Schrecklicher Doppelmord in einer heimeligen Reihenhaus-Siedlung: Während Steuerprüfer Sven Habdank (Alexander Beyer) dienstlich unterwegs war, wurde in sein Haus eingebrochen und seine Freundin und ihr Sohn ermordet. Zwei Leichen und eine Zeugin: Die neun Jahre alte Anna (Julie-Helena Sapina) hat überlebt, ist aber so traumatisiert, dass sie kein Wort spricht. Die Kleine kommt bei ihrer Tante Hilde (Nicola Schössler) und deren Mann Gunnar (Stephan Szász) unter. Für Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) beginnt die Motivsuche. Hat die Bluttat einen beruflichen Hintergrund? Habdank galt als harter Hund. Zu den Verdächtigen zählen Journalist Ole Winthir (Peter Benedict) und Bauunternehmer Pit Benteler (Max Herbrechter), die von dem Steuerbeamten penibel geprüft wurden. Oder ist das Tatmotiv doch im privaten Umfeld zu finden? Zwischen Habdank und Freundin Freya soll es gekriselt haben. Sie hatte wohl etwas mit seinem Bruder (Christian Erdmann).
Ein alter „Tatort“-Hase hat das Drehbuch geschrieben: Norbert Ehry. Der gab bereits 1979 sein Debüt, damals noch unter seinem Pseudonym Hans Riesling: „Ende der Vorstellung“ hieß der Fall. Weitere „Tatorte“ aus seiner Feder: „Peggy hat Angst“ (1983), das Folkerts-Debüt „Die Neue“ (1989) sowie die WDR-Folgen „Bestien“ oder „Keine Polizei“. Seine ganze Routine spielt Ehry in „Durchgedreht“ aus. Geschickt legt er falsche Fährten, belässt seine Figuren undurchsichtig und rätselhaft. Die Dialoge schwanken zwischen von der Stange („In der Familie stimmt doch etwas nicht“) bis originell und zuweilen gewitzt („ah, sie sind Fernfahrer – 10 Minuten linke Spur und schon gleichauf“). Die beiden Kommissare lässt der Autor fast durchgehend gemeinsam ermitteln. Siamesischen Zwillingen gleich gehen sie durch den Fall: Ballauf drängt darauf, das traumatisierte Mädchen zu befragen, Vater Schenk argumentiert dagegen. Ein bisschen Good Cop, Bad Cop – nicht sonderlich originell.
Foto: WDR / Martin Valentin Menke
In Szene gesetzt wurde der Krimi von Dagmar Seume. Die hat mit dem Kölner Duo schon im „Tatort – Benutzt“ zusammen gearbeitet. Die ehemalige Kunstturn-Trainerin in der DDR, seit 2005 Regisseurin, schwankt zwischen Pflicht und Kür. Sie setzt auf eine entschleunigte Inszenierung, vertraut auf die Stärke der Figuren und die Kraft des Themas. Fast schon elegisch fließt dieses intensive Familiendrama dahin, richtig Fahrt nimmt der Film erst zum Finale auf. Zuvor ist Seume nah an den Charakteren, arbeitet viel mit klassischen Motiven der Ermittlungsarbeit. Eine markante Rolle kommt der Musik von Martin Tingvall zu: bleiern legt die sich auf die Bilder, Klavier zu Beginn, Klavier am Ende, dazwischen dürfen Streicher ran.
Über Grenzen gehen, die Kontrolle verlieren, keine natürliche Hemmschwelle mehr zu haben – damit spielt dieser „Tatort“. Der Titel „Durchgedreht“ bezieht sich auf die Ausgangssituation, die die Ermittler vorfinden. Ein feiner Kniff der Regisseurin, dass sie den Fund der Leichen durch eine Frau fließend übergehen lässt in die ersten Eindrücken von Freddy Schenk am Tatort. Der hatte – wenn man die ganzen 90 Minuten betrachtet – im Zusammenspiel mit Kollege Ballauf schon bessere Momente. Das Besondere fehlt diesem Krimi, der eher klassisch und konventionell daherkommt. Auch die Currywurstbude“ darf nicht fehlen. Irgendwie hat man das Gefühl, dass immer dann auf sie verzichtet wird, wenn das Duo aus der Rheinmetropole einen besonderen Fall zu lösen hat. Der „Tatort – Durchgedreht“ ist dagegen ein Krimi, den man gut sehen kann, aber nicht sehen muss. Und der mit dem beeindruckend aufspielenden Alexander Beyer als Grenzgänger zwischen beruflich hartem Hund und am Boden zerstörten, trauernden Mann eine fein entwickelte, facettenreiche Figur zu bieten hat.