Er war mal bei der Militärpolizei, aber das sieht man ihm nicht an. Er hat mal Tabletten eingeschmissen, aber das ist lange her. Er war „undercover“ bei der Sitte und verliert sich gerne in Verfolgungsjagden. Aber all das weiß nur, wer seine Personalakte kennt. HK Paul Brix betritt die Frankfurter „Tatort“-Bühne wie das berühmte unbeschriebene Blatt. Anders als viele seiner Kollegen, die ihre Backstory wie einen Rucksack voller Versprechen immer mitspielen (müssen), wirft sich Wolfram Koch auf diese Normalität als sei es das Wichtigste an seiner Figur. Ist es vielleicht auch. Das neue HR-Duo machte bereits Schlagzeilen, bevor eine einzige Szene gedreht worden war: Margarita Broich hatte sich als Rollennamen „Selma Jacobi“ gewünscht. Ein Stolperstein vor ihrer Berliner Wohnung erinnert an die ehemalige Hausbewohnerin, die von den Nazis verschleppt und getötet wurde. Nach bundesweiten Protesten musste sich die Schauspielerin entschuldigen. Nun heißt ihre Figur Anna Janneke.
Fast möchte man meinen, dass Drehbuchautor Michael Prohl die meiste Energie beim Schreiben auf die Inszenierung der beiden Kommissare verwandt hat. Und zwar in die Darstellung des „nicht“: Die beiden sind nicht egomanisch. Sie sind nicht exzentrisch. Sie sind nicht einmal zynisch. Sie sind einfach nett. Zueinander und zu ihren Gesprächspartnern.
Zum Symbol für diese Zugewandtheit wird in „Kälter als der Tod“ ein Glas Kräutertee. Immer wenn Anna Janneke sich einen eingießt, kommt jemand vorbei, dem sie aus Höflichkeit oder Mitleid oder zur Gesprächsanbahnung das Heißgetränk unter die Nase reibt. Auch Paul Brix ist sich für nichts zu schade: Er putzt den verstaubten Büroschreibtisch und kriecht unter den Tisch, um das Telefon in die Dose zu stecken. Kaum ist das vollbracht, klingelt es auch schon. Kundschaft. In bestem Einvernehmen lassen die beiden Beamten den Putzlappen fallen und machen sich auf in Richtung Tatort. Sehr liebevoll und stimmig ist diese Einführung von Brix und Jannecke, und Broich und Koch spielen sie wie aus dem Handgelenk. Es ist auch dank der intimen Kameraarbeit von Philipp Haberlandt und dem liebevollen Setdesign von Károly Pákozdy ein wirklich schöner Auftakt – im Wortsinne. Denn wer von dem kongenialen Duo Florian Schwarz (Regie) und Michael Proehl (Buch) nach dem Megaerfolg von „Im Schmerz geboren“ nun aber erneut die Zertrümmerung des „Tatort“-Formates erwartet, wird von „Kälter als der Tod“ enttäuscht sein. Anders als in dem Ausnahmekrimi tanzen Schwarz und Proehl die Standardfigur des Genrekrimis nun formvollendet aus. Kein falscher Schritt, keine verpatzte Drehung – die Fallgeschichte brilliert nirgends mit Extravaganz, sondern bestenfalls mit der einen oder anderen gewagten Hebefigur (vor allem gegen Ende muss der Zuschauer schon ziemlich viele dramaturgische Zufälle kaufen). Im Zentrum steht ein Allerwelts-Einfamilienhaus, in dem aber offenbar ein Blutbad stattgefunden hat: Vater, Mutter und ein Sohn wurden beim Frühstück erschossen. Von der Tochter und ihrer Nachhilfelehrerin fehlt jede Spur. Mit intuitiver Kombinationsgabe, die Florian Schwarz in Imaginationsflashs dem Zuschauer bildlich zugänglich macht, kommen die Ermittler bald darauf, wo die beiden jungen Frauen sich befinden. Aber erst nach der Rettung von Miranda (Cox) und Jule (Deetz) häufen sich die offenen Fragen: Wer hat die beiden entführt? Warum verhält sich Onkel Martin (Knizka) so seltsam? Und was hat der Paketbote mit dem Päckchen gemacht, das er eigentlich an dem Tag der Bluttat bei den Sanders hätte abgeben sollen?
Vor allem in der Mitte des Films zerfasert die Geschichte dann zunehmend, wenngleich diese Multiperspektive immer wieder zu kleinen inszenatorischen Kabinettstückchen einladen. So ist „Kälter als der Tod“ mit seiner namhaften Besetzung (herrlich auch Roeland Wisnekker in einer liebevollen Chefparodie) und gekonnten Inszenierung auch ein Krimi mit reichlich Schauwert. Aber zunächst ist es vor allem ein Versprechen auf eine gedeihliche und hoffentlich längere Zusammenarbeit. Die Hassliebe zwischen dem Alkoholiker Frank Steier (Krol) und der Miss Wonderbra Conny Mey (Kunzendorf) hat dem HR ja nicht allzu viel Glück eingebracht. Nach nur fünf Fällen war der Traum vom Dreamteam ausgeträumt. Auch dies muss man im Hinterkopf behalten, wenn Brix und Janneke, deren Darsteller sich schon lange und gut kennen, nun so überdeutlich auf Schmusekurs gehen. Die Anschlussfolge ist bereits im Herbst abgedreht worden, Episode 3 entsteht dieser Tage in Frankfurt.