Porno-Lust & viel Frust beim Ermitteln in der Hardcore-Szene
„Dieses ganze perverse Scheißzeug“: Ivo Batic (Miroslav Nemec) ist angeekelt. Ermittlungen in der Pornobranche haben er und Kollege Leitmayr (Udo Wachtveitl) nicht alle Tage. Aber diesen Spießermuff aus Sperma und Pisse, der sich nach außen glamourös und luxusgeil gibt, kotzt sie bald dermaßen an, dass sie im Fall um eine getötete junge Frau aus der Branche einfach nicht weiter kommen. Während Kalli (Ferdinand Hofer) und Ritschy (Stefan Betz) das umfangreiche Filmmaterial eines Gangbang-Videos aus der Tatnacht nach möglichen Verdächtigen auswerten, begeben sich die Hauptkommissare direkt und leibhaftig in die weißblauen Schmuddelecken. Über eine Freundin der Toten (Luise Heyer), eine Ex-Porno-Actrice, geraten sie bald an zwei rivalisierende Produzenten, Sam Johnson (Markus Hering) und Olli Hauer (Frederic Linkemann). Letzterer hatte die Produktion zu verantworten, nach welcher Marie Wagner alias Luna Pink (Helen Barke), die hauptberuflich Altenpflegerin war, brutal zu Tode kam. Unter Verdacht gerät auch der Vater der Toten, zu dem sie allerdings zuletzt keinen Kontakt mehr gehabt haben soll. Dass die Kommissare den Mann kennen, verkompliziert den Fall: Es ist Rudolf Kysela (Götz Schulte), der Oberstaatsanwalt.
Ein Herz für die Pornobranche? Sich offenbar zu viel vorgenommen!
In einem „Tatort“ die Pornoindustrie und die deutsche Doppelmoral ein bisschen aufs Korn nehmen und dabei noch mit ein paar Klischees aufräumen – warum nicht!? Liest man allerdings den ausführlichen Text des sichtlich hoch engagierten Autor-Regisseurs Philip Koch im BR-Pressedossier wundert man sich nicht darüber, weshalb sich bei dem „Tatort – Hardcore“ am Ende der Eindruck verfestigt, dass sich die Macher hier ein bisschen verhoben haben. Da wird ein „gesellschaftspolitischer Anspruch“, aber auch der „Mut zum Ekel“ formuliert, eine „Milieustudie“ und „ein spannender Krimi“ anvisiert. Und weiter heißt es: „Da der Film den Sex nicht zeigen darf, soll er die Sache knallhart aussprechen. Um Bewusstsein zu schaffen. Denn wo nicht über Sex, Lust und vor allem die prekäre Grenze zur Perversion gesprochen wird, nur dort entsteht Missbrauch.“ Das klingt alles reichlich apodiktisch, da werden viele Buhmänner ausgemacht und Vorurteile behauptet. Vielleicht liegt das im Wesen der Sache: Der Text könnte das Exposé gewesen sein, mit dem man Produktion und/oder Redaktion überzeugen wollte. Das jedenfalls ist gelungen. Philip Koch will zu viel, muss sich dann aber auch an seinem Anspruch, den der Film erfreulicherweise nicht so plakativ vor sich her trägt, messen lassen. Leider überzeugt dieser „Tatort“ weder so richtig als informativer Einblick in die Szene, noch als kritisches-Diskurs-Drama, noch als Krimi. (Da „Hardcore“ aber eine Klasse für sich ist, was das visuelle Konzept und ganz besonders die Bild-Ideen angeht – Pornografie wird nicht gezeigt, aber ist dennoch präsent – und der Film das Thema mutig angeht, habe ich mich beim zweiten Sehen dann für 4 Sterne entschieden!)
