Tatort – Gefangen

Behrendt, Bär, Hamann, Döhler, Vetter, Wortberg, Isa Prahl. Zwei verletzte Seelen

Foto: WDR / Thomas Kost
Foto Tilmann P. Gangloff

In dem ungewöhnlich eindringlichen „Tatort“ aus Köln wird Ballauf von seinen Dämonen heimgesucht: In einem früheren Fall hatte er eine Kollegin erschießen müssen; deren Geist lässt ihm nun keine Ruhe mehr. Dieses Trauma macht ihn zum Seelenverwandten einer Frau, die anscheinend zu Unrecht in der Psychiatrie festgehalten wird. „Gefangen“ (WDR / Bavaria Fiction) von Christoph Wortberg & Isa Prahl ist enorm spannend, wenn auch nicht im Sinne eines Thrillers. Die Intensität resultiert vor allem aus der psychischen Instabilität Ballaufs, die durch einen simplen, aber wirkungsvollen optischen Effekt noch verstärkt wird. Die Bildgestaltung ist ohnehin besonders – und die Arbeit mit den Schauspielern exzellent.

Im vergangenen Jahr erlebte der Kölner „Tatort“-Kommissar Max Ballauf eine seiner schwersten Stunden, als er eine Kollegin erschießen musste. Der Krimi trug den ebenso schlichten wie treffenden Titel „Kaputt“. Nun folgt mit Episode 79, „Gefangen“, die Fortsetzung, denn das Trauma lässt Ballauf (Klaus J. Behrendt) nicht los. Dank eines simplen, aber wirkungsvollen Bildeffekts (Naheinstellungen mit kurzer Brennweite) wirkt er regelrecht entrückt. Der Film beginnt mit einer Sitzung bei Polizeipsychologin Rosenberg (Juliane Köhler), mit der den Polizisten mehr als bloß berufliche Belange verbinden. Der Sekunden-Zeiger rast dahin; Ballauf sagt kein Wort. Auch die Gespräche mit dem Freund und Kollegen Schenk (Dietmar Bär) verlaufen einseitig. Seine Ermahnungen beantwortet er mit Schweigen.

Tatort – GefangenFoto: WDR / Thomas Kost
Als ob ihn der tote Professor nichts angehen würde: Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) ist zwar im Dienst, aber er steht vollkommen neben sich. Joe Bausch & Dietmar Bär

Diese Ebene der Geschichte – das Drehbuch ist von Christoph Wortberg, der für das Kölner Duo auch die Episoden „Familien“ und „Nachbarn“ geschrieben hat – bildet zwar nur den Hintergrund für den eigentlichen Fall, nimmt aber immer wieder Einfluss auf die Ermittlungen, die die Kommissare schließlich in die geschlossene Abteilung einer psychiatrischen Klinik führen. Deren Chefarzt, Professor Krüger, ist erschossen worden. Seine letzte SMS, verschickt an einen alten Freund, galt einer Patientin. Diese Julia (Frida-Lovisa Hamann) entpuppt sich als Schicksalsgefährtin Ballaufs, weshalb die beiden rasch einen guten Draht zueinander finden. Die junge Frau hat laut Krüger eine Borderline-Persönlichkeits-Störung und leidet zudem unter einer Psychose, die durch eine Schwangerschaft ausgelöst worden ist; sie hingegen ist überzeugt, dass sie längst geheilt ist und ihr Unrecht geschieht.

Tatsächlich findet Ballauf mit Hilfe von Lydia Rosenberg heraus, dass Julias Verdacht begründet ist: Sollte die Diagnose zutreffen, würde die von Krüger gewählte Therapie das Krankheitsbild sogar noch verstärken. Julia hätte also durchaus Grund, sich an dem Arzt zu rächen, aber sie hat ein ähnlich hieb- und stichfestes Alibi wie ein Gefängnisinsasse. Außerdem gibt es noch jemanden, der mit Krüger eine alte Rechnung offen hatte, und nun rückt auch dessen Freund ins Visier der Ermittlungen: Strafverteidiger Weiss (Andreas Döhler) kümmert sich zusammen mit seiner Frau um das Baby von Julia; Christine Weiss (Franziska Junge) ist ihre Schwester. Krüger ist mit der Pistole des Anwalts erschossen worden, aber das ergibt aus Ballaufs Sicht alles keinen Sinn.

