„Hier stimmt was nicht“, sagt Kommissarin Odenthal (Ulrike Folkerts) am vermeintlichen Ort eines Verbrechens. Wären wir beim Fußball, hieße es jetzt: „Fünf Euro ins Phrasenschwein!“ Aber wir sind im „Tatort“. Da kann man entweder im Vorfeld an Sätzen feilen, Situationen auch nonverbal auflösen, oder eben – wie schon viel zu oft gesehen – in Plattitüden verfallen. Okay, ein Satz ist geschenkt. Aber im „Tatort – Maleficius“ gibt es mehr davon. Viel mehr. „Wann habe ich den Bericht?“, sagt die Ermittlerin zum Gerichtsmediziner. Schon tausend Mal gehört. „Was muss da passiert sein?“, stellt sie sich im Selbstgespräch die Frage. Nicht nur bei den Dialogen hapert es, auch die Story meandert spannungsarm vor sich. Fall 69 für Lena Odenthal will den Blick in die Zukunft wagen, zeigt sich dabei aber sehr erwartbar und überkonstruiert, und erzählt eine oberflächliche „Wissenschaftler spielt Gott“-Geschichte.
Alles beginnt mit einem Rollstuhl am Ufer des Rheins. Der Mann, dem er gehört, ist verschwunden, nur eine Brieftasche liegt da. Hat Lukas Pirchner Selbstmord begangen oder war es ein tragischer Unfall? Lena Odenthal und Kollegin Stern (Lisa Bitter) recherchieren die Krankengeschichte des Verschwundenen. Der coole Ali Kaymaz (gute Besetzung: Gregor Bloéb), der in einer Autowerkstatt Sportwagen frisiert und illegale Rennen veranstaltet, erzählt ihnen, dass Lukas mit 120 aus der Kurve geflogen ist und seither querschnittsgelähmt ist. Da er damit nicht zurecht kam, scheint ein Suizid möglich. Doch dann gibt es eine sichtbare Leiche: eine Ärztin (Jana Voosen), die man zu Beginn des Films dabei beobachten kann, wie sie einen alten Mann am Krankenbett besucht, wurde getötet. Sie arbeitete in der Hirn-Forschung, wo Menschen mit Handicap mit Hilfe von Gehirnstimulation Bewegungsfähigkeit zurückgewinnen sollen. Auch der verschwundene Rollstuhlfahrer hatte dort Hilfe gesucht. Ein Zufall? Lena und Johanna befragen den selbstbewusst-arroganten, nobelpreisverdächtigen Chef der Assistenzärztin, Professor Bordauer (Sebastian Bezzel). Der behandelt nicht nur Lähmungen, sondern hegt wilde Pläne von der Verschmelzung des menschlichen Gehirns mit künstlicher Intelligenz. „Der Mensch wird von künstlicher Intelligenz abgelöst oder er schafft es mit ihr zu fusionieren, indem er sich über sein Gehirn mit ihr verbindet“. So erklärt er Lena Odenthal seine Visionen. Und bei der wachsen die Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit.
Foto: SWR / Sabine Hackenberg
Die Möglichkeiten der Gehirnstimulation und der Ehrgeiz neuronaler Forschung beschäftigen Autor und Regisseur Tom Bohn in seinem „Tatort – Maleficius“. Es ist bereits der 18. Krimi für die ARD-Reihe, den er geschrieben und/oder in Szene gesetzt hat. Sechs davon mit Ulrike Folkerts als Lena Odenthal, auch ihren letzten Fall „Vom Himmel hoch“ Ende 2018. Bohn recherchiert viel für seine Drehbücher. Das merkt man auch diesem Film in jeder Minute an. Aber vielleicht wirkt auch deshalb die Geschichte überkonstruiert und blutleer. „Ich glaube, dass neben der Ökologie die Digitalisierung die Schicksalfrage der Menschheit sein wird. Schon in den nächsten dreißig Jahren werden meines Erachtens die Weichen gestellt sein, ob wir als Homo sapiens weiter selbstbestimmt und unabhängig leben werden oder ob wir einen riesigen Entwicklungsschritt in Richtung einer funktionalen, rechnergesteuerten Masse genommen haben“, sagt der Filmemacher. Und so ist ein Hirnforscher die zentrale Figur seines Krimis. Sebastian Bezzel, bis Ende 2016 als Kommissar Kai Perlmann selbst „Tatort“-Kommissar (an der Seite von Eva Mattes als Eva Blum), darf diesen Mediziner geben, der – wie es an einer Stelle heißt – „Gott spielt“. Bezzel legt den Professor nicht ent- und verrückt an, sondern durchaus geerdet. Doch so richtig überzeugend ist das nicht, diesen sich locker gebenden, aber besessenen Wissenschaftler kauft man ihm nur schwer ab.
Als Kontrast zu dieser abgehobenen, klinisch-sauberen Welt der Wissenschaft hat Bohn die Autotuner-Welt des Ali Kaymaz gesetzt. Der frisiert schnelle Wagen, spielt auf seiner Ebene der Mechanik ebenfalls so eine Art Gott. Beide Versuche führen zu Katastrophen – hier wird ein junger Mann zum Pflegefall, dort … (das wird noch nicht verraten). Inszenatorisch ist dieses Gegenüberstellen der beiden Welt gelungen – hier die sterile, fast menschenleere Klinikwelt des Professors, die eher einer Fabrik für Computer-Chips gleicht denn einem Haus, das Menschen rettet. Dort die laute, raue Welt der Autotuner. Moralischer Gegenspieler des Hirnforschers ist allerdings ein Krankenhauspfarrer. Heinz Hoenig darf diesen geben und die Kommissarin nicht nur belehren, sondern ihr auch den entscheidenden Hinweis geben: „Wissen sie was der größte Erfolg des Teufels ist, dass er uns Menschen glauben gemacht hat, dass es ihn nicht gibt“. Und schon weiß sie, wo der Übeltäter, der Maleficius, steckt.
Immerhin, die Ökobilanz stimmt im „Tatort – Maleficius“, der nicht nur ressourcenschonend gedreht wurde, sondern auch für die Zuschauer deutlich sichtbar auf Nachhaltigkeit setzt: der Professor fährt vorbildlich ein Elektroauto, die Kommissare ernähren sich gesund, sie essen Äpfel, die Odenthal halbiert ihren sogar mit den Händen, gleich groß in zwei Hälften, wow! Aber das allein reicht nicht. Insgesamt ist der „Tatort – Maleficius“ eher eine Enttäuschung. Noch in diesem Jahr folgt der 70. Odenthal-“Tatort“, zu Ulrike Folkerts 30-jährigen „Dienstjubiläum“. Es kann nur besser werden. (Text-Stand: 17.8.2019)