Tatort – Katz und Maus

Hanczewski, Gröschel, Brambach, Löw, Cronauer/Veith, Kirchhoff. Dresdner Alptraum

Foto: MDR / Marcus Glahn
Foto Rainer Tittelbach

Der MDR-„Tatort – Katz und Maus“ (MadeFor) setzt 90 Minuten lang auf die Dramaturgie eines Thrillers: eine Entführung, ein Ultimatum, eine Todesdrohung, Kommissare, denen die Zeit davonläuft. Spannung und Emotionalität werden zusätzlich dadurch gesteigert, dass der (durch dreizehn „Tatort“-Episoden wohlbekannte) Kripo-Chef, gespielt von Martin Brambach, in die Fänge des Geiselnehmers gerät. Der größte Reiz aber ergibt sich aus der Persönlichkeit des Antagonisten. Der glaubt an eine Verschwörung, bei der Presse und Polizei gemeinsame Sache mit Kinderschändern machen. Mit diesem Entführer ist es unmöglich, ein vernünftiges Gespräch zu führen. Psychologisch und gesellschaftspolitisch bleibt der Fall auf dem (Betroffenheits-)Niveau des Ermittler-Trios – sprich: mit einem intellektuelleren „Tatort“-Team wäre mehr möglich gewesen. Dennoch wird man diesen Thriller mit Drama-Momenten wegen der Ausweglosigkeit des Falls, der markanten Kommunikationssituation und Hans Löw als Fake-News-Fan länger als andere Krimis in Erinnerung behalten.

Ausnahmezustand in Dresden. Eine Reporterin eines Boulevardblattes (Elisabeth Baulitz) wird auf offener Straße verschleppt. Der Entführer zeigt sich wenig später als Mann mit Maus-Maske im Internet. Seine Forderung ist seltsam, die Art zu kommunizieren rätselhaft. Er verlangt von der Dresdner Polizei, dass sie innerhalb von 24 Stunden 150 in den letzten Jahren verschwundene Kinder befreit. Schafft sie es nicht, tötet er die Journalistin. Eine Wahnsinns-Forderung. Ein Ding der Unmöglichkeit für Gorniak (Karin Hanczewski), Winkler (Cornelia Gröschel) und Schnabel (Martin Brambach), die nicht wissen, wo sie bei diesem Fall ansetzen sollen. Ein Lichtsignal der Videobotschaft ergibt eine Spur, doch der anschließende SEK-Einsatz führt zu nichts. Letzte Chance: eine direkte Ansprache an den Geiselnehmer, „von „Mensch zu Mensch“ – so jedenfalls stellt Schnabel sich das vor. Auch das geht nach hinten los. Mit dem Kommissariatsleiter hat der Entführer nun einen weiteren Repräsentanten für das „kranke, faule System“ im Visier. Und so befindet sich Schnabel bald in der Gewalt dieses Mannes, der sich seine „eigene Wahrheit“ von der Welt zusammenlügt. Wieder läuft der Countdown, und wieder scheint die Lage aussichtslos. Einziger Hoffnungsschimmer: Mit Hilfe eines Klopfcodes übermittelt Schnabel den Namen der vermissten Tochter des Täters. Rasch ist so auch der Name des Entführers gefunden: Michael Sobotta (Hans Löw).

Tatort – Katz und MausFoto: MDR / Marcus Glahn
Zunächst wird eine Boulevardjournalistin (Elisabeth Baulitz) von dem Mann mit der Maus-Maske gekidnappt. Bei ihr stimmt ausnahmsweise der Begriff „Lügenpresse“.

Der MDR-„Tatort – Katz und Maus“ setzt von der ersten Minute an auf die Dramaturgie eines Thrillers: eine Entführung, eine Forderung, eine Drohung, ein Ultimatum, Kommissare, denen die Zeit davonläuft. Die Spannung und Emotionalität des Films von Gregory Kirchhoff („Ostfriesisch für Anfänger“) nach dem Buch von Jan Cronauer („Tatort – Friss oder stirb“) und Stefanie Veith („Tatort – Schattenkinder“) werden noch zusätzlich dadurch gesteigert, dass ein durch dreizehn „Tatort“-Episoden wohlbekannter Kommissar in die Fänge des Geiselnehmers gerät. Der größte Reiz aber ergibt sich aus der Persönlichkeit des Antagonisten. Mit diesem Michael Sobotta ist es unmöglich, ein vernünftiges Gespräch zu führen. Schnabels  Versuche, den Mann in einen emotionalen Dialog zu verstricken oder ihm mit Fakten und Vernunft zu begegnen, scheitern gleichermaßen. Dieser Mann glaubt nur, was er glauben will. Diese sehr spezielle Form der Kommunikation war der Ausgangspunkt für die Drehbuch-Entwicklung. „Was wäre, wenn die Kommissarinnen gezwungen werden, mit einem Täter, der die Realität nicht mehr als Wahrheit akzeptiert, zu verhandeln?“, bringt es Autorin Veith auf den Punkt. „Was, wenn ein Täter etwas verlangt, was man ihm schlichtweg nicht erfüllen kann, weil es einfach nicht existiert?“, ergänzt Cronauer. Das Dilemma gipfelt in einer der bewegendsten Szenen des Films, in der Sobotta (gewohnt überzeugend: Hans Löw) sogar sein eigen Fleisch und Blut (kurzer, ausdrucksstarker Einsatz: Alida Bohnen) verleugnet: „Das ist eine Schauspielerin“. Gegen Verschwörungstheorien ist kein Kraut gewachsen. Bei Michael Sobotta kommt allerdings noch das Bedürfnis hinzu, die eigene Schuld zu verdrängen.

