Ausnahmezustand in Dresden. Eine Reporterin eines Boulevardblattes (Elisabeth Baulitz) wird auf offener Straße verschleppt. Der Entführer zeigt sich wenig später als Mann mit Maus-Maske im Internet. Seine Forderung ist seltsam, die Art zu kommunizieren rätselhaft. Er verlangt von der Dresdner Polizei, dass sie innerhalb von 24 Stunden 150 in den letzten Jahren verschwundene Kinder befreit. Schafft sie es nicht, tötet er die Journalistin. Eine Wahnsinns-Forderung. Ein Ding der Unmöglichkeit für Gorniak (Karin Hanczewski), Winkler (Cornelia Gröschel) und Schnabel (Martin Brambach), die nicht wissen, wo sie bei diesem Fall ansetzen sollen. Ein Lichtsignal der Videobotschaft ergibt eine Spur, doch der anschließende SEK-Einsatz führt zu nichts. Letzte Chance: eine direkte Ansprache an den Geiselnehmer, „von „Mensch zu Mensch“ – so jedenfalls stellt Schnabel sich das vor. Auch das geht nach hinten los. Mit dem Kommissariatsleiter hat der Entführer nun einen weiteren Repräsentanten für das „kranke, faule System“ im Visier. Und so befindet sich Schnabel bald in der Gewalt dieses Mannes, der sich seine „eigene Wahrheit“ von der Welt zusammenlügt. Wieder läuft der Countdown, und wieder scheint die Lage aussichtslos. Einziger Hoffnungsschimmer: Mit Hilfe eines Klopfcodes übermittelt Schnabel den Namen der vermissten Tochter des Täters. Rasch ist so auch der Name des Entführers gefunden: Michael Sobotta (Hans Löw).
Foto: MDR / Marcus Glahn
Der MDR-„Tatort – Katz und Maus“ setzt von der ersten Minute an auf die Dramaturgie eines Thrillers: eine Entführung, eine Forderung, eine Drohung, ein Ultimatum, Kommissare, denen die Zeit davonläuft. Die Spannung und Emotionalität des Films von Gregory Kirchhoff („Ostfriesisch für Anfänger“) nach dem Buch von Jan Cronauer („Tatort – Friss oder stirb“) und Stefanie Veith („Tatort – Schattenkinder“) werden noch zusätzlich dadurch gesteigert, dass ein durch dreizehn „Tatort“-Episoden wohlbekannter Kommissar in die Fänge des Geiselnehmers gerät. Der größte Reiz aber ergibt sich aus der Persönlichkeit des Antagonisten. Mit diesem Michael Sobotta ist es unmöglich, ein vernünftiges Gespräch zu führen. Schnabels Versuche, den Mann in einen emotionalen Dialog zu verstricken oder ihm mit Fakten und Vernunft zu begegnen, scheitern gleichermaßen. Dieser Mann glaubt nur, was er glauben will. Diese sehr spezielle Form der Kommunikation war der Ausgangspunkt für die Drehbuch-Entwicklung. „Was wäre, wenn die Kommissarinnen gezwungen werden, mit einem Täter, der die Realität nicht mehr als Wahrheit akzeptiert, zu verhandeln?“, bringt es Autorin Veith auf den Punkt. „Was, wenn ein Täter etwas verlangt, was man ihm schlichtweg nicht erfüllen kann, weil es einfach nicht existiert?“, ergänzt Cronauer. Das Dilemma gipfelt in einer der bewegendsten Szenen des Films, in der Sobotta (gewohnt überzeugend: Hans Löw) sogar sein eigen Fleisch und Blut (kurzer, ausdrucksstarker Einsatz: Alida Bohnen) verleugnet: „Das ist eine Schauspielerin“. Gegen Verschwörungstheorien ist kein Kraut gewachsen. Bei Michael Sobotta kommt allerdings noch das Bedürfnis hinzu, die eigene Schuld zu verdrängen.
Foto: MDR / Marcus Glahn
Ein 48-stündiger Alptraum. Für das Trio wirkt der Fall anfangs unlösbar. Als später Schnabel in Lebensgefahr schwebt, geraten die Kommissarinnen heftig aneinander, was die Wahl der Waffen betrifft. „Feuer bekämpft man am besten mit Feuer“ hatte ihnen ein vermeintlicher Verschwörungstheoretiker empfohlen, in Wahrheit ein geschäftstüchtiger Teenager (Paul Ahrens), der kalkuliert im Netz die Lust an abstrusen Geschichten bedient. Was spricht also dagegen, Sobotta zu geben, was er will, in Form einer Fake-Inszenierung, die man online stellt?! Für Gorniak kommt ein solches Vorgehen nicht in Frage, weil man sich als Polizei nicht der kranken Mittel eines Mörders bedienen darf. Nicht nur in den gegensätzlichen Haltungen der Polizistinnen steckt mehr prinzipieller Konfliktstoff und ein größeres gesellschaftspolitisches Potenzial, als das, was das Autorenduo Karin Hanczewski und Cornelia Gröschel ins Drehbuch geschrieben hat. Das mag auch daran liegen, was man diesen Charakteren zutrauen kann und was nicht. Sie sind, was sie sind: eine junge, ehrgeizige Kommissarin, die sich immer noch beweisen muss, eine erfahrenere, als Mutter etwas mehr im Leben stehende Kollegin. Man kann sich schon fragen, was wohl andere „Tatort“-Kommissare wie Faber oder Karow oder deren leider verblichenen besseren Ermittlerhälften Boenisch und Rubin aus diesem Thriller und vor allem dem Phänomen Realitätsverweigerung gemacht hätten. Martin Brambachs Schnabel wird zwar direkt konfrontiert mit dem Mann, der seine Teenagertochter in den Fängen von Kinderschändern wähnt, doch auch dieser Spießer im Staatsdienst hat nicht viel mehr zu bieten als über dreißig Jahre Polizeiarbeit. Intellekt war noch nie seine Stärke. Und so wütet er nur: „Das ist Quatsch. Das ist Schwachsinn“.
Foto: MDR / Marcus Glahn
„Katz und Maus“ zeigt dem seit jeher allzu sehr auf Betroffenheit bauenden „Tatort“-Trio aus Dresden zwar seine Grenzen auf, bleibt aber dennoch ein Sonntagskrimi, den man wegen der Ausweglosigkeit des Falles und den markanten Kommunikationsmodalitäten länger als andere in Erinnerung behalten wird. Die Ohnmacht der Kommissarinnen ist augenscheinlich; die Anspannung der beiden und die Coolness des Verschwörungstheoretikers machen aus diesem Thriller ein Stück weit auch ein Drama. Und so gibt es zwar ein paar Spannungsspitzen, ein, zwei Schockmomente und ein packendes, blutiges Finale; der Atem aber steht einem nur selten still. Thriller-like ist eher die narrative Grundsituation; das genügt vollkommen. Zwar basiert die Lösung des Falls auf einem Glückstreffer (Schnabels Handy) und einer Eingebung („Kommissar Zufall“ hat also seine Hand im Spiel), um jedoch vor Ablauf des Countdowns die Geiselnahme zu beenden, gibt es kaum eine Alternative zu diesem Drehbuch-Trick.