Tatort – Frau Bu lacht

Nach 15 Jahren wieder gesehen: Grafs „Frau Bu lacht“ auch noch 2010 ein Ereignis!

Foto: BR / Rolf von der Heydt
Foto Rainer Tittelbach

Batic und Leitmayr alias Nemec und Wachtveitl sahen jung und fesch aus vor 15 Jahren in diesem außergewöhnlichen „Tatort“. Weniger die visuellen Gimmicks stechen heute ins Auge. Mehr ist es die Seltsamkeit einiger Szenen: die Verfemdung und Befremdlichkeit. Dominik Grafs Distanzierungsstrategien sind ästhetisch das Auffälligste in „Frau Bu lacht“ – vor allem weil sich in den letzten Jahren ein anderer TV-Movie-Code herausgebildet hat.

Ein Konditor ist erschossen worden, aus nächster Nähe, direkt in den Hals. Die Hauptverdächtige ist seine Ehefrau Sita, eine Thailänderin, die schlecht Deutsch und für die Kommissare in Rätseln spricht. Vor zweieinhalb Jahren hat sie den Deutschen geheiratet. Sie brachte die heute fünfjährige Tochter Soey in die Ehe mit. Ein Eheanbahnungsinstitut hatte den Kontakt vermittelt. Sehr viel mehr ist nicht herauszubekommen – bis eine Spur zu einem weiteren Kunden des ominösen Instituts führt. Dem ist seine Thai-Frau ausgebüchst. Doch weshalb? Jener Dr. Zimmer ist ein wohlhabender Mann. Stattdessen arbeitet die junge Asiatin lieber in einem bizarren Vorstadt-Club. Die Kommissare haben einen Verdacht, der sich erhärtet, als sich Batic beim Ehevermittlungsinstitut als Single auf Freiersfüßen ausgibt.

Auch an Batic und Leitmayr alias Nemec und Wachtveitl nagt der Zahn der Zeit. Jung und fesch sahen sie aus vor 15 Jahren – und Menzinger (natürlich noch mit Pferdeschwanz) hatte nur einen Sekundenauftritt. Doch die Hauptirritation dieses ewigen „Tatort“-Highlights ist auch heute noch der Mut zur Fremdheit: zur „Befremdlichkeit“ der Geschichte und zur ästhetischen Verfremdung. Sujet, Thema, formale Gestaltung – alles entzieht sich der Konventionen eines klassischen Krimis. Was als Stochern im semantischen Nebel einer fremden Kultur beginnt, entwickelt sich zu einem moralischen Auftrag der Kommissare. Sie zeigen Haltung im Rahmen der Menschlichkeit, nicht im engen Rahmen des Gesetzbuches.

Tatort – Frau Bu lachtFoto: BR / Rolf von der Heydt
Ob sie 1995 beim Dreh von „Frau Bu lacht“ ahnten, dass hier ein „Tatort“-Klassiker entstehen würde? Regisseur Dominik Graf mit Udo Wachtveitl und Miroslav Nemec

Das Krimi-Format ist Vorwand für ein filmisches Essay über die interkulturelle Gefühlskultur. Und doch hat man nie den Eindruck, als ob Drehbuchautor Günter Schütter und Dominik Graf mit einer verallgemeinernden Botschaft aufwarten wollten. Die Stärke von „Frau Bu lacht“: der Film ERZÄHLT (s)eine Geschichte. Und weil er das so unaufgeregt, so behutsam, so achtsam tut, geht dieser Film tiefer und dem geneigten Zuschauer näher, als wenn uns Graf im zupackenden, emotionaleren Stil, der ihm ja durchaus liegt, gekommen wäre.

Dieser „Tatort“ wagte 1995 Außergewöhnliches. Weniger die gelegentlichen visuellen Gimmicks stechen heute ins Auge. Mehr ist es die Seltsamkeit einiger Szenen: da gibt es eine fast identische Bildfolge mit fast identischem Dialog zwischen jeweils einem der Kommissare und ihrer gemeinsamen Freundin Jenny („Ich glaube, ich habe ein Déjà-Vu“). Da gibt es versponnene Gespräche, die einem ein Gefühl für die Kommissare geben, ohne deren Innenleben eindeutig zu benennen. Und wer ist überhaupt diese Jenny? Hinzu kommen ungewöhnliche Details: bizarre Perspektiven in Innenräumen, magische Stimmungsbilder und immer wieder Totalen, wie man sie sonst nur im Kino sieht.

Grafs szenische Distanzierungsstrategien sind ästhetisch das Auffälligste in „Frau Bu lacht“ – insbesondere, weil sich in den letzten Jahren ein anderer TV-Movie-Code herausgebildet hat: Heute bekommt der Zuschauer alles hautnah geliefert, Emotionen werden direkt visualisiert, die Gefühle, die der Zuschauer haben soll, werden ihm über die Bilder nahe gelegt. Auswege aus dieser Überwältigungsdramaturgie, Bilder, in denen man etwas entdecken kann, gibt es immer seltener. Dass sie mehr sind als ein Relikt aus deutschen Kunstfilm-Zeiten beweisen die Filme von Dominik Graf. „Frau Bu lacht“ ist so einer. Und er ist es auch noch im Januar 2010!

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Reihe

BR

Mit Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, Petra Kleinert, Barbara-Magdalena Ahren, Ulrich Noethen, Anna Villadolid

Kamera: Benedict Neuenfels

Schnitt: Christel Suckow

Musik: Dominik Graf, Helmut Spanner

Produktionsfirma: MTM Medien & Television

Drehbuch: Günter Schütter

Regie: Dominik Graf

EA: 26.11.1995 20:15 Uhr | ARD

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