Eine Frau wird beim Joggen angefallen. Sie erschlägt den Täter. Er ist ein unbescholtener Familienvater, sie eine als knallhart bekannte Richterin. War es tatsächlich Notwehr? Klara Blum kommt an jene Heike Göttler einfach nicht heran. Ein Zweikampf bahnt sich an. Die Richterin entzieht sich den Befragungen der Polizei – bis gegen sie offiziell ermittelt wird. Weshalb hat sie fünf Mal zugeschlagen? Weshalb hatte sich der getötete Angreifer ausgerechnet die Richterin als Opfer ausgesucht? Versprach sich der Sadomaso-Fan ein verbredetes Blind-Date mit ihr? Oder ist ein Dritter im Spiel, der per Internet-Kontakt einen Fremden zum Tatort geschickt hat, um Rache an der unbeirrbaren Richterin zu nehmen?
„Das ist keine Angst, die wir hier sehen – das ist Verachtung.“ Ein forensischer Psychologe schult die Konstanzer Polizisten in den sieben Grundgefühlen des Menschen und in den dazugehörigen „Mikroausdrücken“. Dieser „Flemming“-Touch steht dem Bodensee-„Tatort – Im Netz der Lügen“ gut zu Gesicht – und so wird bei den Ermittlungen ständig die Mimik der Verdächtigen gelesen. Standbilder auf Monitoren, kalte Verhörräume, überall Glasfronten, Blicke in ungeschützte Gesichter – der Mensch ein offenes Buch, den Interpretationen des Gegenübers ausgeliefert. Das schafft ein latentes Unbehagen, gibt diesem „Tatort“ eine spannende Grundtonlage. Der Nebeneffekt: auch als Zuschauer schaut man genauer hin.
Die Präzision im Detail setzt sich im Großen fort. Präzise, aber nur american-like angedeutet, ist die Psychologie der Figuren, alle Nebenhandlungen – auch die Privaten – korrespondieren mit dem Fall, selbst die kleinen Witzchen zwischendurch kreisen wie der Krimi um die Macht des Nonverbalen. Es gibt nicht die üblichen Verdächtigen, der Geschichte von Dorothee Schön reicht es, Verdachtsmomente zu streuen, leise mit Thriller-Momenten und einem geringen Mehrwissen des Zuschauers zu arbeiten, um eine gehörige Portion Spannung zu erzeugen. Am Ende reichen zwei Verdächtige für einen höchst abwechslungsreichen Krimi, der ohne große Namen auf der Gästeliste auskommt. Karin Giegerich eisklotzt sich durch den Film und zeigt, dass es auch andere gute Schauspieler außer Karoline Eichhorn gibt, die eine solche Rolle eindrucksvoll spielen können. Und Regie-Routinier Winczewski beweist, dass er – hat er nur eine gute Vorlage – es auch nicht unbedingt immer vermasseln muss. „Im Netz der Lügen“ ist ein typischer Fall für die beliebte Kritiker-Floskel: „Weniger ist mehr!“