Irmgard Wernicke, eine betagte Rentnerin, will einen Mord gesehen haben. Im Haus gegenüber habe sie beobachtet, wie Weinhändler Benkelmann seine Frau vergiftet hat: unauffällig ein paar Tropfen Gift in die Suppe, dann das Licht gelöscht und später für Stunden mit zwei Messern im Bad verschwunden. Obwohl beim jovialen Nachbar sich die Mordgeschichte in Wohlgefallen aufzulösen scheint, denn die werte Gattin soll sich auf einer Reise nach Portugal befinden, glauben die Kommissare Ritter und Stark der einsamen, alten Frau, die geistig vollkommen fit wirkt. Skeptisch werden sie erst, als sie auf die Parallelen mit Hitchcocks „Das Fenster zum Hof“ aufmerksam gemacht werden. Der Film lief erst wieder im Fernsehen – und Frau Wernicke hat ihn gesehen. Also doch ein Phantasie-Mord?
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„Hitchcock und Frau Wernicke“ ist endlich mal wieder ein Hauptstadt-würdiger „Tatort“. Erzählt als Kammerspiel-Krimi mit denselben Mitteln wie Hitchcocks Hinterhof-Thriller, erweist Autor-Regisseur Klaus Krämer dem großen Vorbild gleich doppelt seine Referenz: außer dem Stewart/Kelly-Meisterstück wird auch noch der britische Kriminalfilm „The Lady Vanishes“ lustvoll zitiert. Nachdem Benkelmanns depressive Frau in Lissabon angekommen ist und der ebenso freundliche wie monströse Weinhändler Frau Wernicke einen Hausbesuch abstattet, verschwindet die alte Dame spurlos! Die Kommissare machen sich Vorwürfe. Und so sitzt immer wieder einer in der abgedunkelten Wohnung der verschwundenen Frau und beobachtet mit dem Fernglas den Strohwitwer wie einst James Stewart bei Hitchcock.
Eine köstliche Grundidee, eine gekonnte Ausführung mit kleinen Spannungsausschlägen und ein Ermittler-Duo, das angenehm auf ernst und streng getrimmt und deren sonst so häufig nervende urbane Single-Egozentrik aus dem Fall herausgebürstet wurde. In „Hitchcock und Frau Wernicke“ ist allein die Dame mit dem Fernglas wichtig. Diese alte Frau, die nichts hat außer ihrem Hinterhof, dem Fernseher und den zwei Besuchern täglich, der Pflegerin und dem Zivi, der ihr das Essen bringt. Im Zwielicht ihrer Wohnung gibt es eine äußerst anrührende Szene zwischen Wernicke und Ritter. Die Schnittchen erinnern den Kommissar an seine Mutter, die er vor ihrem Tod nur noch selten gesehen hat und die eine Woche lang tot in der Wohnung lag, bevor sie gefunden wurde. Wernicke, die Barbara Morawiecz zum Leben erweckt, bohrt, fragt nach und Ritter kann sich seiner Trauer nicht erwehren. Die Szene ist ein wunderbarer Kontrapunkt zum Krimi-Geschehen. Dieser Wechsel zwischen Tiefgang & Genre-Ironie, zwischen Strenge & Leichtigkeit machen den „Tatort“ zu etwas Besonderem.