Haltungen zum Thema brav auf das umfangreiche Personal verteilt
Dieses Schattenboxen und insbesondere die Parteinahme für die, die sich ohne äußere Zwänge fürs Pornomachen entschieden haben, wird im Film – vielleicht auch unter der Mitwirkung des Jugendschutzes – dann doch ein ganzes Stück relativiert. Die von Koch & Ko-Autor Bartosz Grudziecki angenommene gesellschaftliche Haltung zum Thema Porno spiegelt sich in der Vielzahl der Figuren wider. Da ist der rigorose „Saubermann“ Batic, der sehr viel liberalere Leitmayr, da sind die Produzenten, keine Männer zum Gernhaben, aber eben auch keine „versauten Perverslinge“ (Koch), sondern eher arme Profi-Schweine in einer Branche, die immer mehr von Amateuren bestimmt wird, da sind die Mädels und Männer vor der Kamera, für die Sex mal banaler Alltag ist, mal deprimierende Routine und mal ein Stück weit das Ausleben ihrer sexuell(narzisstisch)en Bedürfnisse („Nicht denken, keine Scham, einfach nur ficken“) ermöglicht. Und dann sind da noch die, die zuschauen, konsumieren und mitmachen – sei es im Film oder vor dem Bildschirm. Die spricht Koch direkt in der Eingangssequenz an: Männer hinter Masken in sexueller Verzückung, artifiziell verfremdetes Begehren – eine der besten Ideen und Szenen des Films. In der Schlussszene wird das Zuschauer-Motiv noch mal aufgenommen und auf ein prägnantes Bild gebracht: Hass/Ekel & Faszination liegen ganz nah beieinander. Diese Botschaft vermittelt sich gut. Anders ist es mit dem Aufräumenwollen von Klischees. Das bringt gelegentlich selber Klischees hervor. Zumindest wirkt die offensiv mit saloppen Sexismen durchsetzte Sprache („Da spritzt kein Schwanz drauf ab“) mitunter ziemlich gewollt, und sie bestätigt ein Stück weit die unsympathischen Klischeefiguren.
Ein grundsätzlicher EINWURF
Das Thema Pornografie mal eben im „Tatort“ abhandeln zu wollen, auf einer vordergründigen Handlungsebene, ist bestenfalls blauäugig. Das Phänomen „Porno“ hat sich fundamental in unsere Gesellschaft, unsere Alltagskultur eingeschrieben, in eine Kultur der Bilder, die sehr viel komplexer funktioniert als die spezifischen sexuellen Bedürfnisse Einzelner. Wer einen Film zu diesem Thema macht, sollte davon ein Bewusstsein haben. Es geht eben nicht nur – wie es im Film ständig heißt – ums Abspritzen, sondern es geht eben auch um Machtverhältnisse, die sich durch die real existierende Pornografie verfestigen. Ein bisschen Semiologie und Feminismus können auch heute nicht schaden.
Mehrwert? Weder Erkenntnis stiftendes Drama noch spannender Krimi
Dass einem hier letztlich doch eine Galerie an Stereotypen präsentiert wird, liegt unter anderem auch an dem für einen ernsthaften „Themenfilm“ zu großen Personal, welches offensichtlich dem Whodunit, also dem Krimi-Genre, geschuldet ist. Dadurch kommt das Drama zu kurz, bleibt der Plot zu plakativ, das Erzählte, die Tragödien, an denen sich Regisseur Koch im Schlussdrittel weidet, zu vordergründig. Eine stärkere Konzentration auf die interessanteste, weil ambivalenteste Figur des Films, die von Luise Heyer gespielte Freundin der Toten, die offensichtlich im Sex vor der Kamera etwas ausleben kann, was ihr im normalen Leben nicht möglich ist, hätte der Geschichte gut getan. Von ihr ausgehend, einer sympathischen jungen Frau, hätte man genau die Sensibilisierung für die sehr speziellen Vorlieben der Lust, die die Macher im Sinn hatten, erzielen können. Statt dessen hält man sich ans dramaturgische Biedermeier, indem man die verschiedenen Positionen zum Thema brav auf das umfangreiche Personal verteilt. Und für den Krimi erscheint diese Revue der potenziellen Täter wenig stringent. Aus der Handlung ergeben sich keine Spannungsangebote. Was nicht schlimm wäre, wenn sich zum Ausgleich kleine menschliche Dramen ergeben würden. Aber diese – siehe oben – kommen einfach zu kurz. (Text-Stand: 12.9.2017)