Tatort – Die Sache Baryschna

Lamprecht, Nitschke, Üner, Degen, Geschonneck. Markowitz funktioniert noch 2017

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Foto Tilmann P. Gangloff

„Die Sache Baryschna“ war die dritte von vier „Tatort“-Episoden, die Matti Geschonneck Anfang der Neunzigerjahre mit Günter Lamprecht als Franz Markowitz gedreht hat. Der Krimi ist zwar nicht so herausragend wie die erste Zusammenarbeit der beiden („Berlin – beste Lage“), behandelt aber ein Thema von verblüffender Aktualität: In Berlin trifft ein Laster mit über 20 Flüchtlingen aus dem Nahen Osten ein. Sie steigen in einen Transporter um. Zurück bleiben zwei Tote und eine junge Frau, die als Zeugin in großer Gefahr schwebt.

Der Mann ist nur von hinten zu sehen, aber die Stimme ist unverkennbar, schließlich war Manfred Lehmann 1994 längst als unverkennbare deutsche Stimme von Bruce Willis und Gérard Depardieu etabliert. Es ist daher keine Überraschung, dass sich der von ihm gespielte Geschäftsführer eines Flüchtlingsheimes als Schurke entpuppt: Dieser Gehlmann arbeitet nebenbei offenbar als Schleuser. Der Film „Die Sache Baryschna“ beginnt mit der Ankunft eines Transports in Berlin. Über zwanzig Libanesen sind in dem Laster eingepfercht. Eine Frau ist erstickt; als ihr Mann die Schlepper anklagt, wird er erschlagen. Der Rest der Gruppe steigt in einen Transporter um, aber die beiden Fahrer haben übersehen, dass sich in dem Lkw noch eine junge Frau versteckt hat. Sie ist die Tochter des toten Ehepaars und somit die Zeugin, die Franz Markowitz (Günter Lamprecht) braucht, um die Mörder zu fassen und nach Möglichkeit auch die Hintermänner zu überführen; aber Sanieba schweigt beharrlich.

„Die Sache Baryschna“, ausgestrahlt 1994, war der dritte von vier „Tatort“-Beiträgen, die der damals noch am Beginn seiner glanzvollen Karriere stehende Regisseur Matti Geschonneck mit Günter Lamprecht gedreht hat. Allerdings erreicht dieser insgesamt sechste Markowitz-Krimi nicht die Intensität ihrer herausragenden ersten Zusammenarbeit „Berlin – beste Lage“. Sehenswert ist der sehr ruhig inszenierte Film vor allem wegen der verblüffenden thematischen Aktualität und der namhaften Darsteller. Weil sich Markowitz das Rauchen abgewöhnen will und außerdem völlig übermüdet ist, kann Lamprecht auch mal eine andere Seite des sonst so ausgeglichenen Ermittlers zeigen; der Kommissar ist diesmal derart unleidlich, dass sich Assistentin Beate (Claudia Balko) schließlich wünscht, er möge doch wieder mit dem Rauchen anfangen. Markowitz platzt mehrfach der Kragen, mal faltet er die Mitarbeiter zusammen, mal feuert er einen Aschenbecher durchs Zimmer; im Unterschied zu manch’ anderen Schauspielern ist Lamprecht auch dann überzeugend, wenn er laut wird. Außerdem bleibt selbst der echauffierte Markowitz noch Sympathieträger, zumal sich seine Ausbrüche nachvollziehen lassen: Die Kollegen haben Mist gebaut, und der Aschenbecher muss dran glauben, als ein Anwalt den Mordverdächtigen aus der Untersuchungshaft holt.

Wie gut das Duo Lamprecht und Geschonneck miteinander harmoniert, zeigt eine kleine Szene, als Markowitz die dargebotene Rechte des Juristen ergreift und Lamprecht allein mit seiner Körpersprache vermittelt, dass sich der Kommissar jetzt gern die Hände waschen würde. Auch sonst sorgen Buch und Regie für Signale, die keinen Zweifel daran lassen, dass Markowitz einer von den Guten ist; dazu gehört unter anderem das Kollwitz-Plakat „Nie wieder Krieg“ über seinem Schreibtisch. Die Figur funktioniert auch heute noch, allerdings würde der Kommissar seine Assistentin vermutlich nicht mehr „Mädchen“ nennen; selbst wenn die Anrede Ausdruck seiner Wertschätzung für die engagierte Mitarbeiterin ist.

Da Manfred Lehmann, der seine Wirkung vor allem akustisch entfaltet, von vornherein als Schurke feststeht, hat Michael Degen neben Lamprecht die interessanteste männliche Rolle. Er spielt den Besitzer des Flüchtlingsheims, der auch ein großes Reisebüro betreibt. Da der Mann arabisch spricht, bietet er sich Markowitz als Dolmetscher an und erweist sich auch sonst als äußerst kooperativ. Bloß bei „Baryschna“ kann er der Polizei nicht helfen. Das tschechische Wort für Baronesse steht auf einem Zettel, den der Kommissar in dem Lkw gefunden hat. Er vermutet, dass der Begriff der Schlüssel zur Lösung des Falls ist, hat aber keine Ahnung, wie nah er ihr tatsächlich ist… Und dann ist da noch Idil Üner, damals Anfang zwanzig; die junge Libanesin war ihre erste Rolle überhaupt. Sie verleiht diesem Krimi ein gewisses exotisches Flair. Auch Markowitz entwickelt umgehend väterliche Gefühle für Sanieba und kann überhaupt nicht verstehen, warum die junge Frau erst so beharrlich schweigt und dann ausgerechnet in die Obhut der Mörder ihrer Eltern flüchtet. Interessant ist auch der Autor: „Die Sache Baryshna“ war das erste verfilmte Drehbuch von Andreas Pflüger, der gut 20 Jahre später zusammen mit Murmel Clausen das von Nora Tschirner und Christian Ulmen verkörperte „Tatort“-Duo aus Weimar erfunden hat.

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Reihe

rbb

Mit Günter Lamprecht, Hans Nitschke, Claudia Balko, Idil Üner, Michael Degen, Manfred Lehmann, René Toussaint, Andreas Erfurth, Hans Martin Stier

Kamera: Wolfram Beyer

Szenenbild: Manfred Glöckner

Kostüm: Iris Weber-Auvray

Schnitt: Barbara Herrmann

Musik: Ulrich Gumpert

Produktionsfirma: SFB

Drehbuch: Andreas Pflüger

Regie: Matti Geschonneck

Quote: 8,57 Mio. Zuschauer (24,3% MA)

EA: 06.02.1994 20:15 Uhr | ARD

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