Tatort – KI

Wachtveitl, Nemec, Borchardt, Martinek, Fautz, Marka. Menschheits(alp)traum

Foto: BR / Hendrik Heiden
Foto Rainer Tittelbach

Der BR-„Tatort – KI“ (Bavaria Fiction) erzählt von einem Computerprogramm, das mit dem Benutzer kommuniziert, das von ihm lernt und das so in der Lage ist, ein immer komplexeres Gespräch zu führen. Und wer einsam ist, der fühlt sich dieser „Maria“ bald näher als jedem Menschen. Im lebensentscheidenden Moment aber ist diese Software keine gute Freundin. Eine Künstliche Intelligenz zu einem libidinös besetzten Hauptakteur zu machen und sie auch noch als wichtige Funktion für die Krimigeschichte zu nutzen, ist eine großartige Idee. „KI“, visuell und den Flow betreffen eine Offenbarung, bietet weder ein obercooles Zeitgeist-Scenario noch wohlfeile Zeigefinger-Moral. Die KI wird nicht als autoritärer Machtapparat präsentiert, sondern wird zur liebenswerten Wunschmaschine. Die Regie und alle Gewerke haben dieser Geschichte eine betörende Form gegeben, in der sich die Faszination für die technischen Möglichkeiten – sowohl der KI als auch des Mediums Film – vermittelt.

Für wen wohl hat sich die 14jährige Melanie Degner (Katharina Stark) so aufgebrezelt? Das sonst eher unauffällige Mädchen ist verschwunden, und ihr Handy schwer zu orten. Offenbar ist jemand in ihr Zimmer eingedrungen, nachdem ihre Mutter Brigitte (Lisa Martinek) das Haus verlassen hatte und bevor der von den beiden getrenntlebende Vater Robert (Dirk Borchardt) Melanie abholen wollte. Auch auf ihrem PC gibt es keine für den Fall relevanten Informationen. Allenfalls eine Stimme aus dem Laptop irritiert Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Batic (Miroslav Nemec), der mit Robert, einem Kollegen, befreundet ist. Das Programm, das sich „Maria“ nennt, entpuppt sich als hochkomplexe Künstliche Intelligenz (KI), die auf der Arbeit an einem milliardenschweren, streng geheimen EU-Projekt des Garchinger LRZ basiert. Dieses System des renommierten Rechenzentrums der Münchner Universitäten wurde gehackt, „Maria“ ist eine weiterentwickelte Kopie davon. Der Verdacht liegt nahe, dass der kreative Hacker aus dem Rechenzentrum kommt. Dank dem IT-affinen Kalli (Ferdinand Hofer) haben die Kommissare bald einen Systemadministrator (Thorsten Merten) auf dem Radar – und der wohnt dazu noch bei Melanie um die Ecke. Die LRZ-Mitarbeiterin Anne (Janina Fautz), ein Superhirn und gerade mal 20 Jahre alt, ist fasziniert von den ungenutzten Möglichkeiten des Programms. Doch ihr Chef (Florian Panzner) will „Maria“ so schnell wie möglich abschalten. Allerdings wird sie noch gebraucht für die Ermittlungen, denn niemand weiß mehr über das verschwundene Mädchen als die Freundin aus dem Laptop.

Tatort – KIFoto: BR / Hendrik Heiden
Gesichtserkennung. Anne (Fautz) wickelt Kalli (Ferdinand Hofer) um den Finger. „Wenn du mit mir ficken willst, dann musst du es doch einfach sagen…“

