Ein Lamborghini rast durch München. Am Steuer ein Prinz, neben ihm ein Toter. Nasir Al Yasaf ist der fünfte Sohn des Emir von Kumar, einem der reichsten Männer der Welt. Der Sohn führt sich entsprechend auf. Und die Ermittlungen werden bald zur Farce. Der Prinz, seine noble Villa, selbst der Wagen, in dem die Leiche aufgefunden wurde, genießen diplomatische Immunität. Batic und Leitmayr sind die Hände gebunden. Wenn Nasir nicht will, muss er nicht mit ihnen reden. Doch zu ihrem Erstaunen zeigt er sich – im Gegensatz zum aalglatten Generalkonsul Abdel Saleh – zunehmend kooperativ. Der Tote war sein bester Freund. Erschossen wurde er vor dem Haus von Michaela Scheffner, einer gemeinsamen Freundin, die offenbar mit beiden ein Verhältnis hatte. An eine simple Beziehungstat wollen die Kommissare aber nicht recht glauben. Und tatsächlich scheinen andere Begehrlichkeiten im Spiel zu sein im Umfeld eines Monarchen, der in der Wüste eine U-Bahn bauen lassen will. Wo so viel Geld fließt – da sitzen Politiker und andere Schmeißfliegen gern an der Quelle.
Foto: BR / Heike Ulrich
Wächst sich der „Tatort – Der Wüstensohn“, Rainer Kaufmanns erster Beitrag zur Reihe, auch im Verlauf zu einem Fall von Wirtschaftskriminalität mit staatlicher Beteiligung aus, so bleibt die Geschichte auf das bizarre Leben jenes Prinzen aus dem Morgenland fokussiert, der in der dekadenten westlichen Welt sehr bewusst seine Freiräume zu nutzen weiß. Schnelle Autos, ausschweifende Partys, Drogen, Frauen. Der Freistaat bietet ihm Möglichkeiten, die er unter dem gestrengen Emir in der Heimat nicht hätte. Jener Nasir Al Yasaf ist von der realen Person Saif al Gaddafi inspiriert, dem inzwischen verstorbenen Sohn des libyschen Diktators. Der lebte einige Jahre in München und kam dabei mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt, wurde aber als Potentaten-Sohn nicht hinreichend zur Rechenschaft gezogen. Ein weiterer Reflex auf die Wirklichkeit sind „die immer zahlreicher werdenden, schwerreichen Araber, die München bevölkern und die Geschäfte in der Maximilianstraße leer kaufen“, so Drehbuchautor Alex Buresch. Er und Ko-Autor Matthias Pacht waren besonders von der Idee eines sich zwischen den Welten bewegenden „Wüstensohns“ fasziniert. „Ein junger Herrschersohn, reich, verzogen, gewohnt Befehle zu erteilen. Jemand, der von Haus aus alles darf und damit konfrontiert ist, dass in einem anderen Kulturkreis andere Regeln gelten.“
„Daheim packen sie ihre Frauen in Schleier und hier lassen sie es krachen.“ Schon lange sah man Batic nicht mehr so geladen. „Kameltreiber, blöder“, schimpft er. Auch Leitmayr vergisst wenig später seine gute Kinderstube: „So eine Arschgeige, dieser Konsul, schmieriger Teppichhändler.“ Dieser Fall muss einen förmlich zum Rassisten machen – das wissen die Kommissare und reden deshalb auch immer wieder drüber. Doch je mehr ihnen der 22-jährige Prinz Einblicke in seine Kultur gewährt, umso mehr „verstehen“ sie, jenseits der diplomatischen Kuriositäten, die ihnen ein geregeltes Ermitteln unmöglich machen, und jenseits ihrer wütend hervorsprudelnden Vorurteile, welchen Zwängen dieser junge Mann ausgesetzt ist. Der Ton wird gemäßigter. Und die beiden Silberlocken dürfen endlich mal wieder Witze machen – ohne dass man als Zuschauer müde zurücklächelt. Stochern im Nebel, langwieriges Observieren, wer Zeit hat, der frotzelt, wem langweilig ist, der lästert. Ein Running Gag ist Samirs ernst gemeinter Vorschlag, Batic zum Polizeichef von Kumar zu machen. „Sie gefallen mir, Sie greifen an wie ein Falke.“ Ein deutsches Polizisten-Jahresgehalt monatlich – wenn das kein Karrieresprung ist!? Ansonsten wird viel Tee getrunken, zu viel Süßes genascht („Du bist immer so maßlos, wenn’s nichts kost’“), mal ein bisschen gebalgt und sogar einen Teppich bekommt Batic vom Prinzen geschenkt, der in dem Mann mit kroatischen Wurzeln offenbar so etwas wie einen väterlichen Freund sehen möchte. Leitmayr, anfangs der diplomatischere von beiden, wird dieses verlogene Arabergetue am Ende zu viel: Für eine Sekunde vergisst er sich und die verdammte Diplomatie – wird zum Held des Tages.
Foto: BR / Heike Ulrich
„Der Wüstensohn“ ist ein Film, der enorme Qualitäten ohne großes Krimi-Besteck entfaltet. Kriminalistisch wird ein verkappter Whodunit erzählt, dessen Auflösung immer weniger interessiert angesichts dieses psychologisch ausgefeilten Menschen- und Lebensstil-Porträts, dem es nachhaltig gelingt, mit Hilfe des universalen Vater-Sohn-Konflikts Verständnis für das unserer Kultur Fremde aufzubringen. Dieser junge Mann darf alles – und ist doch alles andere als frei. Und so trommelt Nasir sein Klagelied, derweil die Kommissare sich nicht damit abgeben wollen, dass es in diesem Fall am Ende kein bisschen Gerechtigkeit geben soll. Verloren irgendwo zwischen den Kulturen. Ein Thema, das im Kinofilm wie im Primetime-Fernsehspiel denkbar ist. In seiner arabischen Orientierung, in seiner ästhetisch-sinnlichen Umsetzung, dem wunderbar orientalisch anmutenden Score und mit einem bisher namenlosen Schauspieler, Yasin el Harrouk, der sich mit Wucht und zugleich großer Sensibilität einbringt und die Tonlage maßgeblich prägt, ist der Film wohl nur im Rahmen des „Tatort“ in dieser Form denkbar. Seien wir ehrlich, wer hätte sich schon auf diese fremde, hierzulande weitgehend auf Antipathie stoßende Kultur im ARD-Fernsehfilm eingelassen?! Man sollte nicht alles im „Tatort“ abladen – aber dieses sperrige Thema findet in dieser Geschichte im Rahmen des „Tatort“, figurenorientiert, flüssig & realistisch mit Hang zu großer Beweglichkeit inszeniert und fotografiert, ihr ideales Erzähl-Format. (Text-Stand: 9.8.2014)