Tatort – Freddy tanzt

Behrendt, Bär, Lardi, Jürgen Werner, Andreas Kleinert. Kampfzone Gesellschaft

Foto: WDR / Martin Valentin Menke
Foto Rainer Tittelbach

Ein Obdachloser wurde brutal verprügelt und starb an seinen inneren Verletzungen. „Freddy tanzt“, der 62. „Tatort“ aus Köln, ist ein düsteres Krimi-Sozialdrama, das von einem ehrenwerten Haus erzählt, das Sinnbild sein könnte für eine Gesellschaft, in der der Überlebenskampf offenbar die gesunden menschlichen Instinkte absterben lässt. Der Film von Andreas Kleinert nach dem konzentrierten, lebensklugen Drehbuch von Jürgen Werner ist kein moralinsaurer Zeigefingerfilm, sondern ein ästhetisch durchkomponiertes, kongenial stark besetztes, mitunter sogar lustvolles TV-Drama, das von seiner inneren Spannung lebt.

Daniel Gerber war ein talentierter Musiker, der irgendwann die Kurve ins bürgerliche Leben nicht mehr hingekriegt hat. Der junge Mann lebte zuletzt auf der Straße. Seine Mutter, die tagelang verzweifelt in Köln nach ihm suchte, findet ihn schließlich tot an einer abgelegenen Stelle in Rheinufernähe. Der Obdachlose wurde brutal verprügelt und starb an seinen inneren Verletzungen. Es dauert nicht lange, bis Ballauf und Schenk die Mordnacht ermittelt und bald auch zwei Örtlichkeiten ausgemacht haben, an denen Daniel Gerber zum letzten Mal lebend gesehen wurde: Die eine ist eine Hotelbar, in der er sich als Pianist etwas Geld verdienen wollte und mit drei feiernden Bankern aneinander geriet, die andere ist ein Wohnhaus in der Nähe, in dessen Treppenhaus er – schwer verletzt – wenig später gesichtet wurde.

Tatort – Freddy tanztFoto: WDR / Martin Valentin Menke
In der Hotelbar, in der der Ermordete (im Off) Klavier spielt, beginnt der tragische Fall. Volkram Zschiesche, Hannes Wegener, Julian Weigend und Ursina Lardi

„Freddy tanzt“ – trotz des erheiternden Titels dieses 62. „Tatort“ aus Köln entführt dieses Krimi-Sozialdrama den Zuschauer in „Gemeinschaften“, die Sinnbild für eine Gesellschaft sind, in der der Überlebenskampf offenbar die gesunden menschlichen Instinkte absterben lässt. Es dauert nicht lange, bis die Ermittlungen die gutbürgerlichen, sorgsam errichteten und herausgeputzten Fassaden zum Bröckeln bringen. Da sind drei Banker, von denen sich zwei als die großen Gewinner sehen, während der dritte, bereits auf dem absteigenden Ast, sein Mütchen an dem Obdachlosen kühlt. Da ist ein altes Eso-Pärchen, das sich nur um sein Beziehungskarma kümmert. Da ist eine alleinerziehende Mutter, schön, geheimnisumwittert und von Freddy Schenk galant umschmeichelt. Da ist ein knallharter Eishockeytrainer, den anscheinend nur das Klavierspiel des Toten erweichen konnte. Und da ist eine Frau, die sich aus Angst vor ihrem gewalttätigen Ex nicht mehr aus dem Haus traut. „Nichts sehen, nichts sagen, nichts hören“ – Kommissar Max Ballauf ist bedient ob dieses abgekarteten Lügenspiels und verkrampft während der Ermittlungen zunehmend, während Schenk eher die kölsche Gangart bevorzugt und sich grundentspannt gibt. Doch die Gefühle des Kommissars, der das Unmögliche zumindest in seiner Phantasie versucht auszuleben und „der dabei emotional etwas ins Stolpern gerät“, so Dietmar Bär, werden auf eine harte Probe gestellt – und dann gibt es jenen Moment, in dem er nicht mehr weiß, wohin mit seinen Gefühlen: und er tanzt!

