Tatort – Die Feigheit des Löwen

Politisch aktueller Fall, der es zwischen Möhring & Schmidt-Schaller knistern lässt

Foto: NDR / Christine Schroeder
Foto Thomas Gehringer

Die Folgen des Bürgerkriegs in Syrien sind Thema in „Die Feigheit des Löwen“, dem vierten „Tatort“ mit Möhring & Schmidt-Schaller. Ein Deutsch-Syrer wird auf ungewöhnliche Weise getötet, ein Schleuser von der Polizei erschossen, ein Kind aus Syrien stirbt auf der Flucht. Der komplexe Fall ist ein Familien- und Flüchtlingsdrama, tragisch, aber nicht durchweg düster. Glänzend das Ermittler-Duo: die Bundespolizisten kommen sich näher, ohne dass alles gezeigt oder ausgespielt würde. Die Besetzung mit Navid Negahban, dem Abu Nasir aus „Homeland“, ist ein kleiner Coup, und die Idee für den Kriminalfall ist stark. Doch das Buch ist überfrachtet, und die Inszenierung hält nicht ganz bis zum Ende, was sie verspricht.

Drehbuch-Autor Friedrich Ani legt zu Beginn mehrere lose Enden aus: Ein Mann, offenbar arabischer Herkunft, sitzt allein in einem Auto irgendwo auf dem Land, telefoniert, holt seine Pistole hervor. Er wird später tot aufgefunden, zuvor war er gefoltert worden. Der zweite Schauplatz ist ein Privathaus. Die Eheleute Nagib und Lydia haben Nagibs Bruder Harun aus Syrien herausgeholt und bei sich aufgenommen, doch Lydia wirkt beunruhigt und verängstigt. Falke und Lorenz wiederum kommen nach Oldenburg, um einen Passfälscher festzunehmen und die Schleuser im Hintergrund zu ermitteln. Vor dem Zugriff kann der Verdächtige noch ein weiteres Geschäft auf einem Rastplatz abwickeln. Der Schleuser, der die Ausweise erhalten hat, wird kurz darauf von einer Polizeistreife erschossen. In seinem Auto sitzt eine verzweifelte Frau, und im Kofferraum entdeckt Falkes Freund und Kollege Katz deren Kinder: ein totes Mädchen, das von seinem Bruder im Arm gehalten wird.

Tatort – Die Feigheit des LöwenFoto: NDR / Christine Schröder
Harun (Navid Negahban) zwingt seinen Bruder Nagib (Husam Chadat) zur Flucht.

Unklar bleibt erst einmal, wie das alles zusammenhängt. Regisseur Marvin Kren („Tatort – Kaltstart“) nimmt sich Zeit, führt die Charaktere mit sparsamen Dialogen & atmosphärischen Einstellungen ein. Das Bindeglied ist nicht schwer zu erraten: Im Hintergrund laufen im Autoradio oder im Fernseher Berichte über den Syrien-Konflikt. Doch ehe konkrete Verbindungen zwischen den  Handlungssträngen sichtbar werden, dauert es knapp 20 Minuten. Eine vergleichsweise komplexe, serien-ähnliche Einführung für einen „Tatort“-Krimi. Dass man sich sogar an ein bestimmtes Serien-Vorbild erinnert fühlt, liegt an einem Darsteller, der in „Homeland“ durch eine kleine, aber wichtige Rolle bekannt geworden ist: Navid Negahban, in der US-Serie der gesuchte Top-Terrorist Abu Nasir, spielt hier den geheimnisvollen Harun. Diese Besetzung ist ein kleiner Coup und erklärt sich unter anderem damit, dass der gebürtige Iraner Negahban acht Jahre in Deutschland lebte, ehe er 1993 in die USA zog. Einen Terroristen muss er im „Tatort“ nicht spielen. Wohl aber eine Figur, auf die das arabische Sprichwort passen soll: „Der Löwe ist ein Feigling in einem fremden Land.“

