Tatort – Hochamt für Toni

Hinrichs, Manzel, Martens, Lange, Krummenmacher. Der Kommissar erinnert sich

Foto: BR / X-Filme CP / Heiden
Foto Thomas Gehringer

Mord und Melancholie in der Oberpfalz: In der „Tatort“-Episode „Hochamt für Toni“ (BR / X-Filme Creative Pool) sind das Vorleben von Kommissar Felix Voss (Fabian Hinrichs) und ein Kriminalfall im ländlichen Umfeld miteinander verbunden. Die persönliche, emotionale Dimension bei diesem Ausflug des Franken-Teams überzeugt, die Krimi-Konstruktion um eine streng patriarchale Unternehmer-Familie ist mitunter schwer nachvollziehbar. Die Besetzung der Reihen-Hauptrollen mit Hinrichs und Dagmar Manzel erweist sich jedoch wieder als erstklassig.

Im neunten Film mit Fabian Hinrichs und Dagmar Manzel als Nürnberger „Tatort“-Duo steht vor allem Kommissar Felix Voss im Mittelpunkt: Als Student in Berlin erlebte er eine Ménage-à-trois, die bei ihm noch heute starke Erinnerungen wach ruft. Mit mehreren, immer deutlicher werdenden Flashbacks erzählt Regisseur Michael Krummenacher von den tiefen Gefühlen dieser Dreiecksbeziehung, insbesondere von Voss‘ Liebe zu Antonia (Sina Martens), genannt Toni. Der Dritte im Bunde war Marcus Borchert (Pirmin Sedlmeir), der mittlerweile als Priester in Tonis kleinem Heimatort in der Oberpfalz tätig ist und seinen alten Freund zu einem Wiedersehen einlädt. Doch es kommt nur zu einer kurzen Begrüßung, denn Borchert eilt zur Vorbereitung eines Gottesdienstes und wird kurz darauf in der Sakristei erstochen. Die örtliche Polizei vermutet einen Raubmord, weil zwei wertvolle Kreuze fehlen. Voss dagegen wird misstrauisch, weil Borchert offenbar Geheimnisse über den vermeintlichen Selbstmord der ehemals gemeinsamen Freundin Toni enthüllen wollte. In der Kirche hatte Borchert bereits Beamer und Leinwand aufbauen lassen, aber auch das Laptop des Priesters ist verschwunden und seine Wohnung wurde ebenfalls durchsucht.

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Ringelhahn (Dagmar Manzel) ist als mütterliche Freundin gefragt. Fabian Hinrichs

Im letzten Film, den die im März 2023 verstorbene Leiterin der BR-Redaktion Reihen und Mehrteiler, Stephanie Heckner, betreute, verlässt das nach Senderangaben von ihr erfundene und wesentlich mitgestaltete „Tatort“-Team aus Franken die Großstadt Nürnberg. Die Teamarbeit tritt etwas in den Hintergrund, doch Kommissarin Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) ist in mehrfacher Hinsicht eine wichtige Stütze für den emotional stark in den Fall verwickelten Voss. Sie vermittelt im Kompetenzgerangel mit dem Oberpfälzer Kommissar Hans Bartram (gespielt vom Kabarettisten Bernd Regenauer), hält Voss gegenüber dem Vorgesetzten Dr. Kaiser (Stefan Merki) den Rücken frei und ist Vertraute und wichtigste Ratgeberin für Voss. Diese Rollenverteilung mit einer erfahrenen Kommissarin und einem jüngeren Kollegen ist im „Tatort“-Universum einzigartig – wobei nach dem Einstieg von Corinna Harfouch in Berlin zumindest eine ähnliche Konstellation gegeben ist.

Und die Besetzung der Reihen-Hauptrollen erweist sich auch hier wieder als erstklassig. Während Dagmar Manzel den eigenwilligen Fall mit ihrer energischen und gewitzten Spielweise erdet, mimt Hinrichs auf seine typisch spröde und doch empathische Art einen Mann, den die großen Gefühle aus einem vergangenen Lebensabschnitt einholen und der sich deshalb mit existenziellen Fragen herumschlägt wie: Was wäre gewesen, wenn…? Ein Mann mittleren Alters, der in melancholische Stimmung versinkt – das könnte auch schnell anstrengend oder gar peinlich werden. Aber Hinrichs spielt seine Rolle ohne Selbstmitleid und ohne übertriebenes Pathos, und wenn sich Voss und Ringelhahn in den Arm nehmen, ist da kein Hauch einer falschen Gefühligkeit zu spüren.

