Tatort – Inferno

Hartmann, Schudt, Tezel, Okon, Brendemühl, Busch, Huber. Die Dämonen rebellieren

Foto: WDR / Thomas Kost
Foto Rainer Tittelbach

Kriminalkommissare treffen Halbgötter in Weiß. Die Systeme ähneln sich, es geht um Leben und Tod. Die einen retten, was zu retten ist, die anderen überführen Mörder. Beides hat Konsequenzen für die eigene Existenz. In „Inferno“ (WDR / Shark TV), dem 14. „Tatort“ aus Dortmund, herrscht in mehrfacher Hinsicht Ausnahmezustand. Das Unterbewusstsein meldet sich, das Kranke gewinnt die Oberhand: Faber ist wieder ganz der Alte, er brennt von innen, und er schluckt, was er kriegen kann. Richard Huber hat diesen von Autor Markus Busch klug erdachten, fast manischen Alptraum kongenial in Szene gesetzt. Die Erzählung ist nah an den Figuren, driften diese ins Hysterische ist auch die Kamera ganz bei ihnen. Die Räume überhöhen das Gezeigte. Selbst das Krankenhaus wirkt im fahlen Kameralicht eher surreal als realistisch. Ebenso präzise sind Montage & Spiel: Ein Film, der sich selbst erzählt.

Tatort Krankenhaus. Im Ruheraum der Notaufnahme findet eine Pflegerin den leblosen Körper der Internistin Dr. Mohnheim. Da die Tür von außen verschlossen ist, kann Selbstmord ausgeschlossen werden. Die Dortmunder Mordkommission ermittelt unter doppelt erschwerten Bedingungen. Die Befragten, eine Ärztin (Doris Schretzmayer) sowie das Pflegepersonal (Lisa Jopt, Niklas Kohrt), haben wenig Zeit; der medizinische Betrieb muss reibungslos weiterlaufen. Aber auch die Kommissare selbst sind nicht in optimaler Verfassung. Faber (Jörg Hartmann) schläft schlecht und wird mal wieder von Alpträumen geplagt. Auch Nora Dalay (Aylin Tezel) ist nicht frei von tiefsitzenden Ängsten, und Pawlak (Rick Okon) ermittelt zwar solide, scheint aber gelegentlich Probleme mit seinen Aggressionen zu haben. Wie so oft muss Martina Bönisch (Anna Schudt) den Laden zusammenhalten. Immer wieder muss sie Faber zurechtweisen. Der Einzige, der in der Klinik Zeit findet, sich grundentspannt zeigt, einem Flirt nicht abgeneigt ist und sogar medizinische Tipps für den seelisch angeschlagenen Faber parat hält, ist Chefarzt Dr. Dr. Norstädter (Alex Brendemühl). Er ist auch der Einzige, der Relevantes über die tote Kollegin zu berichten weiß. Dr. Mohnheim litt unter seelischen Störungen, nahm Psychopharmaka, um Job und Familie auszuhalten. Es bestätigt sich, dass die Frau kein leichtes Leben hatte: Geldsorgen, der Sohn drogenabhängig und ein Ehemann (Karsten Mielke), der zur Gewalt neigt. Da ist es wenig verwunderlich, dass die Ärztin einige Affären gehabt haben soll.

Tatort – InfernoFoto: WDR / Thomas Kost
Das Mordopfer starb mit einer Plastiktüte über dem Kopf. Nora Dalay (Aylin Tezel) macht einen Selbstversuch. Danach simuliert Faber (Jörg Hartmann) die Tat. Mit Bönisch (Anna Schudt) als Versuchsobjekt.

Die einen retten Leben, die anderen überführen Mörder. Beides hat Konsequenzen für die eigene Existenz. In „Inferno“, dem 14. „Tatort“ aus Dortmund, herrscht Ausnahmezustand. Das Unterbewusstsein meldet sich, die Dämonen rebellieren, das Kranke gewinnt die Oberhand. Im Traum erscheinen Faber seine ermordeten Liebsten, ganz real, zum Anfassen, an einem Ort, irgendwo in Dortmund. Rastlos fährt er durch die Stadt, sucht diese Stelle, um Ruhe zu finden. Und dann fragt ihn ausgerechnet dieser Dr. Dr. Norstädter: „Herr Faber, träumen Sie in letzter Zeit schlecht?“ Und mehr noch, dieser Mann scheint ihm von der Nasenspitze ablesen zu können, dass er Antidepressiva nimmt. Wenn dieser Arzt und Psychologe das alles erkennt, vielleicht kann er ihm ja auch medizinisch helfen – und seine seelischen Schmerzen lindern. Und so begibt sich Faber, haltlos und verzweifelt wie lange nicht mehr, in die Hände dieses Mannes, von dem er sich auch Hinweise für den Mord verspricht… Ganz am Ende dann fährt der Kommissar wieder durch Dortmund, gleichsam getrieben vom Erlösungsimpuls wie vom Wunsch, den Fall zu Ende zu bringen. Sein Wagen wird zur Waffe, die sich nicht nur gegen den Täter richtet, sondern auch gegen sich selbst.

Tatort – Inferno
Martina Bönisch (Anna Schudt) untersucht die Tote. Als Dr. Gisela Monheim im Ruheraum der Notfallambulanz starb, war sie nicht vollständig bekleidet. Seltsam.

