Tatort – Kartenhaus

Behrendt & Bär, Rick Okon & Ruby O. Fee in Sebastian Kos Bonnie & Clyde-Ballade

Foto: WDR / Thomas Kost
Foto Tilmann P. Gangloff

Die Blutspur ist nicht so triefend wie die des mordlüsternen Pärchens aus „Natural Born Killers“, aber die Parallelen sind unübersehbar und gewollt: Nach einem Drehbuch von Jürgen Werner hat „Tatort“-Debütant Sebastian Ko mit „Kartenhaus“ einen für Kölner Verhältnisse ungewöhnlichen und sehenswerten Krimi gedreht, der mit Ruby O. Fee und Rick Okon vor allem auf den schauspielerischen Nachwuchs setzt. Das Drehbuch von Jürgen Werner besitzt kleine Schwächen, Bildgestaltung, Musik und Atmosphäre dagegen sind ausgezeichnet.

Der „Tatort“ aus Köln beginnt mit einem ähnlichen Paukenschlag wie „Du gehörst mir“, ein Krimi aus Ludwigshafen, den die ARD zwei Wochen zuvor (am 14.2.) zeigt(e) und dessen Buch ebenfalls von Jürgen Werner ist: Ein Mann will wegfahren, geht noch mal ins Haus und wird vom Freund seiner Stieftochter erstochen. Der bislang praktisch unbekannte Sebastian Ko inszeniert den Einstieg in sein „Tatort“-Debüt mit unangenehmer Intensität, zumal das Opfer erst nach dem zweiten Stich in den Bauch tot ist; ein ziemlich blutiger Auftakt.

Filmisch aber ist das faszinierend, weil Ko mit einer Parallelmontage beginnt: In ihrem Zimmer tanzt eine junge Frau zu „When The Rain Begins to Fall“ von Jermaine Jackson und Pia Zadora; derweil stirbt ihr Stiefvater in der Küche zu den Klängen der elegischen Arie aus Puccinis „Madame Butterfly“. In quälender Ausführlichkeit zeigt Ko, wie mühsam es ist, einen Menschen, der sich wehrt, zu erstechen. Der Mord dauert nur eine Minute, aber es ist eine der längsten Minuten der jüngeren „Tatort“-Geschichte; und die Tat eine der sinnlosesten, wie sich später zeigt. Kurz drauf wird der junge Mann einen zweiten Mord begehen, und nun ist sein Schicksal endgültig besiegelt; die verschiedenen Hinweise auf Bonnie & Clyde verdeutlichen früh, dass das Krimidrama „Kartenhaus“ kein gutes Ende nehmen wird.

Tatort – KartenhausFoto: WDR / Thomas Kost
Andere Zeiten, andere Sitten. „Fräuleinwunder“ 2016: Ruby O. Fee (mit Rick Okon). Der Film spielt nicht nur direkt auf Oliver Stones Klassiker „Natural Born Killers“ an, sondern auch auf ähnliche Filme wie Tarantinos „True Romance“ oder Lynchs „Wild at Heart“.

Es ist klar, dass der Film diese Intensität nicht durchhalten kann, und tatsächlich nimmt das Tempo mit dem Auftauchen der Kommissare Ballauf und Schenk (Behrendt & Bär) spürbar ab. Aber das ist in Ordnung, schließlich sind die beiden doppelt so alt wie das Pärchen Laura und Adrian, das sich fortan auf den Spuren von Mickey und Mallory Knox wähnt, den verstörenden Antihelden aus Oliver Stones Gewaltsatire „Natural Born Killers“ (1994); es wird kein Zufall sein, dass Ruby O. Fees Körpereinsatz an die Laszivität von Juliette Lewis erinnert. Die junge Schauspielerin, die schon bei ihrer ersten Rolle in der sehenswerten Kika-Serie „Allein gegen die Zeit“ (2009) positiv aufgefallen ist, hatte ihren bislang wohl besten Auftritt ebenfalls in einem „Tatort“: In „Happy Birthday, Sarah“ aus Stuttgart spielte sie ein Mädchen aus einem sozialen Brennpunkt. In „Kartenhaus“ überzeugt sie vor allem in den Liebesszenen. Und Rick Okon ist immer dann am glaubwürdigsten, wenn Adrian in Aktion ist; Emotionen vermittelt er dagegen vor allem durch mahlende Kiefer. Trotzdem sind Fee und Okon eine gute Besetzung, zumal beide ziemlich attraktiv sind und gerade Fee nicht mit Reizen geizt.

