Eine Fahrzeugkontrolle endet tödlich. Die junge Polizistin, bleibt nicht das einzige Opfer. Wenig später findet die Polizei den Fluchtwagen, ausgebrannt, im Kofferraum eine verkohlte Leiche, erwürgt und zwei Finger gebrochen. Offensichtlich haben es Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Batic (Miroslav Nemec) mit einem brutalen oder zumindest extrem angespannten Täter zu tun. Bei der Fahrzeugkontrolle hat der Mann nicht lange gefackelt, wie der Streifenkollege feststellen musste. Das passt zum Milieu, das sich durch den zweiten Toten auftut: die Gamer-Szene um Online-Shooter, die von Ruhm und schnellem Geld träumen – und dies manchmal auch mit illegalen Mitteln versuchen. Die Schwester des Toten (Lea von Acken) gibt sich zunächst ausgesprochen einsilbig. Dafür kommen die Kommissare und der in der Gamer-Welt bewanderte Kalli (Ferdinand Hofer) mit Hilfe eines Jungstars der Szene (Yuri Völsch) an zahlreiche Namen der anonymen Spieler jener Gruppe, in der sie den oder die Täter vermuten. Viel Zeit bleibt nicht, da der Teenager, der gegen den Willen seiner Mutter (Marie Burchard) von seinem Vater (Oliver Wnuk) gefördert wird, vor seinem ersten großen Turniertriumph steht. Beim Finale dieses Counterstrike-Turniers scheinen alle Fäden zusammenzulaufen. Das Brisante dabei: Die Gamer jener Gruppe, die sich Munich Sheriffs nennen, arbeiten vornehmlich im Polizeidienst.
Foto: BR / Thomas Neumeier
Der „Tatort – Game Over“ beginnt als Whodunit-Krimi, der die Ermittlungsarbeit des dreiköpfigen Ermittlerteams, das immer wieder von Spezialeinheiten unterstützt wird, minutiös darstellt. Es kommt dennoch keine Langeweile auf. Denn es geht Schlag auf Schlag, und außerdem besitzt diese fremde, seltsame Welt, in die das Autorenduo Stefan Holtz & Florian Iwersen sowie Regisseur Lancelot von Naso den Zuschauer entführen, psychologisch, soziolo-gisch aber auch filmisch einen besonderen Reiz. Nach einer knappen Stunde haben die Ermittler den Täter an der Angel, aber sie kriegen den unberechenbaren, gefährlichen Fisch nicht aus dem Wasser. Während der Film bis dahin vor allem von einem abwechslungs- und temporeichen Handlungsfluss getragen wird, bei dem sich der Zuschauer in der Rolle des interessierten, aber nicht mehrwissenden Beobachters befindet, nehmen im Schlussdrittel emotionale Dramatik und situative Spannung deutlich zu. Das Vor-Finale in einer von Gamer-Fans lautstark bevölkerten Veranstaltungshalle, ist ein grandioser Hintergrund für eine telegene Mörderjagd, in der die Münchner Silberlocken, mal wieder mit Schussweste, keine schlechte Figur abgeben. Zwar hängt der Täter bei einer ersten Verfolgungsjagd in München Batic noch locker ab und mögen er und Leitmayr beim Schlusseinsatz „etwas mehr Schweiß auf der Stirn als ihre jüngeren Kollegen“ (von Naso) haben, so wissen die erfahrenen Profis doch, wie man eine gefährliche Geiselnahme entschärft…
Foto: BR / Thomas Neumeier
„Game Over“ biedert sich nicht beim jugendlichen Publikum an, erst recht nicht bei der Community. Echte Gamer werden ohnehin um „Tatort“ und um diesen ganz besonders einen weiten Bogen machen. Denn auch wenn der Spiele-affine junge Kollege Hammermann eine gewisse Begeisterung für die Szene an den Tag legen darf, so ist die Grundhaltung der Geschichte genüber dem Gamer-Phänomen doch eher kritisch. Die Faszination wird weitgehend reduziert auf die Vor-Urteile der Zielgruppe (zu der auch der Kritiker gehört) oder auf die niederen Beweggründe mancher Gamer. An der Sucht-Problematik, die in einer der emotionalsten Szenen des Films sehr eindrucksvoll ausgespielt wird, ist selbstredend viel Wahres dran. Körperlich und seelisch kaputt macht beispielsweise auch Crystal Meth. Und doch hat es ein „Tatort“ wie „Borowski und der Himmel über Kiel“ geschafft, gleichsam etwas über die Faszination dieser Droge zu erzählen. Das gelingt dem BR-„Tatort“ nur bedingt. Gamer bleiben hier vornehmlich Zocker, nerdige Glücksritter, ohne soziale Verantwortung. Getrieben werden sie von Sucht, Gier und der Lust, das große Geld zu machen.
Die meisten Krimis arbeiten mit solchen sozialen Festschreibungen, sie nutzen Milieus (aus), um ihre Geschichten zu erzählen. „Game Over“ macht dies auch. Aber dieser „Tatort“ macht es filmisch und dramaturgisch gut. Der Täter ballert auf der Zielgeraden ganz ähnlich drauflos wie der coole Jung-Gamer parallel beim Turnier vor seinen ausrastenden Fans. Ein ins Leben entlassener Ego-Shooter wird zum Mörder: Offenbar verwechseln hier (junge) Männer die Realität mit der Game-Wirklichkeit. Das ist der eine Aspekt der Geschichte. Dass der Täter nicht nur Gamer, sondern auch Polizist ist, ermöglicht eine zweite Lesart: Es ist nicht nur der Ruhm für eine Nacht, es ist in diesem Fall und dieser Geschichte auch der Wunsch einer bestimmten Generation, schnell ans große Geld zu kommen. Die Zeiten, in denen „harte, ehrliche Arbeit“ als ein Wert an sich galt, sind seit dem Börsenboom der 1990er Jahre vorbei. Das Leben im sündhaft teuren München beflügelt diesen Traum vom schnell verdienten Geld. „Wir haben den falschen Job“, stellt Batic fest, als er sich die kugelsichere Weste anlegt. Die Ironie des Schicksals zeigt sich bereits in der ersten Szene des Films. 15 Minuten vor Schichtende wird die Polizistin erschossen. Der Kollege hätte auf die Kontrolle verzichtet. Doch sie, die für weniger als 1500 Euro netto Nachtschicht schiebt, nimmt ihren Job ernst.