Tatort – Der letzte Patient

Furtwängler, Friedemann Fromm, viel Gelungenes und ein Glaubwürdigkeitsproblem

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Foto Rainer Tittelbach

Einsamkeit kennt viele Formen. Der NDR-„Tatort“ spürt ihnen nach – durch die Milieus, die Generationen, die Geschlechter. Aus diesem emotionalen Urschlamm erwächst der Krimiplot des zweiten Furtwängler-„Tatorts“ von Friedemann Fromm, der im Verlauf der Ermittlungen von besonders perfiden Spielarten des Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen erzählt. „Der letzte Patient“ ist eine gelungene Variation von Krimi und Themenfilm. Fein akzentiert die Inszenierung, grandios eine Verhörszene, doch Lindholms „Tiefe“ wirkt behauptet.

Eine Ärztin wird tot in ihrer Praxis aufgefunden. Sie ist verbrannt. Dr. Silke Tannenberg war eine einsame Frau, die in ihrer Freizeit ein Video-Tagebuch führte, die Cassetten sortiert nach den Vornamen der Männer, mit denen sie gelegentlich ihre Einsamkeit teilte. Charlotte Lindholm ist sicher, dass in diesen Berichten der Schlüssel zu ihrem Tod verborgen liegt. Auf eine andere Spur bringt sie ein verwahrloster, geistig zurückgebliebener Jugendlicher, der immer wieder den Weg der Kommissarin kreuzt – bis er tot auf einer Müllkippe gefunden wird. Lindholm gibt sich die Mitschuld an seinem Tod. Auch privat muss sie einiges aushalten. Zunächst macht sich ihr langjähriger Freund und Mitbewohner Martin aus dem Staub, dann bekommt sie indirekt von ihrer Kollegin gespiegelt, was offenbar eine gute Mutter ausmacht. Fast kleinlaut begegnet die Kommissarin der Welt, doch bei Kindesmissbrauch kennt Lindholm kein Pardon. Da ist sie ganz die Alte, die taktiert, droht und laut werden kann.

Tatort – Der letzte PatientFoto: NDR / Meyerbröker
„Keine Anweisungen mehr…“ Tim (Joel Basmann) muss nicht mehr länger putzen für andere, denn er hat jetzt eine „Freundin“ bei der Polizei (Maria Furtwängler).

Einsamkeit kennt viele Formen. Der „Tatort: Der letzte Patient“ spürt ihnen nach – durch die Milieus, die Generationen, die Geschlechter. Die tote Ärztin bannt ihr trostloses Leben auf Video, andere halten sich verzweifelt am Mythos der zufriedenen Familie fest, Lindholms Chef Bitomsky tröstet sich mit Affären über die Einsamkeit hinweg und Charlotte Lindholm selbst verdrängt klassisch, indem sie sich in ihre Ermittlungsarbeit stürzt. Aus diesem emotionalen Urschlamm erwächst die Krimihandlung des zweiten Furtwängler-„Tatorts“ von Friedemann Fromm, der im Verlauf der Ermittlungen von besonders perfiden Spielarten des Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen erzählt. Fromm, der das Drehbuch von Astrid Paprotta überarbeitet hat, will deutlich machen, „dass Kinderschänder ihre Taten oft verharmlosen und dass Missbrauch weit vor den rein körperlichen Zudringlichkeiten beginnt“.

„Der letzte Patient“ ist dramaturgisch eine gelungene Variation von Krimi und Themenfilm. Fromms fein akzentuierte Inszenierung entwickelt einen unaufgeregten Rhythmus, der nie von dem in den Szenen „Verhandelten“ ablenkt und der dem Film einen gleichmäßigen, intensiven Atem gibt. Die Exposition setzt zunächst kräftige Ausrufezeichen. Benzin, Flammen, eine verkohlte Leiche – die Kraft dieser Bilder müsse eine Zeitlang vorhalten, betont Fromm, weil die Geschichte in der Folge eher leise daherkomme. „Deshalb erzählen wir den Mord zu Beginn in spektakulären Bildern und mit solcher Wucht“.

Mit einer außergewöhnlichen Verhörszene läutet Fromm die letzten 15 Minuten ein. Mit einer jede Regung des Verhörten registrierenden, geradezu bedrohlich wirkenden Kamera rückt Klaus Eichhammer dem Verdächtigen zu Leibe. Sieben Minuten windet dieser sich zwischen Ehrlichkeit und Schuldgefühlen durch die Abgründe seiner pädophilen Neigung. Mit der Tiefe solcher Szenen kann das Spiel Maria Furtwänglers leider nicht mithalten. Ob es mangelnde Erfahrung mit der Darstellung echter „Innerlichkeit“ oder ob es das über Jahre gezeichnete „Bild“ von Charlotte Lindholm ist, das meist äußerlich und oberflächlich bleibt, ist schwerlich zu sagen. Und diese typischen 1:1-Projektionen zwischen Fall und Figurenpsyche sind auch in „Der letzte Patient“ zu penetrant, um glaubwürdig und wahrhaftig zu sein.

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Reihe

NDR

Mit Maria Furtwängler, Christina Große, Joel Basmann, Jan Messutat, Oliver Breite, Steffen Münster, Cristin König

Kamera: Klaus Eichhammer

Schnitt: Vessela Martschewski

Soundtrack: Dire Straits („Brothers in Arms“), Earth Wind & Fire („September“)

Produktionsfirma: Cinecentrum Hannover

Drehbuch: Astrid Paprotta, Friedemann Fromm

Regie: Friedemann Fromm

Quote: 8.79 Mio. Zuschauer (25,1% MA); Wh.: 6,38 Mio. (21,1% MA)

EA: 31.10.2010 20:15 Uhr | ARD

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