kraus

Redaktion: Götz Bolten

Produktionsfirma: Bavaria Fiction

Produktion: Sonja Goslicki

Drehbuch: Johannes Rotter

Regie: Sebastian Ko

Quote: 10,42 Mio. Zuschauer (27,8% MA)

EA: 18.03.2018 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
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