Tatort – Krieg im Kopf

Furtwängler, Kasumba, Jeltsch, Oetzmann. Die Stimmen im Kopf der Kommissarin

Foto: NDR / Marion von der Mehden
Foto Rainer Tittelbach

Hinter der tödlichen Panne bei einem Bundeswehr-Einsatz in Mali steckt mehr als die offizielle, geschönte Lesart vom menschlichen Versagen. „Krieg im Kopf“ (ARD / filmpool fiction) erzählt von den Begehrlichkeiten, die die Wissenschaft bei Rüstungskonzernen und Militärs immer schon geweckt hat – und er zeigt, wie heute Erkenntnisse der Hirnforschung für militärische Zwecke genutzt werden. Was nach „Terminator“ klingt, die Konstruktion von Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine, ist mittlerweile Realität. Der Film ist also keine spekulative Räuberpistole und auch viel weniger Science-Fiction im „Tatort“-Format als beispielsweise die Episoden „HAL“ oder „Echolot“. Das größte Plus dieses thematisch, dramaturgisch & filmisch gleichermaßen spannenden „Tatorts“ ist die große Anschaulichkeit, Unmittelbarkeit und Sinnlichkeit der Bedrohungsszenarien und der eingesetzten Mind-Control-Techniken. Die hautnahe Betroffenheit der Kommissarinnen tut das Übrige.

Ein Bundeswehr-Einsatz hinterlässt nur Tote – und auch Lindholm in Lebensgefahr!
Es ist ein Alptraum, aber er ist real. Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) befindet sich in der Gewalt eines Mannes, der ihr ein Messer an den Hals drückt und offenbar zum Äußersten bereit ist. Er gibt wirres Zeug von sich. „Sie dürfen nicht davonkommen“, stammelt er. Als der Der Geiselnehmer (Matthias Lier) kurz vor einem panischen Schub steht, zögert Lindholms Kollegin Anais Schmitz (Florence Kasumba) nicht – und schießt. Wenig später folgt in der Wohnung des Erschossenen, der als der ehemalige Soldat Benno Vegener identifiziert wird, der nächste Schock: Seine Frau liegt erwürgt in der Badewanne. Der Verdacht liegt nahe, dass sie von ihrem eigenen Mann getötet wurde; er hat offenbar seinen letzten Einsatz im Krisengebiet Mali seelisch nicht verkraftet. Lindholm sind diese Schlüsse zu simpel. Vegener habe beteuert, keine Schuld gehabt zu haben. Keine Schuld an was? Ein MAD-Mitarbeiter (Steven Scharf) gibt ihr und ihrem Chef (Luc Feit) einen Einblick in die tragischen Vorkommnisse in Mali: Bei dem Einsatz, den Vegener geleitet hat, kam mehr als die Hälfte der Soldaten ums Leben. Schmitz befragt derweil die Psychologin, die ihn behandelt hat (Victoria Trauttmansdorff); sie hält sich auffallend bedeckt. Irgendetwas stimmt da nicht, sind sich die Kommissarinnen einig. Vier überleben Mali, zwei bringen sich zurück in Deutschland um, und jetzt ist auch noch der Einsatzleiter tot. Übrig geblieben ist die querschnittsgelähmte Susanne Bortner (Katharina Schlothauer). Auch sie wollte sterben, doch ihr Suizidversuch misslang.

Tatort – Krieg im KopfFoto: NDR / Marion von der Mehden
Ihre Teamfähigkeit müssen sie noch beweisen. Es gibt Vorbehalte gegenüber der Kollegin, bei Bauchkommissarin Schmitz (Florence Kasumba) mehr als bei Kopfermittlerin Lindholm (Furtwängler), aber beide sind Profis, die den Partner nicht hängen lassen würden und intuitiv ähnlich handeln. Die Blickkontakte untereinander deuten es an.