„Gefangen“ ist durchgehend spannend, wenn auch nicht im Sinn eines Thrillers; die Intensität resultiert vor allem aus der psychischen Instabilität des Kommissars. Immer wieder taucht vor seinem geistigen Auge die erschossene Kollegin Melanie Sommer (Anna Brüggemann) auf. Beim Schießtraining steht sie plötzlich zwischen Ballauf und der Zielscheibe. Er ballert sein Magazin leer, aber nun erscheint sie neben ihm: „So funktioniert das nicht, Herr Ballauf. Ich bin schon tot.“ Selbst im Schwimmbad schwebt sie wie ein Phantom unter Wasser. Kein Wunder, dass der Kommissar angesichts dieses fortgesetzten Rendezvous’ mit einer Leiche das Gefühl hat, verrückt zu werden.

Tatort – GefangenFoto: WDR / Thomas Kost
Zwischenfall in der geschlossenen Abteilung der psychiatrischen Klinik. Julia Frey (Frida-Lovisa Hamann), Dr. Maren Koch (Adina Vetter) und Dennis (Thomas Schubert)

Isa Prahl hätte diese Szenen auch wie Momente aus einem Horrorfilm inszenieren können, aber sie verzichtet auf jegliche Schock- oder Gänsehauteffekte; es geht allein darum zu dokumentieren, dass Ballauf ein ganz erhebliches Problem hat. Eine Einstellung gleich zu Beginn zeigt Ballauf, dem angesichts von Krügers Leiche schlecht wird, regelrecht in die Ecke gedrängt, während das Bild ansonsten schwarz bleibt. Ähnlich ausgeklügelt ist eine Einstellung, bei der die Kamera (Moritz Anton) ein kleines Stück zur Seite fährt, und schon eröffnet sich eine neue Perspektive. In den wichtigen Szenen ist sie aber stets ganz nah an den Figuren, was gerade den Gesprächen zwischen Ballauf und Julia eine große Nähe verleiht. Hier erlebt Ballauf endlich die nötige Therapie, denn sie kann als einzige nachvollziehen, was in ihm vorgeht: „Wir sitzen beide in einem Gefängnis; ich in dieser Klinik und Sie in ihrem Kopf.“ In Julias düster-morbiden und eigens für den Film angefertigten Zeichnungen wiederum erkennt der Kommissar die Verletztheit der eigenen Seele.

Vor ihrem „Tatort“-Debüt hat Prahl zuletzt im Rahmen der ZDF-Reihe „Friesland“ die sehenswerte Folge „Hand und Fuß“ und zuvor für den NDR mit „Was wir wussten – Risiko Pille“ gedreht. Der Tatsachenfilm über die Gefahren der Anti-Baby-Pille hatte gewisse Schwächen, weil das Drama zuviel Zeit mit einer Nebenebene vertat und einige Figuren überzogen waren. Eine solche Rolle gibt es auch in „Gefangen“: In der Klinik tummelt sich unter anderem ein anarchischer Patient, der mit der Geschichte rein gar nichts zu tun hat, aber seit „Einer flog übers Kuckucksnest“ darf dieser Typus in keinem Anstaltsfilm fehlen. Darüber hinaus hat die Geschichte zwei wichtige inhaltliche Schwachstellen, die allzu offenkundig sind, um nicht weiter ins Gewicht zu fallen: Seltsamerweise stellt niemand die Frage, wer der Vater von Julias Baby ist; und erfahrene Krimi-Fans ahnen viel früher als die beiden Kommissare, welches Motiv sich hinter dem Komplott gegen sie verbirgt. Davon abgesehen bewegt sich „Gefangen“ auf hohem „Tatort“-Niveau: Die Arbeit mit den Schauspielern ist exzellent, die Bildgestaltung von den Aufnahmen im nächtlichen Schwimmbad bis hin zu den Blicken direkt in die Kamera gegen Ende sehr besonders; die Musik von Volker Bertelmann („Hauschka“) hält sich unauffällig im Hintergrund, unterstreicht aber Ballaufs Gefühl der völligen Isoliertheit. Und dass Anna Brüggemann bereit war, für ihre wenigen und zudem meist stummen Auftritte noch mal in die Rolle der Polizistin zu schlüpfen, ist aller Ehren wert.

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WDR

Mit Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Frida Lovisa Hamann, Andreas Döhler, Adina Vetter, Roland Riebeling, Juliane Köhler, Franziska Junge, Joe Bausch, Thomas Huber, Kyra Sophia Kahre. Als Gast: Anna Brüggemann

Kamera: Moritz Anton

Szenenbild: Stefan Schönberg

Kostüm: Holger Büscher

Schnitt: Daniel Scheuch

Musik: Volker Bertelmann

Redaktion: Götz Bolten

Produktionsfirma: Bavaria Fiction

Produktion: Jan Kruse

Drehbuch: Christoph Wortberg

Regie: Isa Prahl

Quote: 9,36 Mio. Zuschauer (26,8% MA); Wh (2022): 6,50 Mio. (23,7% MA)

EA: 17.05.2020 20:15 Uhr | ARD

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