Kriminalkommissare treffen Halbgötter in Weiß. Die Systeme, in denen diese beiden Berufsgruppen agieren, ähneln sich, es geht um Leben und Tod, und beide Systeme sind füreinander durchlässig. In „Inferno“ mischen sie sich regelrecht: In einem Krankenhaus ist jemand ermordet worden, und einer, der für gewöhnlich souverän Morde aufklärt, braucht dringend ärztliche Hilfe. Kein Wunder, dass ein ambulanter Pfleger den Kommissar von der traurigen Gestalt am Eingang der Klinik für einen (Notfall-)Patienten hält. Befragungen erfolgen zwischen Tür und Angel, konzentriertes Ermitteln ist kaum möglich. Und die Form des Ermittelns färbt auf die Erzählweise des Films von Grimme-Preisträger Richard Huber („Kreutzer kommt ins Krankenhaus“, „Tatort – Der Irre Iwan“) ab. Vor lauter Schiebetüren und Vorhängen fehlt der Überblick. Orientierungslos bewegt sich Faber durch die sterilen Klinikgänge. Dem Zuschauer bietet der Tatort Krankenhaus dafür reichlich Abwechslung: Das Sammeln der Fakten zum Fall wird begleitet vom Klinik-Alltag. Das Gesagte prägt sich gut ein, die Sätze sind knapp und werden durch Tätigkeiten der Befragten unterbrochen. Markant sind später vor allem die Dialoge, in denen die Kommunikation persönlicher wird. Dann öffnen Sätze (psychologische) Räume, zu denen die Kamera dem Zuschauer den Zutritt verweigert. Aber es gibt durchaus auch Bilder, die Schlüssel anbieten zum Subtext des Films: Der Kopf des Opfers steckt in einer Plastiktüte. Nora macht später selbst den Plastiktüten-Test und gerät dabei in Panik. Auch Bönisch, die mit Faber den möglichen Tathergang einmal mehr eindrucksvoll simuliert, bekommt bei diesem heftig gespielten Gerangel die Tüte übergestülpt. Selbst Faber macht noch Bekanntschaft mit der tödlichen Wirkung des schwarzen Plastiks.

Tatort – InfernoFoto: WDR / Thomas Kost
Fixpunkte der (depressiven) Geschichte. Verzweifelt sucht Faber (Jörg Hartmann) Hilfe bei Chefarzt Dr. Dr. Norstädter (Alex Brendemühl), der auch Psychologe ist.

„Inferno“ heißt dieser „Tatort“ aus Dortmund. Feuersbrünste aber gibt es hier nicht zu sehen. Faber brennt vielmehr von innen. Der toten Ärztin könnte es ähnlich ergangen sein. Huber hat diesen von Autor Markus Busch („Die Freunde der Freunde“, „Am Abend aller Tage“) klug erdachten Alptraum kongenial in Szene gesetzt. Faber steht völlig neben sich, er schluckt, was er kriegen kann, sein Geist ist umnachtet. „Sie sind verrückt geworden“, kreischt Bönisch nicht weniger „wahnsinnig“ auf ihn ein. Die Erzählung ist nah an den Figuren, driften diese ins Hysterische ist auch die Kamera ganz bei ihnen. Die Räume überhöhen das Gezeigte. Selbst das Krankenhaus wirkt im fahlen Kameralicht eher surreal als realistisch abgebildet. Die Bilder schimmern oft grünlich, warme Töne sucht man vergeblich, Rot glänzen allenfalls die Gesichter, bevor sie vor Raserei zu platzen drohen. Die Montage ist präzise, aus parallel geschalteten Szenen ergibt sich ein hoch atmosphärischer Spannungsfluss; besonders im Schlussdrittel erzählt sich der Film wie von selbst. Und jeder Schauspieler, jedes Gesicht trifft genau die Tonlage, die Busch im Buch und Huber in den Bildern anstimmen. Übermüdung, Angst, Panik, Verzweiflung, Todessehnsucht: Regisseur Huber spricht von Grauzonen; „‚Inferno‘ ist ein großer Strudel“, sagt er. Nur einer wirkt da wie ein Fels in der Brandung. Der Mann in Weiß, dem der Kommissar vertraut, ja einiges zutraut. Alex Brendemühl spielt ihn charismatisch, mit blauen Augen und voller Zuversicht. Er und der enorm physische Jörg Hartmann sind die Fixpunkte dieses „Tatorts“, der ein intensives existentielles Drama ist.

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Reihe

WDR

Mit Jörg Hartmann, Anna Schudt, Aylin Tezel, Rick Okon, Alex Brendemühl, Lisa Jopt, Doris Schretzmayer, Karsten Mielke, Niklas Kohrt, Ulrich Friedrich Brandhoff

Kamera: Robert Berghoff

Szenenbild: Ingrid Henn

Kostüm: Elisabeth Kraus

Schnitt: Knut Hake

Musik: Dürbeck & Dohmen

Redaktion: Frank Tönsmann

Produktionsfirma: Shark TV

Produktion: Gabriele Graf, Meike Savarin

Drehbuch: Markus Busch

Regie: Richard Huber

Quote: 8,63 Mio. Zuschauer (24,6% MA); Wh. (2021): 5,37 Mio. (19,4% MA)

EA: 14.04.2019 20:15 Uhr | ARD

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