Begehrlichkeiten, die die Wissenschaft bei Militärs und Rüstungskonzernen weckt
Hinter der tödlichen Panne bei einem Bundeswehr-Einsatz in Mali steckt mehr als die offizielle, geschönte Lesart vom menschlichen Versagen. Der „Tatort“ mit dem treffenden Titel „Krieg im Kopf“ erzählt von den Begehrlichkeiten, die die Wissenschaft bei Militärs und Rüstungskonzernen immer schon geweckt hat – und er zeigt, wie heute Erkenntnisse der Hirnforschung für militärische Zwecke genutzt werden (können). Was nach „Terminator“ klingt, die Konstruktion von Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine, ist mittlerweile Realität. Autor Christian Jeltsch hat sich über Jahre immer wieder mit der Entwicklung von Militärtechnik beschäftigt – jetzt konnte er seine Recherchen für sein Drehbuch vertiefen und es zum Thema eines hochspannenden Krimis machen. Ein Schutzhelm mit einem elaborierten Kommunikationssystem spielt dabei eine zentrale Rolle. Wie dieses Hightech-Wunderwerk funktioniert, das nicht nur zum Schutz der Soldaten eingesetzt wird, darf Kommissarin Lindholm am eigenen Körper ausprobieren. Die Transparenz, die ein Mitarbeiter (Hendrik Heutmann) des Herstellers gegenüber der Polizei an den Tag legt („Wachsamkeit rettet Leben“), kann der MAD nicht für gut heißen: Die Öffentlichkeit in Unkenntnis zu belassen ist schließlich oberstes Ziel dieses staatlichen Nachrichtendienstes. Musste etwa auch aus Gründen der Vertuschung der deutsche, einst für den CIA tätige Hirnforscher Bloch (Joachim Bißmeier) sterben, bei dem sich Vegener und später die Kommissarinnen Hilfe suchten?

Tatort – Krieg im KopfFoto: NDR / Marion von der Mehden
Die Männer als Zuarbeiter und ein Chef, der nicht – dem Klischee-Krimi entsprechend – sofort umfällt, wenn der MAD auf der Matte steht – und der seine Frauen relativ lange machen lässt. V.l.n.r: Ciaballa (Jonas Minthe), Liebig (Luc Veit), Kunkel (Roland Wolf), Anais (Florence Kasumba), Charlotte (Maria Furtwängler).

Die Vision, Soldaten über das Gehirn beliebig steuern und beeinflussen zu können
„Krieg im Kopf“ ist keine spekulative Räuberpistole und auch viel weniger Science-Fiction im „Tatort“-Gewand als beispielsweise die Episoden „HAL“ (SWR) oder „Echolot“ (RB). So ist ein zentrales Manipulationswerkzeug in dem Film von Jobst Christian Oetzmann („Schwartz & Schwartz – Der Tod im Haus“), das Versenden von Audio-„Botschaften“ via Schall direkt in das Ohr eines Menschen (Hypersonic), amerikanischen Forschern tatsächlich unlängst gelungen. Auch jene Helme mit avancierter Neurotechnologie, die über elektromagnetische Wellen (TMS) bestimmte Gehirnareale aktivieren, sind schon seit Jahren keine Zukunftsmusik mehr. „An manchen Stellen habe ich vorausschauend gedacht, aber das ist mein recht als fiktionaler Erzähler“, so Grimme-Preisträger Jeltsch. Wobei Christopher Coenen, der Wissenschaftler, der im NDR-Presseheft ausführlich zu Wort kommt, zugestehen muss, dass „die Vision, Soldaten über das Gehirn beliebig steuern und beeinflussen zu können, in gewisser Hinsicht die logische Fortsetzung moderner High-Tech-Kriegsführung ist.“

Die Handlung von „Krieg im Kopf“ dürfte wohl auch deshalb von den meisten Zuschauer nicht als Humbug angesehen werden, weil die vermeintlichen Science-Fiction-Momente, die Auswirkungen der Mind-Control-Techniken, sehr anschaulich und nachvollziehbar in den Krimi-Plot integriert werden. Zunächst geschieht das durch verbale Informationen: Da ist ein greiser Professor a.D., der beunruhigende Erkenntnisse der Hirnforschung zum Besten gibt, oder Kollege Ciaballa (Jonas Minthe), dessen Steckenpferd Geheimdienstskandale und Verschwörungstheorien sind. Die Informationen der beiden sind knapp und verständlich.