Ihre Flucht führt Adrian und Laura in seine Heimat, eine heruntergekommene Hochhaus-Siedlung am Rande Kölns. Erneut zeigt sich Kos Gespür für die Kombination von Bild und Musik: Die Kamera fliegt über die Häuser hinweg, Cadrage und Montage unterstützen das große Gefühlskino, das der dialogarme Film entfaltet, und die abwechslungsreiche, perfekt dynamisierte  Musik (Dürbeck & Dohmen) besteht in diesen Szenen nur noch aus Percussionsinstrumenten. Die Liebe zum akustischen Detail offenbart sich auch in Gestalt einer klingenden Geburtstagskarte: Als Laura sie öffnet, ertönt die charakteristische Anfangsmelodie aus „When The Rain Begins to Fall“ in Dauerschleife. Auch optisch gibt es Momente, die für die Geschichte nicht wichtig sind, aber Spaß machen: Auf dem Parkplatz vor der Disco, in der Adrian kurz zuvor seinen Chef mit dessen Waffe erschossen hat, als der ihn beim Plündern der Kasse erwischt hat, schaut der junge Mann einer orangefarbenen Plastiktüte nach, die der Wind vor sich her treibt und die schließlich vor dem Auto der (allerdings erst später eintreffenden) Polizisten landet. Selbst wenn sich die Handlung des Film in drei Worten – auf der Flucht – zusammenfassen lässt: Es passiert eine ganze Menge. Einiges ist erwartbar, aber trotzdem witzig: Bei der Verfolgung eines Kleinkriminellen durch die Siedlung gerät Ballauf alsbald außer Puste, aber als der junge Mann triumphiert, prallt er gegen den dicken Bauch von Freddy Schenk, dem das Drehbuch zudem einige grimmige Kommentare in den Mund legt. Trotzdem ist „Kartenhaus“ alles andere als komisch, zumal Adrian eine ausgesprochen tragische Figur ist: Den ersten Mord hat er aus Liebe begangen, weil Laura ihm erzählt hat, ihr Stiefvater habe sie vergewaltigt; aber das Mädchen entpuppt sich als notorische Lügnerin. Mit einem Träumer als Freund eine tödliche Mischung.

Tatort – KartenhausFoto: WDR / Thomas Kost
Adrian & Laura sind nicht die typischen „Tatort“-Alibi-Youngsters, die zum Ausgleich zu den vielen „erfahrenen“ Kommissaren der Reihe erfunden werden, sondern sie haben ihren eigenen Ton, wie auch die Bildsprache zeigt. Ruby O. Fee & Rick Okon

„Täter und Motiv scheinen von Anfang an klar zu sein. Doch dann bricht das Motiv für die Tat wie ein Kartenhaus in sich zusammen und der Mörder wird zur tragischen Figur.“ (Drehbuchautor Jürgen Werner)

Werners Drehbuch hat gewisse Schwächen, zu denen unter anderem Lauras mutmaßliche Wohlstandsverwahrlosung gehört; jedenfalls bietet der Film keine andere Erklärung für ihre Schwindeleien an. Ähnlich klischeehaft sind die Mütter ausgefallen: die eine (Julika Jenkins) ist reich und herzlos, die andere (Bettina Stucky) fett und Kettenraucherin, aber ihrem Sohn in bedingungsloser Liebe zugetan. Andererseits passt das nicht schlecht zum „Wild at Heart“-liken Melo-Touch des Films, der sich ja schon in der intensiven Eingangsszene zeigt, die nicht umsonst auf eine Schlüsselszene aus Douglas Sirks „In den Wind geschrieben“ anzuspielen scheint. Gefilmt ist „Kartenhaus“ allerdings vorzüglich; beim Finale, das selbstredend auf einem der Hochhausdächer stattfindet, gelingt Kay Gauditz eine buchstäblich schwindelerregende Kamerafahrt. Außerdem hat Tobias (Patrick Abozen), der Assistent von Ballauf und Schenk, endlich mal mehr zu tun als bloß im Büro ans Telefon zu gehen, und prompt schwebt er in ähnlicher Gefahr wie seine Vorgängerin Franziska in ihrem gleichnamigen letzten Einsatz für das Kölner „Tatort“-Team; das Drehbuch war auch von Werner. Der bittere Schluss schließlich löst mit einer erneut ungewöhnlichen Schnittfolge ein, was die ganze Zeit in der Luft lag; und das ausgerechnet zu dem Song „Wonderful Life“.

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Reihe

WDR

Mit Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Patrick Abozen, Rick Okon, Ruby O. Fee, Thomas Bastkowski, Julika Jenkins, Bettina Stucky, Alexandru Cirneala, Joe Bausch

Kamera: Kay Gauditz

Szenenbild: Frank Polosek

Kostüm: Brigitte Nierhaus

Schnitt: Dora Vajda

Musik: Dürbeck & Dohmen

Soundtrack: Jermaine Jackson/Pia Zadora („When The Rain Begins to Fall“), Giacomo Puccini: “Madame Butterfly (“Un bel di vedremo”), Smith & Burrows (“Wonderful Life”)

Produktionsfirma: Bavaria Fernsehproduktion

Drehbuch: Jürgen Werner

Regie: Sebastian Ko

Quote: 10,61 Mio. Zuschauer (28% MA)

EA: 28.02.2016 20:15 Uhr | ARD

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