Professor Boerne (Jan Josef Liefers) lässt sich feiern. Drei Millionen Euro Forschungsgelder hat der alte Fuchs für ein Mumienprojekt seines Instituts an Land ziehen können. Die Kollegen feiern mit ihm, hinter vorgehaltener Hand belächelt allerdings so mancher sein angestaubtes Fachgebiet. Ganz und gar nicht zum Lächeln zumute ist Professor Harald Götz (Peter Jordan). Der hat heute seine Frau verloren. Zwar hält Kommissar Thiel (Axel Prahl) den flüchtigen Wissenschaftler für den mutmaßlichen Täter, doch nachdem Boerne als Todesursache zweifelsfrei Selbstmord ausgemacht hat, lehnt es Staatsanwältin Klemm (Mechthild Großmann) ab, weiter nach Götz zu fahnden. Der hat sich mittlerweile Zugang zur Akademikerfeier verschafft – und er hat etwas vorbereitet für seine Kollegen, insbesondere für den verhassten Boerne, der ihm die Fördermittel für seine ALS-Forschung weggeschnappt hat. Mit den Geldern hätte er vielleicht das Leben seiner Frau retten können. Sie litt nämlich an jener unheilbaren Erkrankung, weshalb sie sich mit einer Pumpgun ins Gesicht geschossen hat. Es ist nicht die einzige Waffe, die sich der verzweifelte Götz im Darknet bestellt hat. Außerdem hat er offenbar eine Substanz entdeckt, mit der sich die Symptome von ALS simulieren lassen. Die Festgesellschaft erwartet also ein tödliches Schauspiel.
Foto: WDR / Wolfgang Ennenbach
„Er soll an seiner eigenen Arroganz verrecken – in seinem Blut, in seinem Schmerz. Er soll verenden wie ein krankes Tier, das jämmerlich zugrunde geht.“ In der ersten Szene des „Tatort – Feierstunde“ hört und sieht man, was für Rachephantasien jener Wissenschaftler aus der zweiten Reihe sich für den renommierten Kollegen ausgedacht hat. Bisher äußerte sich die Wut allein in Lippenbekenntnissen gegenüber seiner Psychotherapeutin. Doch nun, am Tag des Selbstmordes seiner Frau, schreitet der von Peter Jordan in seinem seelischen Ausnahmezustand glaubhaft verkörperte Professor zur Tat. Während Thiel, von der In-Geiselhaftnahme nichts ahnend, noch einmal bei der Psychiaterin erfolglos nachbohrt, dafür aber von ihr seine Rückenverspannungen wegmassiert bekommt, gibt es in der Gaststätte „Zur Post“ bereits den ersten Toten. Und auch fortan geht es im 30. „Tatort“ aus Münster ungewohnt zur Sache: Es wird nervenaufreibend für die Protagonisten und auch richtig spannend für den Zuschauer. Dabei ist „Feierstunde“ nicht wie ein klassischer Geiselnahme-Thriller gebaut (das anrückende Seuchenschutzkommando spielt nur eine untergeordnete Rolle), sondern lebt auch von dem, was außerhalb des Bedrohungsszenarios noch alles passiert. Da gibt es zunächst den Kontrast zwischen dem lebensbedrohlichen Gemeinschaftserlebnis und dem zweisamen intelligenten, äußerst amüsanten Schäkern zwischen Thiel und der ebenso klugen wie zum Flirten aufgelegten Psychotherapeutin (die Nur-Theaterschauspielerin Oda Thormeyer ist eine echte Entdeckung fürs Medium Film). Das Duett zwischen Krusenstern und dem Assistenten des Racheengels (auch einer, den man sich merken muss: Ole Fischer, „Komm schon!“) besitzt auch dezent komische Zwischentöne. Wo es so direkt um Leben und Tod geht wie in dieser „Tatort“-Episode, gibt es keinen Grund für viele Gags und somit wenig Möglichkeiten, die vertrauten Necking-Muster zu bedienen.
Foto: WDR / Wolfgang Ennenbach
Autorin Elke Schuch tut dennoch gut daran, die Thriller-Situation mit anderen Tonlagen und Figuren aufzulockern. Die Gratwanderung zwischen Kammerspielthrill und fein nuanciertem Augenzwinkern gelingt ihr ganz vorzüglich. Alle vier Hauptcharaktere vom Stammpersonal, Thiel, Boerne, Krusenstern und Haller, kommen zum Zug, besonders „Alberich“ ist dieses Mal mehr als nur komischer Sidekick: Der Subtext legt die Gefühle zwischen Boerne und seiner Mitarbeiterin offen, ohne dass dadurch eine gefühlsduselige Stimmung entstehen würde. In einigen Szenen des Kammerspiels übernimmt der ernsthaft-dramatische Dialog sehr wirkungsvoll die Regie über die Krimi-Aktion. Hübsch ausgedacht ist auch die Ironie des Schicksals: Indem Boerne den Selbstmord feststellt, bereitet er Thiels Fahndung nach dem unzurechnungsfähigen Professor ein Ende und macht den Weg frei für den eigenen „Tod“.
Dramaturgisch und psychologisch ist der Film sehr gekonnt austariert, ohne dass die Figuren ins Unkenntliche gebrochen würden. Thiel bleibt Thiel, nur Boerne hält sich nach 30 Minuten mit seiner überheblichen Arroganz und seiner Lust am Witz auf Kosten anderer zurück, ja will sogar ein besserer Mensch werden. Wahrscheinlich hat er diesen Vorsatz im Münster-„Tatort“ Nr. 31 längst schon wieder vergessen. Das gut strukturierte Drehbuch mit einer gelungenen Plot-Wendung auf der Zielgeraden (allerdings entspringt die Voraussetzung dieser Wendung zunächst einem Zufall und erst dann ist sie Plan einer aktiven Figur) hat der gleichermaßen komödien- und krimierfahrene Lars Jessen mit gutem Erzählfluss und dem Gespür für Szenenwechsel zur rechten Zeit inszeniert. Fazit: ein gelungener Jubiläums-„Tatort“, der neue Möglichkeiten für die Münsteraner auslotet, ohne die Tradition der Reihe völlig zu negieren.