Tatort – Krieg im KopfFoto: NDR / Marion von der Mehden
Nur Susanne Bortner hat den Einsatz in Mali überlebt. Die querschnittsgelähmte Frau wird Vorzeigeobjekt, weil sie dank Chips in Hirn und Rückgrat einige Bewegungs-Abläufe hinbekommt. Gegenüber der Polizei wird sie abgeschirmt. Später lässt sie sich in einer von Katharina Schlothauer eindrucksvoll gespielten Szene unter Hypnose setzen. Trauttmansdorff & Heutmann

Triumvirat der Spannung: Thematik, Dramaturgie & Psychologie der Charaktere
Mit einer hochkonzentrierten Thriller-Situation beginnt der Film. Dabei wird der finale Rettungsschuss nicht als Effekt für den Zuschauer missbraucht; vielmehr besitzt er eine psychologische Bedeutung für die Protagonistinnen. Wer aber glaubt, dass diese Ausnahme-Situation, in der die eine der anderen das Leben rettet, die beiden näherbringen würde, sieht sich getäuscht. Lindholm sucht wenig überzeugende Wege, sich zu bedanken, Schmitz spielt den „Schuss“ herunter, verdrängt ihr Trauma, das sich in Erscheinungen Bahn bricht. Sie reagiert sich beim Tanzen im Club ab, während Lindholm kocht, redet und den Mann ihrer Kollegin (Daniel Donskoy) küsst. Wenig später schieben sich die mysteriösen Ereignisse in Mali mehr und mehr in den Vordergrund, sprengen aber zunächst nicht den Rahmen eines Ermittlerkrimis. Unter anderem werden schreckliche Bilder von jenem Bundeswehr-Einsatz Schmitz anonym zugespielt. Dass ausschließlich aus der Perspektive der Kommissarinnen erzählt wird, ja, dass die neue Kollegin sogar selbst ins Fadenkreuz ominöser Kräfte gerät und auch sie bald beängstigende Stimmen in ihrem Kopf hört (ihre Mutter litt an Schizophrenie), kommt in Hinblick auf den Normalzuschauer als kluger dramaturgischer Schachzug hinzu.

Sinnlichkeit und Subjektivität: Die Kommissarinnen sind unmittelbar betroffen!
Die große Anschaulichkeit und Unmittelbarkeit der Bedrohungsszenarien wird noch durch filmisch attraktive Mittel geschickt forciert. So erkennt man irgendwann, dass Schmitz verfolgt wird und jemand sie im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Schirm hat. Sogar dem Überwachungsvideo der Geiselnahme kommt auf der Zielgeraden eine besondere Funktion zu. Und ein weiteres Video, das als Quasi-Rückblende eingespielt wird, macht eindrucksvoll deutlich, in was für einer dramatischen Zwangslage sich Vegener befunden haben muss. Die Geiselnahme war die letzte Hoffnung, sich Gehör zu verschaffen. Eine Verzweiflungstat. Vor allem aber sind es zwei unvergessliche Szenen, die neben der Eingangssequenz eine enorme Intensität besitzen: In der einen will es Charlotte Lindholm wissen – und spielt das Versuchskaninchen, setzt sich den Gefechtshelm auf und den Magnetstimulatoren aus; in der anderen wird die einzige Überlebende mittels Hypnose zurückversetzt nach Mali. Jeltsch, der schon des Öfteren – vor allem für den Radio-Bremen-„Tatort“ mit Postel/Mommsen – Krimis mit mutigen Polit-Storys kombinierte, ist es bei „Krieg im Kopf“ besonders gut gelungen, dem Zuschauer eine sinnliche Vorstellung von dieser perfiden Form der Gehirnwäsche zu geben, die auch Regisseur Oetzmann entsprechend souverän in die neunzig spannend, flüssig und teilweise – mit vielen Großeinstellungen – hochemotional erzählten Filmminuten verpackt hat. Der gemeine „Tatort“-Zuschauer mag – was das Geschichtenerzählen angeht – konservativ sein und selbst noch jeden Genreplot einem Reality-Check unterziehen – bei diesem „Tatort“ aber stehen die Chancen gut, dass er sich mitreißen lässt. (Text-Stand: 2.3.2020)

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Reihe

NDR

Mit Maria Furtwängler, Florence Kasumba, Victoria Trauttmansdorff, Katharina Schlothauer, Hendrik Heutmann, Luc Feit, Steven Scharf, Joachim Bißmeier, Julius Nitschkoff, Daniel Donskoy, Matthias Lier, Katja Bürkle, Jonas Minthe

Kamera: Volker Tittel

Szenenbild: Susanne Dieringer

Kostüm: Natascha Curtius-Noss

Schnitt: Anke Berthold

Musik: Sebastian Fillenberg

Redaktion: Christian Granderath, Patrick Poch

Produktionsfirma: filmpool fiction

Produktion: Iris Kiefer

Drehbuch: Christian Jeltsch

Regie: Jobst Christian Oetzmann

Quote: 9,51 Mio. Zuschauer (25,2% MA)

EA: 29.03.2020 20:15 Uhr | ARD

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