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Einblicke in die amouröse Vergangenheit des Kommissars. Und es war Sommer. Voss (Fabian Hinrichs) als Student und die junge Toni (Sina Martens) verliebt am See.

Drehbuch-Autor Bernd Lange verzichtet klugerweise darauf, die Ménage-à-trois der Vergangenheit detailreich auszuschmücken. Man erfährt nicht wirklich, wie sich das Trio kennenlernte, was Felix, Toni und Marcus miteinander verband und wieder auseinander brachte. Wichtig ist allein die emotionale Erinnerung, die Voss geblieben ist und die den Kommissar zum energischen Ermitteln antreibt. Dagegen wird frühzeitig und sehr offenkundig deutlich, dass des Rätsels Lösung innerhalb Tonis Familie liegen muss, die ihre Tochter und Schwester, die abseits bei den Selbstmördern an der Friedhofsmauer begraben liegt, am liebsten zu verleugnen scheint. Die Kriminalgeschichte kann jedoch nicht wirklich überzeugen. Es beginnt mit Ungereimtheiten: Wieso händigt die Polizei einem Priester Beweisstücke aus? Warum sollte Marcus Borchert seine Entdeckung in einem „Hochamt für Toni“ öffentlich präsentieren wollen? Wie sich später herausstellen wird, sind die entscheidenden Details auf einem wackligen, unscharfen Video kaum zu erkennen – und somit auf einer Leinwand in der Kirche schon mal gar nicht.

Immerhin ist es filmisch reizvoll, wie Lange und Krummenacher den Mittelstand aus der Oberpfalz skizzieren: Die Familie Hentschel ist mit dem Handel von Autoteilen zu Wohlstand gekommen und lebt nun samt Butler in einem fürstlichen Palast. Abends tafelt man wie im 19. Jahrhundert bei Kerzenschein, was bestens passt, weil bei den Hentschels das Patriarchat noch unangefochten gilt. Wenn Familienoberhaupt Johannes Hentschel (André Jung) an den Tisch tritt, erheben sich seine beiden Söhne Christian (Johannes Allmayer) und Lukas (Sebastian Zimmler) wie gut abgerichtete Hausangestellte. Auch seine im Rollstuhl sitzende Gattin Anna (Marita Breuer) scheut jedes Widerwort. Es herrscht allerdings dicke Luft, denn Tonis jüngere Schwester Eva (ebenfalls dargestellt von Sina Martens) verspätet sich. Sie hatte Kommissar Voss an den Ort gebracht, an dem sich Toni angeblich umbrachte – und beide waren dort von einem Unbekannten beschossen worden. Voss Hartnäckigkeit soll wohl der Grund sein, warum die markant gezeichneten Figuren schwer nachvollziehbare 180-Grad-Wendungen vollziehen. Der Überraschungseffekt ist zwar groß und sorgt auch für ein spannendes und berührendes Ende, aber eine plausible Geschichte wird nicht daraus.

Tatort – Hochamt für ToniFoto: BR / X-Filme CP / Heiden
Finster: der Hentschel-Clan. Johannes Allmayer, André Jung & Sebastian Zimmler

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Reihe

BR

Mit Fabian Hinrichs, Dagmar Manzel, Sina Martens, André Jung, Marita Breuer, Johannes Allmayer, Sebastian Zimmler, Eli Wasserscheid, Bernd Regenauer, Stefan Merki, Pirmin Sedlmeir, George Meyer-Goll

Kamera: Jakob Wiessner

Szenenbild: Debora Reischmann

Kostüm: Sylvia Risa

Schnitt: Petra Scherer

Musik: Ina Meredi Arakelian

Redaktion: Stephanie Heckner

Produktionsfirma: X Filme Creative Pool

Produktion: Michael Polle

Drehbuch: Bernd Lange

Regie: Michael Krummenacher

EA: 04.06.2023 20:15 Uhr | ARD

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