Mit der Aktualität konnte der Film natürlich nicht Schritt halten, vom Islamischen Staat (IS) ist hier noch nicht die Rede. Aber das ist nicht entscheidend. Im Mittelpunkt stehen einerseits gebildete, integrierte Deutsch-Syrer wie der Arzt Nagib, die aber noch Familie in der alten Heimat haben. Andererseits geht es um illegale Flüchtlinge, die abenteuerlich aus Syrien nach Deutschland kommen. Zwei wichtige Aspekte, auch wenn die Verbindung dieser Handlungs-Stränge dünn und konstruiert wirkt. Ängste und Vorurteile werden hier jedenfalls mangels Parallelgesellschaften und Glaubenskriegern nicht bedient. Auch wird das Geschäft mit den Flüchtlingen nicht nur als organisierte Kriminalität dargestellt. Die Sichtweise „Landsleute helfen Landsleute“ erscheint als eine Möglichkeit. Bedenkt man die stetig wachsende Zahl der Flüchtlinge & Europas begrenzte Aufnahmebereitschaft, ist der Film ausgesprochen aktuell.

Tatort – Die Feigheit des LöwenFoto: NDR / Christine Schroeder
Wotan Wilke Möhring spielt die emotionale Stärke seiner Figur in „Die Feigheit des Löwen“ großartig aus.

Der Schauplatz Oldenburg bietet nicht unbedingt eine filmisch opulente Kulisse. Im Gegenteil: Die mobile Polizeieinheit richtet sich in einem finsteren Kellerloch ein. Zudem verweist Krens Bildsprache assoziativ auf die Folgen des Kriegs, etwa wenn im Krankenhaus Menschen mit blutenden oder amputierten Gliedmaßen über den Flur laufen. Doch durchweg düster ist nicht einmal die tragische Geschichte um die Flüchtlingsfamilie: Als spontaner, sensibler Bulle, der sich des traumatisierten Jungen aus dem Kofferraum annimmt, spielt Wotan Wilke Möhring die emotionale Stärke seiner Figur großartig aus. Durch ein ein leises, klares Auftreten. Wie selbstverständlich wirkt es, dass er als Erster Kontakt zu dem Kind aufnehmen kann.

Näher kommt Falke nach einem Kneipenbesuch nach Feierabend auch Kollegin Lorenz. Aber wer verführt hier wen? Und was ist in der Nacht wirklich geschehen? Krens Inszenierung lässt vieles offen, auch für die Zukunft. Petra Schmidt-Schaller bleibt die kopfgesteuerte, kühle Kollegin – und lässt gleichzeitig mit nur wenigen Blicken und einem minimalen Mienenspiel weitere Eigenschaften erahnen. Die knisternde Spannung zwischen beiden Protagonisten bleibt vielversprechend, eben weil nicht alles ausgespielt wird. Einen kultverdächtigen Auftritt hat außerdem Krens Mutter Brigitte als resolute Gerichtsmedizinerin Dr. Evers, die die Kommissare mit österreichischem Sarkasmus und vollem Körpereinsatz über eine ungewöhnliche Todesart aufklärt. Angenehm auch, dass sich die Musik nicht auf arabische Klischees reduziert und sich nicht allzu sehr in den Vordergrund drängt.

Vieles also spricht für diesen Film. Doch in einem 90-minütigen Fernsehfilm lassen sich komplexe Ansätze eben nicht vergleichbar entwickeln wie in einer Serie oder einem Mehrteiler. Buch und Inszenierung machen zu Beginn Geschmack auf Mehr, können es aber – zwangsläufig – nicht einhalten. Und so bleibt es trotz einer starken Krimi-Idee bei Ansätzen, in der Entwicklung der Figuren, in der Ausgestaltung der Nebenrollen & des deutsch-syrischen Freundeskreises. Und damit sinkt auch die Spannung – es ist, als ob langsam Luft entweicht. Der Showdown ist dann nur noch gewöhnlicher Krimi und nicht mal überzeugend inszeniert.

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Reihe

NDR

Mit Wotan Wilke Möhring, Petra Schmidt-Schaller, Sebastian Schipper, Karoline Eichhorn, Husam Chadat, Navid Negahban, Daniela Golpashin, Tamer Yigit, Alireza Bayram, Brigitte Kren

Kamera: Armin Franzen

Schnitt: Lars Jordan

Musik: Johannes Lehninger, Peter Schütz

Produktionsfirma: Cinecentrum Hamburg

Drehbuch: Friedrich Ani

Regie: Marvin Kren

Quote: 9,18 Mio. Zuschauer (26,1% MA)

EA: 30.11.2014 20:15 Uhr | ARD

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