Da staunen die Isar-Cops Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) nicht schlecht: Eine junge Geigerin taucht im Präsidium auf und will einen Mord gestehen. Nur, sie weiß nicht, ob sie ihn auch begangen hat. Marina Eeden (Jara Bihler) ist sich nicht sicher, ob sie Lucy Castaneda (Dorothée Neff), ihre seit Tagen verschwundene beste Freundin und gleichzeitige Konkurrentin um einen Orchesterplatz, vielleicht nicht nur im Traum ermordet hat. Denn Marina ist Klarträumerin. Sie kann ihre luziden Träume steuern, aber offenbar nun geträumte von realen Erinnerungen nicht mehr unterscheiden. Sie führt die Kommissare zum geträumten Tatort. Der befindet sich auf dem Dach des Münchner Kulturzentrums Gasteig. Doch eine Leiche gibt es da nicht. „Vielleicht eher ein Fall für die Vermisstenabteilung“, meint Batic. Kollege Leitmayr ist sich nicht sicher: „So verzweifelt wie die ist“. Dann entdecken sie Blutspuren. Weitere Ermittlungen führen nicht nur zu einem Schlafforschungsprojekt, an dem Marina, Lucy und deren Freund, der Spitzenturner Mats Haki (Theo Trebs) teilnehmen, um durch gezieltes Klarträumen ihre mentale Leistung zu steigern und Druck abzubauen.
Foto: BR / Hendrik Heiden
Der HR hatte es vor Jahren vorgemacht: „Im Schmerz geboren“ war ein herausragender Krimi mit großer Orchestermusik. Der „Tatort – Dreams“ ist gut, aber nicht glänzend, und er arbeitet auch mit einem Orchester – Streicher, Bläser, große Trommel – wuchtig und kraftvoll. Das klingt nach Kopie, ist es aber nicht. Hier passt es wunderbar zum Thema, denn der neue Fall aus München spielt in der Orchesterwelt, in der es um Leistungsdruck, Intrigen und große Träume geht. Das Münchner Rundfunkorchester mit seinem Dirigenten Ivan Repusic spielt im Film mit. Die orchestrale Filmmusik für „Dreams“ wurde bei dem zweifach mit dem Deutschen Filmmusikpreis ausgezeichneten Münchner Komponisten David Reichelt in Auftrag gegeben und vom Münchner Rundfunkorchester unter Leitung von Andreas Kowale-witz im Studio eingespielt. Die Übergänge der Konzert- und Filmmusik sind in „Dreams“ fließend. Live gespielte Musik im Bild beginnt an manchen Stellen vor der Szene, löst sich dann langsam aus der Filmmusik und wird nach dem Szenenwechsel wieder ein Teil der Filmmusik. Und umgekehrt. Den Schauplatz dazu hat man passend gewählt: Das Münchner Kulturzentrum Gasteig, ein markanter roter Backsteinbau nahe der Isar, gehört fest zum Münchner Stadtbild und bildet die eindrucksvolle Kulisse für Teile dieses Krimis.
Nicht nur bei der Musik verlässt man altbekannte Pfade. Beim 87. Fall der Dauerbrenner Batic und Leitmayr wird mit junger und frischer Energie vor und hinter der Kamera gearbeitet. Boris Kunz, der in den letzten Jahren vor allem mit Serien wie „Hindafing“, „Labaule & Erben“ sowie „Breaking Even“ auf sich aufmerksam gemacht hat, inszenierte seinen ersten Krimi, gleich einen „Tatort“. Moritz Binder („München Mord – Was vom Leben übrig bleibt“) zeichnet gemeinsam mit „Biohackers“-Autorin Johanna Thalmann (das Duo arbeitet aktuell an dem Serienprojekt „München 1976“) fürs Drehbuch verantwortlich. Den beiden ist ein spannendes Traum-Erklärstück samt intensivem Blick in eine gnadenlose Orchesterwelt gelungen. Ein wenig verkopft ist die Story zwar, aber auch klug gebaut. Es geht um das vielleicht letzte Mysterium des Menschseins: Träume. Für einige im Krimi – zwei Musikerinnen und Konkurrentinnen um einen Orchesterplatz, sowie einen Leistungssportler – bietet das luzide Träumen die Möglichkeit zur Weiterentwicklung und Leistungssteigerung. „Musiker ergründen damit neue Bereiche ihrer Virtuosität, Sportler erweitern ihr Raum-Lagebewusstsein“ – so erklärt es die Traumforscherin im Krimi an einer Stelle anschaulich.
