Tatort – Fette Hunde

Behrendt, Bär, Loos, Kleinert, Georgi. Kluger Themen-„Tatort“, coole Ermittler

Foto: WDR / Erik Lee Steingroever
Foto Rainer Tittelbach

„Fette Hunde“ ist der beste WDR-„Tatort“ der letzten zehn Jahre: Bundeswehrsoldaten kehren aus Afghanistan heim, zwei Drogenkuriere aus Kabul landen zeitgleich in Köln – und das packende Thrillerkrimi-Drama geht erbarmunglos seinen Gang. Der atmosphärestarke Film von Andreas Kleinert nach dem exzellenten Buch von André Georgi erzählt vom Fremdsein, von Beziehungskatastrophen, von Einsamkeit. Ballauf und Schenk müssen nicht moralische Institution sein. Das übernimmt der Plot mit dem engmaschigen Beziehungsgeflecht.

Ein Trupp von Bundeswehrsoldaten kehrt aus Afghanistan in die Heimat zurück. Die Daheimgebliebenen feiern, die Heimgekehrten lecken ihre Wunden. Einer von ihnen ist der Dolmetscher Sebastian Brandt. Er ist der Ehemann von Lissy, einst Mädchen für alles auf der Dienstelle der Kölner Kripo. Max (Ballauf) und Freddy (Schenk) haben sich die letzte Zeit etwas um ihre frühere Kollegin gekümmert. Plötzlich müssen die Freunde gegen ihren Mann ermitteln. Denn am selben Tag wie die Soldaten erreichen zwei Drogenkuriere aus Kabul, sogenannte Bodypacker, die Domstadt. Der eine wird brutal ermordet und ausgeweidet, der andere, eine junge Frau, ist auf der Flucht. Wenn die Polizei sie nicht rechtzeitig findet, droht ihr dasselbe Schicksal – eine Kugel eines Dealers und/oder ein qualvoller Vergiftungstod. Schmuggeln die beiden im Auftrag deutscher Soldaten? Oder weshalb nehmen die beiden Bodypacker mit drei befreundeten Afghanistan-Heimkehrern per Handy Kontakt auf?

Tatort – Fette HundeFoto: WDR / Erik Lee Steingroever
Was hat der afghanische „Bodypacker“ (Maryam Zaree) mit den Bundeswehr-Heimkehrern zu schaffen? Wird die hübsche junge Frau den Köln-Trip überleben?

Ein „Tatort“, der nicht binnen zehn Minuten die obligatorische Leiche präsentiert. Ein „Tatort“, der sein Thema, seine Botschaft, seine Haltung anders verpackt, als man es von den Kölner Moral- und Meinungsermittlern Ballauf und Schenk gewohnt ist. Ein „Tatort“, bei dem man als Zuschauer mehr weiß als die Kommissare, bei dem man aber weniger rätselt, wer der Mörder ist, sondern sich vielmehr fragt, wie denn die politischen und menschlichen Geschichten zusammenhängen. Autor André Georgi hat die Krimimomente zurückgefahren, setzt stärker auf Atmosphäre und Spannung des Thrillers – und im Mittelpunkt stehen kleine und größere Dramen. „Fette Hunde“ erzählt vom (Sich-)Fremdsein in all seinen Facetten. Da ist der Bundeswehr-Dolmetscher, der sich zwar in eine Afghanin verliebt hat, aber der Land und Leute nicht versteht. Genauso fremd ist ihm mittlerweile auch seine eigene Familie. Sein Sohn beschimpft ihn als „Ballerarsch“. Seine Frau ist hilflos, verzweifelt, weil es nicht einmal mehr den Traum von der heilen Familie geben kann. Dem anderen Heimkehrer ist die Frau abhanden gekommen, der dritte muss mit seiner renitenten Mama vorlieb nehmen. Eine Zukunft in der Heimat scheint es für keinen der drei zu geben.