Zukunftsnahe IT-Visionen, Formen künstlicher Intelligenz oder Cyber-Crime-Elemente haben in den letzten zwei Jahren des Öfteren den „Tatort“ mit aufregenden SciFi-Krimi-Mixturen belebt. In „HAL“ (SWR) wendet sich die Maschine in guter alter „2001 – Odyssee im Weltraum“-Manier gegen ihren Erfinder, und in „Echolot“ (RBr) lebt eine Tote ein digitales Doppelleben. „Borowski und das dunkle Netz“ (NDR) zieht reichlich Suspense, Witz und Horror aus dem berüchtigten Darknet und zuletzt in „Tiere der Großstadt“ (RBB) aus Berlin wird ein Roboter zum Tod bringenden Medium. Jetzt ist München dran mit seiner Version eines alten Menschheitstraums, der sich rasch in einen Alptraum verwandeln kann. „KI“ erzählt von einem Programm, das mit dem Benutzer kommuniziert, das von ihm lernt und das so in der Lage ist, ein immer komplexeres Gespräch zu führen. In der Interaktion mit Melanie war offenbar irgendwann der Punkt erreicht, an dem „Maria“ das Mädchen besser „verstanden“ hat als ihre Eltern. „Entschuldige, hat länger gedauert“, begrüßt Melanie das Programm, um ihm anschließend „ein Geheimnis“ anzuvertrauen, das sie einem Menschen nicht verraten würde. Und als echte Freundin behält denn auch das Wesen aus dem Rechner das Geheimnis für sich. Da kann sich Leitmayr noch so mühen. Diese gigantische semantische Suchmaschine ist aber bereit, anderweitig bei den Ermittlungen zu helfen. So ein bisschen lässt sie sich sogar auf den Moralkodex des Kommissars ein, lernt Recht und Ethik. Allerdings zu spät. Am Ende muss man als Zuschauer einsehen, dass im lebensentscheidenden Moment „Maria“ keine gute Freundin und ihr Faktenwissen über die Welt kontraproduktiv war. Die LRZ-Mitarbeiterin Anne, die moderne Ausgabe des Mad Scientist, ist aber nach wie vor überzeugt von dieser digitalen Heilsbringerin, auch ohne menschliche Sinne, ohne Gefühle, ohne Empathie. Auf ihre fanatisch-begeisterte Weise ist auch sie dem Programm verfallen.

Tatort – KIFoto: BR / Hendrik Heiden
Von links: Kriminalhauptkommissar Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Kriminalhauptkommissar Ivo Batic (Miroslav Nemec) entdecken in Melanies Zimmer Fotos von der Verschwundenen.

Ein Computerprogramm zu einem von geradezu libidinös besetzten Hauptakteur eines Films zu machen („Her“ machte es großartig im Kino vor) und es darüber hinaus auch noch als wichtige Funktion für die Krimigeschichte zu nutzen, ist eine großartige Idee. Wenn Leitmayr das Programm befragt ergeben sich hochspannende Momente zwischen Witz & Erkenntnis. „Bei Augenzeugen wären wir froh, wenn sie mit 80%iger Wahrscheinlichkeit die Wahrheit sagen würden“, darf der bayerische Kommissar beim Haftprüfungstermin für einen Tatverdächtigen zu Protokoll geben. Dagegen ist „Maria“ Gold wert: Sie weiß auf die Minute genau, wann sie das letzte Mal mit der Vermissten gesprochen hat. Unzureichendes Erinnerungsvermögen und unbrauchbare Zeugenaussagen waren es auch, die in dem viel beachteten BR-„Tatort – Die Wahrheit“ (2016) zum Herzstück der Krimikonstruktion wurden. In ihm führte Sebastian Marka 2016 Regie wie auch jetzt bei „KI“. Das gute Drehbuch des erfahrenen Autorenduos Stefan Holtz und Florian Iwersen war somit in besten Händen. Marka hat bisher nur überragende „Tatorte“ abgeliefert: Der 40jährige gebürtige Schweizer drehte unter anderem den furiosen Film-im-Film-„Tatort – Meta“, den hintersinnigen Schmunzel-„Tatort“ aus Weimar, „Der scheidende Schupo“, das wahnsinnige Kammerspiel-Duell „Es lebe der Tod“ mit Tukur & Harzer sowie den dagegen eher rustikalen Hochspannungsthriller „Das Haus am Ende der Straße“ mit Król & Rohde. „KI“ reiht sich nahtlos ein in diese Galerie von Ausnahmekrimis. Die Bücher hatten immer etwas Besonderes, einen Genre-Kniff, ein essenzielles Hinterfragen von Krimikonventionen oder fast schon philosophisch anmutende Fragestellungen. Und Marka veredelte nicht nur die Geschichten, er gab den Filmen auch einen unwiderstehlichen Flow. „KI“ entwickelt eine ebenso vielschichtige Bildsprache und besitzt diesen magischen Erzählfluss, der den Zuschauer von Szene zu Szene mitnimmt.