Tatort – Katz und MausFoto: MDR / Marcus Glahn
Rückblende: Nachdem die Identität des Entführers bekannt ist, können Menschen, die Sobotta (Hans Löw) nahestehen, befragt werden. Doch auch das birgt wenig Hoffnung. Christina Hecke

Ein 48-stündiger Alptraum. Für das Trio wirkt der Fall anfangs unlösbar. Als später Schnabel in Lebensgefahr schwebt, geraten die Kommissarinnen heftig aneinander, was die Wahl der Waffen betrifft. „Feuer bekämpft man am besten mit Feuer“ hatte ihnen ein vermeintlicher Verschwörungstheoretiker empfohlen, in Wahrheit ein geschäftstüchtiger Teenager (Paul Ahrens), der kalkuliert im Netz die Lust an abstrusen Geschichten bedient. Was spricht also dagegen, Sobotta zu geben, was er will, in Form einer Fake-Inszenierung, die man online stellt?! Für Gorniak kommt ein solches Vorgehen nicht in Frage, weil man sich als Polizei nicht der kranken Mittel eines Mörders bedienen darf. Nicht nur in den gegensätzlichen Haltungen der Polizistinnen steckt mehr prinzipieller Konfliktstoff und ein größeres gesellschaftspolitisches Potenzial, als das, was das Autorenduo Karin Hanczewski und Cornelia Gröschel ins Drehbuch geschrieben hat. Das mag auch daran liegen, was man diesen  Charakteren zutrauen kann und was nicht. Sie sind, was sie sind: eine junge, ehrgeizige Kommissarin, die sich immer noch beweisen muss, eine erfahrenere, als Mutter etwas mehr im Leben stehende Kollegin. Man kann sich schon fragen, was wohl andere „Tatort“-Kommissare wie Faber oder Karow oder deren leider verblichenen besseren Ermittlerhälften Boenisch und Rubin aus diesem Thriller und vor allem dem Phänomen Realitätsverweigerung gemacht hätten. Martin Brambachs Schnabel wird zwar direkt konfrontiert mit dem Mann, der seine Teenagertochter in den Fängen von Kinderschändern wähnt, doch auch dieser Spießer im Staatsdienst hat nicht viel mehr zu bieten als über dreißig Jahre Polizeiarbeit. Intellekt war noch nie seine Stärke. Und so wütet er nur: „Das ist Quatsch. Das ist Schwachsinn“.

Tatort – Katz und MausFoto: MDR / Marcus Glahn
Die Uhr tickt. Gorniak (Karin Hanczewski) hofft auf irgendeinen Zufallstreffer. Am Ende muss tatsächlich ein glücklicher Fund für das Ende der Geiselnahme sorgen.

„Katz und Maus“ zeigt dem seit jeher allzu sehr auf Betroffenheit bauenden „Tatort“-Trio aus Dresden zwar seine Grenzen auf, bleibt aber dennoch ein Sonntagskrimi, den man wegen der Ausweglosigkeit des Falles und den markanten Kommunikationsmodalitäten länger als andere in Erinnerung behalten wird. Die Ohnmacht der Kommissarinnen ist augenscheinlich; die Anspannung der beiden und die Coolness des Verschwörungstheoretikers machen aus diesem Thriller ein Stück weit auch ein Drama. Und so gibt es zwar ein paar Spannungsspitzen, ein, zwei Schockmomente und ein packendes, blutiges Finale; der Atem aber steht einem nur selten still. Thriller-like ist eher die narrative Grundsituation; das genügt vollkommen. Zwar basiert die Lösung des Falls auf einem Glückstreffer (Schnabels Handy) und einer Eingebung („Kommissar Zufall“ hat also seine Hand im Spiel), um jedoch vor Ablauf des Countdowns die Geiselnahme zu beenden, gibt es kaum eine Alternative zu diesem Drehbuch-Trick.

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Reihe

MDR

Mit Karin Hanczewski, Cornelia Gröschel, Martin Brambach, Hans Löw, Alida Bohnen, Christina Hecke, Elisabeth Baulitz, Kai Ivo Baulitz, Paul Ahrens

Kamera: Dino von Wintersdorff

Szenenbild: Thilo Mengler

Kostüm: Filiz Ertas

Schnitt: Andree Fischer

Musik: Lucas Ezequiel Zavala

Soundtrack: Joy Division („Atmosphere“), Dead Man’s Bones („Lose Your Soul“)

Redaktion: Sven Döbler

Produktionsfirma: MadeFor Film

Produktion: Tasja Abel, Nanni Erben, Gunnar Juncken

Drehbuch: Jan Cronauer, Stefanie Veith

Regie: Gregory Kirchhoff

Quote: 9,25 Mio. Zuschauer (29,8% MA)

EA: 20.11.2022 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach