Tatort – Melinda

Devid Striesow gibt „Tatort“-Einstand: Räuberpistole mit Märchenanbindung

Foto: SR / Degeto / Manuela Meyer
Foto Rainer Tittelbach

Noch nicht im Dienst steckt Jens Stellbrink schon mitten im ersten Fall. Der neue Kommissar in Saarbrücken nimmt sich eines fremdländischen Kindes an, das kein Wort Deutsch spricht und von arabischen Killern verfolgt wird. Auf Devid Striesows weitere Einsätze im SR-„Tatort“ darf man gespannt sein. Ein hoch motivierter, empathischer, esoterisch angehauchter Träumer als Ermittler fehlt jedenfalls noch im deutschen Krimi-TV. Der Krimiplot von „Melinda“ holpert dagegen, es fehlt eine stimmige Gesamt-Tonlage, die Kollegin ist farblos und die Staatsanwältin ist in ihrer Klischee-Setzung eines „Tatorts“ nicht würdig. Die Schauspielerinnen sollten Ihr Veto einlegen…

Noch gar nicht in Saarbrücken richtig angekommen, steckt Kommissar Jens Stellbrink schon mitten in seinem ersten Fall – und tief drinnen im Schlamassel. Ein fremdländisches, verängstigtes Mädchen läuft ihm über den Weg. Eltern sind nicht auszumachen. Arabische Männer, mit denen nicht zu spaßen ist, kreuzen die Wege der beiden. Mit Hilfe von Stellbrinks neuer Kollegin, Lisa Marx, können der Kommissar und das Mädchen in Sicherheit gebracht werden. In einem heruntergekommenen Hotel wird die angebliche Mutter der Kleinen, die Melinda heißt, aufgegriffen. Die Frau, nach ihrem Pass zu schließen, die Gattin eines nordafrikanischen Diplomaten, ist aufgebracht. Ein Dolmetscher übersetzt nur notdürftig – auch die sensible Befragung Melindas durch ihren Retter ergibt wenig Aufschlussreiches. Kurz darauf ist die angebliche Mutter tot. Die Tochter wird dem Vater übergeben. Stellbrink weiß, dass hier etwas nicht stimmt. Bevor er die nötigen Fakten ermittelt, befreit er erst einmal Melinda aus der Gewalt des dubiosen Diplomaten. Parallel dazu erlebt Kollegin Marx in dem Therapiezentrum, in dem Melinda behandelt werden sollte, eine böse Überraschung.

„Das soll der neue Kollege sein?!“ Kopfschütteln bei der Kripo Saarbrücken über den neuen Hauptkommissar, der zuvor in den Diensten der Bundespolizei stand – Abteilung Sonderaufgaben. Auch im Rahmen des ARD-Krimi-Flaggschiffs „Tatort“ dürften ihm solche Aufgaben zufallen: sonderbare, denn auch er ist ein Sonderling. Er entspannt sich  am besten bei Reggae und Joga, träumt sich gerne in die Fälle, ist dabei einem „inspirierenden“ Joint nicht abgeneigt – kurzum: ein überzeugter Esoteriker, der gleich in der ersten Szene mit Mama telefoniert und der in einer Penthouse-Wohnung sein Domizil aufgeschlagen hat. Endgültige Schlüsse lassen sich wohl erst später daraus ziehen. Dass seine seltsamen Methoden und sein liebenswerter Idealismus – an der Grenze zur Naivität – bei seiner Staatsanwältin auf wenig Gegenliebe stoßen wird, zeichnet sich bereits deutlich ab. Mit dieser Charaktereigenschaft des Helden korrespondieren nicht nur die blauen Augen von Devid Striesow, sondern auch sein Rollen-Typus insgesamt: eigenwillig, skurril, verschroben. Welcher Kommissar geht schon in seiner Freizeit mit Gummistiefeln und kurzen Hosen zum Einkaufen?!

Tatort – MelindaFoto: SR / Degeto / Manuela Meyer
In seinem Element: Kommissar Stellbrink macht Kinderbetreuung. Devid Striesow & Mila Böhning in „Tatort – Melinda“ (ARD, 2013)

Erwartungsgemäß haben sich die Macher über Striesows Kommissar hinreichend Gedanken gemacht. Auf Jens Stellbrinks weitere Einsätze darf man gespannt sein. Ein hoch motivierter Träumer als Ermittler fehlt jedenfalls noch im deutschen Krimi-TV. Mit der Feinjustierung der Story und mit dem Personal an der Seite des neuen Saarland-Ermittlers hat man sich nicht so viel Mühe gemacht. Der Mann von der Spusi, Horst Jordan alias Hartmut Volle, seit 2006 am Tatort in Saarbrücken, hält sich gewohnt zurück & Lisa Marx, die zweite Hauptkommissarin, bleibt wie ihre Darstellerin Elisabeth Brück blass. Allerdings haben es beide auch nicht leicht mit ihren undankbaren Wasserträgerrollen. Nicht nur für den Helden untragbar ist die Staatsanwältin, der Sandra Steinbach so viel Penetranz mit auf den Weg geben muss, dass beim Zuschauer Fremdschämen angesagt ist – oder besser noch: Ohren zuhalten. Solche Klischee-Rollen sind allenfalls Vorabendkrimi-Niveau, eines „Tatorts“ sind sie nicht würdig.

Ein bisschen Schrägheit kann sonntags in der ARD nicht schaden. Doch im Gegensatz zu einem Tukur/Murot (HR) oder einem Brandt/von Meuffels (BR) ist Striesow/Stellbrink in „Melinda“ an ein spießiges Krimi-08/15-Ensemble geraten und in ein Szenario, das Krimi, Thriller und Komödie wenig elegant kombiniert. Auch inszenatorisch bekommt Hannu Salonen die Genre-Farben nicht in eine stimmige Gesamt-Tonart, geschweige denn auf eine harmonische Emotionslage. Mal sind die Killer gefährlich, mal wirken sie wie Bud-Spencer-Knallchargen. Auch Marx & Co wissen zu Beginn nicht recht, ob sie sich in einem ernsthaften Krimi oder in einer Comedy befinden. Das Schießtraining oder die Kampfsporteinlage sehen so aus, als wolle der Regisseur noch ein paar RTL-Zuschauer zum „Tatort“ rüberziehen. Filmästhetisch stimmungsvoll sind auch wieder nur die Momente mit Striesow (im Blick: seine bubenhafte Physiognomie) und dem zweiten „Gesicht“ des Films, Mila Böhning (sehr stark schon in „Hänsel und Gretel“), die im Film keinen einzigen deutschen Satz sagt. Die Beziehung der beiden Protagonisten, eine Art Tochter-Ersatzvater-Liebesgeschichte ist das Herzstück von „Melinda“. Dazu sehr schön passend die Buch- und Bild-Idee des verlassenen, verwunschen wirkenden Märchenparks. Dagegen wirkt der kurzatmige Krimi-Klischee-Plot lieblos zusammengeschustert. (Text-Stand: 28.12.2012)

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Reihe

SR

Mit Devid Striesow, Elisabeth Brück, Mila Böhning, Hartmut Volle, Sandra Steinbach, Silvia Bervingas, Samir Fuchs und Willi Fries

Kamera: Wolf Siegelmann

Schnitt: Simone Sugg-Hoffmann

Soundtrack: Don Bonn („Out of the jungle“)

Produktionsfirma: ProSaar Medienproduktion

Drehbuch: Lars Montag, Dirk Kämper

Regie: Hannu Salonen

Quote: 9,05 Mio. Zuschauer (23,6% MA)

EA: 27.01.2013 20:15 Uhr | ARD

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