Tatort – Freddy tanztFoto: WDR / Martin Valentin Menke
So ganz ohne ihre Rituale kommen Ballauf & Schenk nicht aus. Gerne lassen sie die Autoren netter Bulle, betroffener Bulle spielen. Dietmar Bär, Klaus J. Behrendt und Anna Stieblich

Dieses „ehrenwerte“ Haus, diese betuchten Sozial-Autisten, ein Kommissar, der zwischen den Stühlen sitzt mit seiner Liebe zu einer Tatverdächtigen, und ein anderer Kommissar, der seine Einsamkeit am Tresen ertränkt und sich einiges anhören muss von der Mutter des Toten („Menschen interessieren Sie nicht wirklich“)… Der „Tatort – Freddy tanzt“ bietet das ideale Szenario für einen Regisseur wie Andreas Kleinert, der in jedem Krimifall das gesellschaftliche Drama wittert, aber auch das Allgemein-Menschliche sucht. Und so sind Kommissare für ihn nicht nur Mittel-zum-Krimizweck, sondern in erster Linie auch Menschen – mit Bedürfnissen, Irritationen, Ängsten, mit Sehnsüchten und Verletzungen. Kleinert: „Kommissare sind nicht immer nur die Wissenden und perfekten Macher, sie haben sich in den Geschichten auch zu verändern und sie sollten auch ihre Verwundbarkeit zeigen.“ Und noch etwas zieht sich durch das gesamte Personal, das Autor Jürgen Werner (5x „Tatort“ Dortmund) projektionsreich erdacht hat: Kaum einer ist frei von Schuld in diesem dicht geplotteten Szenario. Zumindest könnte sich jeder an der eigenen Nase packen – und sich etwas vorwerfen. Sogar der auch dieses Mal wieder besonders aufrechte Ballauf muss sich vorhalten lassen, dass er die Vermisstenmeldung seiner Nachbarin nicht weitergeleitet hat. Wunderbar die Szene, in der er sich beim Aufstellen einer Massagepritsche verhebt und sogleich physiotherapeutisch von jener Mutter des Toten „behandelt“ wird. Das ist witzig, das ist ironisch. Ausnahmsweise gibt es hier einmal eine schlechte Haltungsnote für den Betroffenheitskommissar. Diese Szene ist aber auch ein gutes Beispiel dafür, wie sich ein bedeutsamer, gesellschaftskritischer Text („Toleranz fällt leicht, wenn einem alles egal ist“) aktionsreich, ja geradezu komisch, auflösen lässt und – unterfüttert mit Physis & Sinnlichkeit – nichts Pädagogisches bekommt. Die Krönung der zwischenzeitlich so launigen Szene: sie endet in tiefem Schmerz, unversöhnlich.

Tatort – Freddy tanztFoto: WDR / Martin Valentin Menke
Der Eishockeytrainer (Robert Gallinowski) mag’s auf die harte Tour. Kannte er den Toten?

Auch ästhetisch ist dieser „Tatort“ ein typischer Kleinert-Film. Es herrscht große Einsamkeit, Gefühle will sich kaum einer leisten. Dieses Grau der Beziehungsrealität spiegelt sich in zahlreichen Nachtsituationen und in vornehmlich dunklen Szenerien, die nur gelegentlich vom farbig coolen Glamour falscher Sehnsuchtsorte erhellt werden. Neben der Kamera von Johann Feindt konnten sich bei „Freddy tanzt“ auch die anderen Gewerke so richtig austoben: vor allem das Szenenbild überzeugt in ihren Funktionen, die Figuren zu charakterisieren, ja sie regelrecht zu malen, und den Interaktionen einen besonders bedeutungsvollen und sinnlich-stimmungsvollen Raum zu geben. Auch das Kostümbild erzählt die Geschichten auf ihre Weise. So lässt sich die Annäherung zwischen Schenk & Denk wunderbar allein an der Kleidung der Flirtenden ablesen. Und die atmosphärische Musik wirkt mitunter geradezu magisch. Wo so viel ästhetisch nuanciertes Drama waltet, wo außerdem die Besetzung bis in die kleinste Nebenrolle ausgezeichnet ist, da kommt die Spannung wie von selbst, eine Spannung freilich, die weniger auf Krimi und Tätersuche als vielmehr auf den Tathergang abzielt und bei der (angeschlagene) Seelen die Akteure sind. (Text-Stand: 7.1.2015)

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Reihe

WDR

Mit Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Ursina Lardi, Anna Stieblich, Robert Gallinowski, Gudrun Ritter, Theo Pfeiffer, Lina Wendel, Matthias Reichwald, Volkram Zschiesche, Hannes Wegener, Julian Weigend, Laura Sundermann

Kamera: Johann Feindt

Szenenbild: Myrna Drews

Schnitt: Gisela Zick

Musik: Daniel Dickmais

Produktionsfirma: Bavaria Fernsehproduktion

Drehbuch: Jürgen Werner – Idee: Andreas Knaup

Regie: Andreas Kleinert

Quote: 10,49% Mio. Zuschauer (28,1% MA)

EA: 01.02.2015 20:15 Uhr | ARD

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