Ein Novum in der über 40-jährigen „Tatort“-Geschichte: Vier Kommissare ermitteln in zwei Städten in zwei miteinander verbundenen Krimis. Beide funktionieren als eigenständige Filme, haben abgeschlossene Geschichten, doch sie lassen sich auch als Fortsetzungsfolgen sehen. In „Kinderland“ (MDR) und „Ihr Kinderlein kommet“ (WDR) geht es um Straßenkinder und Kindesmissbrauch. Die Kölner Kommissare Schenk und Ballauf sowie ihre Leipziger Kollegen Saalfeld und Keppler sind an beiden Schauplätzen gemeinsam im Einsatz. Beide Drehbücher stammen von Jürgen Werner, Regie führte jeweils Thomas Jauch. Solche Crossover-Amtshilfegeschichten sind grundsätzlich von der Idee her spannend. Wären die Ergebnisse nur nicht so ausrechenbar. Die WDR-Produktion funktioniert freilich einen Tick besser.
Foto: WDR / Willi Weber
Der „Tatort: Kinderland“ endet in dem Moment, wo Anna zu einem Mann ins Auto steigt und mit ihm nach Köln fährt. Und da dockt die WDR-Folge „Ihr Kinderlein kommet“ an. Dieser Mann hat jetzt Anna in seiner Gewalt, frisiert und schminkt sie exakt nach dem Ebenbild von Mädchen-Fotos, die seinen Frisierspiegel zieren. Derweil entdecken Ballauf und Schenk Spuren der vermissten Anna an einem Wagen auf einem Kölner Schrottplatz. Kurz darauf werden drei Mädchenleichen aus dem Rhein gefischt. Für die Kommissare ist klar, dass es sich um einen Serientäter handeln muss. Die Suche nach Anna beginnt, Hilfe erhalten sie dabei von den Leipziger Kollegen… War der MDR-Fall noch als klassischer Whodunit-Krimi erzählt, so kennt der Zuschauer im Kölner Fall den Bösewicht samt Helfer und beobachtet das Kripo-Quartett bei der Jagd nach Anna. Das wirkt frischer und einfallsreicher als in „Kinderland“. Nur den Beziehungen zwischen den beiden Duos fehlt es auch in der Fortsetzung an Originalität: Ballauf und Keppler sind weiter sehr reserviert zueinander, Schenk hingegen umgarnt seine Kollegin Saalfeld. Dabei setzt man auf mehr Witz, doch der will bei dieser Doppel-Konstellation mit eingebautem Dauer-Betroffenheitsblick nicht so recht zünden.
Auch „Ihr Kinderlein kommet“ lebt – wie meist bei den Kölner „Tatort“-Kommissaren – von der Betrachtung sozialer Wirklichkeit und genau darin liegt das Problem: Der Krimi hat stellenweise etwas von einem VHS-Vortrag zu gesellschaftlichen Entwicklungen und Problembereichen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Szene, in der Ballauf und Schenk am Imbiss-Wagen bei Kölsch und Currywurst (ober)lehrerhaft die reale Statistik zum fiktiven Fall herunterbeten – nach dem Motto: „Wusstest du, dass jährlich in Deutschland 1500 Kinder als vermisst gemeldet werden?“. Basidaten im Schnelldurchlauf zum Abhaken und im Hintergrund als Hochglanz-Postkarten-Ansicht das Kölner Wahrzeichen, der Dom…
Prinzipiell sind solche „Tatort“-Crossover-Projekte zu begrüßen. Doch der Schulterschluss zwischen Köln und Leipzig ist nicht allzu glücklich. Die beiden Teams sind sich in ihrer Herangehensweise einfach zu ähnlich. Interessant dürfte die Zusammenarbeit allenfalls quotentechnisch sein. Es gäbe sehr viel bessere Konstellationen: Vielleicht sollte man die kantigen Hessen auf die komischen Münsteraner loslassen oder die gewitzten Bayern-Buddies auf die spröde Einzelkämpferin Lindholm im Norden. Da wäre dramaturgischer und spielerischer Sprengstoff drin. Bleibt zu hoffen, dass das Duo Jürgen Werner (Buch) und Thomas Jauch (Regie) bei seinem nächsten gemeinsamen Projekt origineller agiert: Beide basteln derzeit an den ersten beiden Fällen für den neuen „Tatort“ aus Dortmund.