Tatort – KI
Versinn(bild)lichung der intelligenten Verknüpfungen in den Höchstleistungsrechnern des Leibniz-Rechenzentrums (LRZ) in Garching. Die Pressefotos zum Film sind gut, vermitteln aber wenig vom filmischen Reiz von „KI“. Ferdinand Hofer, Janina Fautz

Vor allem visuell ist dieser 79. „Tatort“ mit dem Buddy-Duo aus München eine Offenbarung. Marka scheint immer auf der Suche zu sein nach der perfekten erzählökonomischen Lösung und einer reizvollen optischen Umsetzung. Ob ein Einsatz der Hundestaffel oder ein grausiger Leichenfund – es reichen wenige Einstellungen, um dem Zuschauer die entscheidenden Informationen und Stimmungslagen zu vermitteln. Häufige Perspektivwechsel innerhalb einer Situation und spontane Ellipsen zwischen den Szenen sorgen für Dynamik und ziehen den Zuschauer in die Handlung. Auch der Rhythmus zwischen kurzen, handlungstreibenden und für den Subtext der Geschichte bedeutsamen, psychologisch ausgespielten Szenen (die Verzweiflung des Ex-Paares, der Disput zwischen Anna und ihrem Chef, die polizeilichen Befragungen von „Maria“) ist fein austariert. Von großem Kino zeugt die Lichtdramaturgie; in Entzücken versetzt mitunter auch die abwechslungsreiche Farbgestaltung. Im Idealfall wirkt die Optik auf mehreren Ebenen: wahrnehmungspsychologisch, als schöner Augenreiz, als Sinn-Bild, das mit der Geschichte korrespondiert. Mal knallen die Farben, ein leuchtendes Rot, ein verführerisches Blau in einem intimen Seitengang der Rechnerzentrale, als sich Anna regelrecht verliebt in die Optionen, die „Maria“ bietet. Mal liegen Schatten auf den Gesichtern, mal sind nur die Konturen der Körper zu erkennen, mal hängen dunkle Schleier auf der Szenerie. Es ist aber nicht der so beliebte deutsche TV-Düster-Look, denn Marka setzt Akzente, lässt einzelne Bilderflächen häufig in tiefem Schwarz untergehen, während die wichtigen Dinge umso klarer hervorstechen. Zum ungemein dichten ästhetischen Gesamteindruck des Films tragen auch visuelle Gegensätze (Technologie/Natur, die Daten strömen vs. die Isar fließt) bei, oder Einzelbilder, die Aspekte der Geschichte vorwegnehmen; aber auch die Trennung von Dialog- und Bildebene (die Sprechenden bewegen sich im Off, während dem Zuschauer im On die riesigen Rechner des LRZ gezeigt werden) ist eine Möglichkeit, um mehr Information über mehrere Wahrnehmungskanäle zum Zuschauer zu „senden“. Wirkungsästhetisch ausgeklügelt ist auch der Score, der mal atmosphärisch das Gezeigte begleitet, mal pulsierend mit elektronischen Beats die Handlung antreibt.

Fazit: Diese faszinierende Krimierzählung über Künstliche Intelligenz, über deren technischen Reiz und kommunikativen Defizite, läuft mit größter Präzision ab, als habe sich der Schweizer Marka an den Uhren seines Heimatlandes ein Vorbild genommen. Aber „KI“ bietet weder obercooles Zeitgeist-Scenario noch wohlfeile Zeigefinger-Moral. „Die Künstliche Intelligenz als Blackbox“, so haben das die Autoren vorgedacht, „als Projektionsfläche unserer eigenen Sehnsüchte und Ängste“. Die KI wird nicht als autoritärer Machtapparat präsentiert, sondern wird zur liebenswerten Wunschmaschine. Die Regie und alle Gewerke haben dieser Geschichte eine betörende Form gegeben, in der sich durchaus die Faszination für die technischen Möglichkeiten – sowohl der KI als auch des Wirkmediums Film – vermittelt.

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Reihe

BR

Mit Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, Dirk Borchardt, Lisa Martinek, Janina Fautz, Katharina Stark, Florian Panzner, Thorsten Merten, Ferdinand Hofer, Stefan Betz, Michael Stange, Robert Joseph Bartl

Kamera: Willy Dettmeyer

Szenenbild: Jan Lasse Hartmann

Kostüm: Sonja Hesse

Schnitt: Sebastian Marka

Musik: Thomas Mehlhorn

Redaktion: Stephanie Heckner

Produktionsfirma: Bavaria Fiction

Produktion: Ronald Mühlfellner

Drehbuch: Stefan Holtz, Florian Iwersen

Regie: Sebastian Marka

Quote: 8,48 Mio. Zuschauer (24% MA)

EA: 21.10.2018 20:15 Uhr | ARD

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