Foto: BR / Hendrik Heiden
Für die Kommissare wird der Fall um luzides Träumen eher zum Albtraum. Sie ermitteln in einer Zwischenwelt zwischen Realität und Traum. Durch die Beschäftigung mit Klarträumen geraten die beiden an ihre Grenzen. Soweit, bis sie sich am Ende sogar auf eine Traum-Ermittlung einlassen, um den Fall zu lösen. Diese Grenzen werden zuweilen arg dialoglastig ausgelotet, doch ohne Erklärungen kommt man bei diesem komplexen und komplizierten Thema wohl nicht aus. Das gilt auch für die filmisch-visuelle Umsetzung. Regisseur Boris Kunz begleitet seine Protagonisten beim Abtauchen in fremde Welten und Erlangen einer gewissen Kontrolle über all die verrückten Dinge, die einem im Traum begegnen. Er arbeitet dafür mit Monitoren, Leinwänden, Projektionen, Reflexionen, nutzt Architektur mit Glas und halbtransparente Flächen. „Den Traum durch besonders überhöhte, verzerrte oder künstlich wirkende Bilder auszustellen, wäre für mich ein grundfalscher Ansatz gewesen“, sagt Kunz, „das besondere an Träumen ist doch, dass sie sich während des Träumens vollkommen echt und überzeugend anfühlen und selten aus phantastischen und surrealen Elementen bestehen. Die träumende Figur ist die Konstante in der Szene. Ihre Bewegungen, ihre Handlungen haben Kontinuität, während alles andere – vom Bildhintergrund bis zum Kostüm – sich in jedem Moment verändert, in dem die Figur ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes richtet.“
Eine besondere Herausforderung für die Schauspielerinnen Dorotheé Neff als Lucy und Jara Bihler (erste TV-Hauptrolle) als Marina. Sie spielen eine durchgehende Handlung, werden vom Regisseur für jede Aufnahme an einen anderen Ort verfrachtet. „Das klingt verrückter als es ist, so funktioniert Filmemachen ja im Grunde sowieso“, erklärt Kunz. Die schwierigere Aufgabe für ihn lautete: Wie inszeniert man die ergrauten, in sich ruhenden Bayern-Cops, die selbst-ironisch mitten im Krimi witzeln, dass sie schon seit 30 Jahren gemeinsam ermitteln? Da dominiert die Routine. Für Action sind die „Tatort“-Dauerbrenner nicht mehr zu haben, sie kombinieren lieber und spielen gerne verbales Ping-Pong, wenn sie an den Tatorten in und um München auftauchen. Doch Kurz will es anders, lässt sie getrennt die Wohnungen des vermeintlichen Opfers und der vermeintlichen Täterin durchsuchen, inszeniert das parallel, ganz ohne Worte, Orchestermusik unterlegt die Suche nach Hin- und Beweisen. Eine starke Sequenz. So geht es auch im Kampf gegen die Wiederkehr des ewig Gleichen. Leider gelingt das nicht immer, oft setzt sich die Routine durch. Und ihre kleinen Kalauer wollen sie ja auch anbringen. Sie sind die Chefs, sogar Kalli, ihr zum Kriminal-Kommissar aufgestiegener Dauerassistent mit US-Cop-Ambitionen, siezt sie immer noch respektvoll. Bei den Witzchen darf er aber hin und wieder schon mitmachen. Wenn er den Spitzenturner nach dessen Übung am Reck befragt und sich mit „Hammermann“ vorstellt, versteht der „Hammer, Mann!“ und bedankt sich für das Lob für seine Übung, worauf der Jung-Ermittler klarstellt: „Kriminalkommissar Hammermann“. Das hätte auch von Batic und Leitmayr sein können. Fazit: Ein junger, frischer Bayern-„Tatort“, der viel versucht und wagt, dabei auch gewinnt, aber im Ermittlungs-Zentrum dann doch zu viel Altbewährtes zu bieten hat. Ein wenig abgedrehter hätte es schon sein dürfen, schließlich hat Regisseur Boris Kunz in der Serie „Hindafing“ ja gezeigt, wie und dass das geht.