Auf diesen Mann war das deutsche Fernsehen 1971 nicht vorbereitet. Zolloberinspektor Kressin war der konsequente Gegenentwurf zum Klischee des hiesigen Beamten: groß, markante Gesichtszüge, gut gekleidet, einem Flirt und einem Scotch auch während der Dienstzeit nie abgeneigt. Es dauerte zehn Jahre, bis es im „Tatort“ mit Horst Schimanski eine zwar völlig anders konzipierte, aber ähnlich polarisierende (und ebenfalls im Auftrag des WDR entwickelte) Figur gab. Der Österreicher Sieghardt Rupp, sonst meist auf Schurken abonniert (etwa als Anführer der Mörderbande im Karl-May-Western „Unter Geiern“), hatte sichtlich Spaß an dieser Rolle, die er trotzdem nur in sieben Filmen verkörperte. Genau genommen waren es nur sechs, denn in Samuel Fullers „Tote Taube in der Beethovenstraße“ ist er bloß Gastdarsteller. 1974 übernahm Hansjörg Felmy den Posten des WDR-Kommissars.
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„Kressin und die zwei Damen aus Jade“ ist Rupps Abschiedsfilm (EA: 8. Juli 1973, 59% MA). Das Drehbuch stammt von Karl Heinz Willschrei, einem der wichtigsten Krimiautoren in der Geschichte des deutschen Fernsehens, Regie führte Rolf von Sydow. Die Geschichte platziert den Kölner Zollfahnder zwischen zwei Damen: hier die rätselhafte Japanerin Lyn (Francisca Tu), dort die mondäne, ähnlich undurchschaubare Mona (Krista Keller). Die eine lernt er im Flugzeug kennen, die andere nach der Landung am Düsseldorfer Flughafen. Da ist der obligate Mord bereits geschehen: Auf dem Gepäckband liegt ein Toter, in seinem Gepäck finden sich 350.000 Mark. Beide Frauen flüchten sich nacheinander in Kressins Obhut, und weil er attraktiven Zeitgenossinnen nichts abschlagen kann, lässt er sich willig missbrauchen, wobei man allerdings nie genau weiß, ob er nicht bloß gute Miene zum bösen Spiel macht. Die Damen sind in verschiedene Schmuggeldelikte verwickelt, aber mit dem Mord hat nur die schöne Mona zu tun: Der Tote war ihr Freund. Dass der Mann deutlich jünger war und sich von der ebenso vermögenden wie verwitweten Frau aushalten ließ, war selbst in den „befreiten“ frühen Siebzigern noch ziemlich unerhört. Kressin wiederum räumt ehrlich ein, dass er den Mord nicht aus ethischen, sondern aus sportlichen Gründen aufklären will: Er mag den Leiter der Düsseldorfer Mordkommission nicht und will ihm eins auswischen.
Der Sprachduktus ist wie bei vielen alten Filmen etwas gewöhnungsbedürftig, aber das legt sich schnell, zumal der coole Kressin mit seinem weit offenen Hemdkragen und den nicht immer ganz legalen Methoden ein für das Fernsehen jener Jahre ziemlich moderner Ermittler ist. Die Inszenierung ist zwar nicht weiter auffällig, aber die Musik ist feinster Jazz; mit Ausnahme von „Tote Taube…“ hat Klaus Doldinger die Musik zu allen „Kressin“-Krimis geschrieben. Und natürlich zelebriert Ivan Desny auch in diesem Film seinen Kurzauftritt: Der Gentleman-Gangster Sievers war für Kressin in etwa das gleiche wie Dr. Moriarty für Sherlock Holmes und entpuppte sich in den meisten Fällen als Drahtzieher des jeweiligen Verbrechens, war dem Zollfahnder aber stets einen Schritt voraus. (Text-Stand: 2015)