Ein Serienmörder geht um – und alle außer Faber tragen eine schwere private Last
In einem Bestattungswald wird durch Zufall die Leiche einer Frau gefunden, die vor einem Jahr verschwand. Sie wurde ermordet. Ein fast perfekter Ablageort. Das Grab wurde unter falschem Namen reserviert und bar bezahlt. Das gleiche Muster ein Jahr zuvor, auf den Tag genau. Auch in diesem zu Lebzeiten vorbestellten Grab liegt bereits die Leiche einer Frau. Auch sie erwürgt, der Körper gewaschen, geschminkt und bekleidet mit einem spießigen Sommerfähnchen wie aus einem Neunzigerjahre-Katalog. Faber (Jörg Hartmann) und Bönisch (Anna Schudt) gehen von einem Serienmörder aus. Und es sind nur noch wenige Tage, bis wieder zwölf Monate vergangen sind. Dass die Opfer Ähnlichkeiten mit der Kommissarin haben, fällt Bönisch zunächst nicht auf. Sie hat anderen Ärger: Haller (Tilmann Strauß), ihr abservierter Ex von der KTU, beleidigt sie, verleumdet sie vor Kollegen – und sie rastet aus und schlägt zu in ihrer Verzweiflung. Die jungen Kollegen haben es auch nicht leicht. Pawlak (Rick Okon) muss seiner Tochter die Wahrheit über deren Mutter sagen, die in U-Haft sitzt. Auch Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) hat ein privates Problem: Ihre Mutter (Rosa Enskat) bewegte sich – nachdem sie früh ihre Familie verlassen hatte – im Umfeld der letzten Generation der RAF. Sie wird gesucht und hofft auf die Hilfe ihrer Tochter. Dagegen geht es Faber richtig gut, und er sieht die Möglichkeit, Bönisch endlich seine Liebe zu gestehen.
Genremix: Kluger Whodunit mutiert zum Hochspannungs-„Tatort“ mit Horror-Finale
So wie diese intime Situation ein Highlight ist, besonders für die Zuschauer, die seit 2012 regelmäßig das Hund-und-Katze-Spiel der beiden mitverfolgt haben, so ist der „Tatort – Liebe mich!“ eine Stunde lang ein überaus würdiger Jubiläumsfilm zum Zehnjährigen, dann macht das letzte Drittel den Film sogar zum bisherigen Höhepunkt dieses stets guten Reihen-Ablegers. Drehbuchautor Jürgen Werner ist in seinem zwölften Drehbuch für Faber & Co, darunter die ersten fünf, die den Grundstein für das Dortmunder Team legten, neben der amourösen Entwicklung ein fesselnder Genre-Mix gelungen: Ein kluger Whodunit mutiert zu einem Hochspannungsthriller mit Horror-Finale. Von der Geschichte sollte man nur so viel verraten. Das Bestattungsunternehmen, bei dem die Grabstellen im Bestattungswald reserviert wurden, ist die erste Anlaufstelle für die Ermittlungen. Das Inhaber-Ehepaar (Jan Krauter, Marlina Mitterhofer) verhält sich nicht besonders kooperativ. Zwei Männer der Belegschaft (Henning Flüsloh, Björn Jung) haben zwar kleinere Vorstrafen, wirken aber nicht wie Dating-Profis, die sich ihre Opfer online suchen. Passt ein dritter Verdächtiger (Stephan Szász) besser ins Bild? Dieser behauptet, weder die Frauen noch das Dating-Portal zu kennen. Vielleicht kann ja doch noch Bönischs Ähnlichkeit mit den Opfern für die Ermittlungen von Nutzen sein. Mit Clubs für Blind-Dates kennt sie sich zumindest schon mal aus.
Fesselnder Serienkiller-Thriller, der nicht von der Faszination des Monströsen lebt
Für des Krimirätsels Lösung spielt die Eröffnungsszene des Films eine entscheidende Rolle. Eine Küche, ohne Fenster, künstlich wirkend und aus der Zeit gefallen. Am Tisch sitzt eine blonde Frau, die sich schminkt. Der Schönheitsfleck, den sie sich malt, mag nicht so recht zur Szenerie mit der „Happy Birthday“-Girlande passen. Auf dem Tisch steht ein Geburtstags-Kuchen mit vier Kerzen. Wie bei einer Guckkastenbühne schaut man auf diese beängstigend wirkende Szene. Die Küche wird einem später noch mehrfach begegnen, als Modell, eine Puppenstube ohne Puppen, und als realer Nachbau. Ein Trauma wird Bild, kristallisiert sich auf der Zielgeraden in einem Schreckensszenario. Im Gegensatz zu anderen Filmen, die mit dem Serienmördermotiv arbeiten, bekommt man es in diesem „Tatort“ mit einem starken, intelligenten Opfer zu tun. Der Täter indes ist schwach, das Einzige, was ihm Kraft verleiht, ist sein Muster, das er ein drittes Mal zwanghaft in die Tat umzusetzen versucht. „Liebe mich!“ lebt also im Gegensatz zu den vielen fragwürdigen Serienkiller-Thrillern, die häufig als wohlfeile Fetische für den Nervenkitzel suchenden Zuschauer funktionieren, nicht von der Faszination des Monströsen. Ein Reihen-Krimi hat ohnehin andere Gesetze, eine andere Moral. Wie die Markus-Graf-Trilogie („Auf ewig Dein“, „Tollwut“, „Monster“) bewies, ist man in Dortmund allerdings immer wieder bereit, an die Grenzen des Zumutbaren zu gehen.
Dramaturgisch & filmästhetisch top: komplex, dicht, starker Flow, perfekter Look
Jürgen Werner (Jahrgang 1963), ein Viel- und Fast-alles-Schreiber, der sich nicht nur auf „Tatort“-Suspense (25 Episoden!), sondern auch auf „Traumschiff“-Eskapismus versteht, hat hier sein Meisterstück abgelegt. Alles steht im Dienst eines extrem dichten, spannenden Plots. Jeder Ermittler hat sein Päckchen zu tragen; das wirkt nie gewollt, weil das Private knapp & klar in den Krimi-Plot eingeflochten wurde und sich stimmig aus den Vorgeschichten der Charaktere ergibt. Auch die Motive auf der Täter-Seite kommen nicht zu kurz. Besonders auffällig, dass ständig mehrere Dinge gleichzeitig passieren. So ist bei der Fundort-Begehung gleich in der ersten Szene der Streit zwischen Haller und Bönisch genauso präsent wie die Leichenschau. Immer wieder – mehr noch als sonst – gibt es während der Ermittlungen etwas vom Beziehungsaspekt zu entdecken. Bei aller Komplexität der Handlung, bei aller psychologischer Grundierung der Figuren, bei allem Metaphern- und Subtext-Reichtum – unübersichtlich wird das Ganze nie. Alles ist verständlich, alles passt. Dazu gehören auch die Handlungen der gelegentlich einzeln agierenden Kommissare, die häufig parallel verlaufen – und so mit zum exzellenten Erzählrhythmus des Films (Schnitt: Dora Vajda) beitragen. Für diesen Flow verantwortlich ist Regisseur Torsten C. Fischer, der zuletzt den ebenso filmästhetisch vorzüglichen Kölner „Tatort – Vier Jahre“ inszenierte. Mit Kameramann Theo Bierkens und Szenenbildner Eduard Krajeweski hat er zwei Bildkünstler in seiner Crew. Zu diesem Jubiläumsfilm kann man allen Beteiligten nur gratulieren! (Text-Stand: 29.1.2022)