Tatort – Fette HundeFoto: WDR / Erik Lee Steingroever
Schöne Idee: die beiden Wasserträgerinnen für die Buddies, die alte (Anna Loos) & die neue (Tessa Mittelstaedt), begegnen sich nächtens im Büro des Kommissariats.

Schön, dass da wenigstens die beiden Kommissare ein wenig zusammenrücken. Nach der Willkommensparty schnarchen die beiden auf derselben Matratze kuschelig nah ihren Rausch aus. Und doch: so cool waren die beiden noch nie. Der bisherige Ballauf-Schenk-Mix aus Betroffenheitsbefindlichkeiten und Buddy-Albernheiten wurde heruntergefahren zugunsten einer sehr physischen, stark visuellen Präsentation der beiden „Tatort“-Ermittler. In „Fette Hunde“ müssen die Kommissare nicht das soziale Gewissen verkörpern, nicht – wie so oft – moralinsauer den Finger in die Wunde legen. Das übernimmt hier die gut gebaute Story mit ihrem engmaschigen Beziehungsgeflecht. Behrendt und Bär müssen sich dem Erzählstil und dem Bildrhythmus zwar unterordnen, sie und ihre Figuren gewinnen dadurch aber eine Stärke, die ihnen andere, klischeehaftere Drehbücher nicht zu geben vermochten. Die beiden haben wenig Zeit. Entsprechend dynamisch, amerikanisch im besten Sinne schreiten sie – obgleich verkatert – zur Tat. Dass die beiden anders sind, sich in Mentalität und Lebensstil unterscheiden, wird nicht unter den Tisch gekehrt, aber eben auch „anders“ vermittelt. Visuell statt verbal: die beiden (immer ein wenig konkurrierenden) Freunde nehmen schon mal unterschiedliche Treppenaufgänge, um dann doch gemeinsam ans Ziel zu gelangen. Der leicht gestresste Ehemann und der bindungsschwache Single – auch das wird ein Mal beiläufig im Film angeschnitten. Eine Befragungsszene in einer „Absteige“, in der Ballauf mal unterwegs war – undercover oder vielleicht auch nicht undercover.

Diese Dichte ist die größte Stärke von „Fette Hunde“. Die meisten Szenen erfüllen mehrere Funktionen: sie treiben die Handlung voran, sie definieren die Charaktere, sie etablieren ein (Genre-)Spiel. Manchmal werden zwei unmittelbare Schauplätze kurzgeschlossen. Das erhöht den Informationsfluss, sorgt für Tempo, Rhythmus und viel Abwechslung. Dass der Film im Schlussdrittel nachts spielt, gibt ihm außerdem eine höhere Intensität. Ballauf, Schenk und Franziska treffen sich im düsteren Büro. Freddy spielt den Tröster. Und dann sieht auf einmal einer der desillusionierten Heimkehrer doch noch ein zartes Licht im Dunkel. Alle diese zwischenmenschlichen Nuancen bringen die zwischentonreiche Regie von Andreas Kleinert, die oft hautnahe, sehr bewegliche Kamera von Johann Feindt und das durchweg gute Ensemble um die „Gäste“ Anna Loos, Roeland Wiesnekker & Maryam Zaree, wunderbar zum Ausdruck. Selbst der größte Whodunit-Fan sollte nichts vermissen! (Text-Stand: 20.8.2012)

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Reihe

WDR

Mit Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Anna Loos, Roeland Wiesnekker, Maryam Zaree, Theo Trebs, Tessa Mittelstaedt, Wanja Mues, Godehard Giese, Max Hopp

Kamera: Johann Feindt

Szenenbild: Dagmar Wiggenhauser

Schnitt: Gisela Zick

Produktionsfirma: Colonia Media

Drehbuch: André Georgi

Regie: Andreas Kleinert

Quote: 8,06 Mio. Zuschauer (24,4% MA)

EA: 02.09.2012 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

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