Tatort – Das ist unser Haus

Richy Müller, Klare, Daniel Bickermann, Dietrich Brüggemann. Schwäbischer Irrsinn

Foto: SWR / Benoit Linder
Foto Thomas Gehringer

Ausflug ins schwäbische Biotop: Im Fundament eines frisch bezogenen Neubaus wird eine weibliche Leiche gefunden, weshalb die Bewohnerinnen und Bewohner der „Wohngenossenschaft Oase“ in Ostfildern bei Stuttgart aufs Komischste aneinander geraten. Dietrich Brüggemann (Drehbuch, Regie, Musik) präsentiert in seinem dritten „Tatort“ – wie bereits in „Stau“ – ein Potpourri skurriler Typen. „Das ist unser Haus“ (SWR) ist ein Krimi mit fundierter, wenn auch satirisch zugespitzter Milieu-Kenntnis. Die verschwurbelten Dialoge und das zum Teil laienhafte Spiel sind zwar nicht unanstrengend, treffen aber genau den Ton von Kollektiven, die ihren Traum vom alternativen Leben in quälenden Gruppensitzungen in Grund und Boden quatschen. Die Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) kämpfen sich geduldig durch das disharmonische Dickicht. Die Geschichte nimmt eine hübsche Wendung, die Spannung bleibt auf mäßigem Niveau.

In der „Oase“ herrscht alles andere als Frieden und Harmonie: Wasser dringt durch eine falsch aufgetragene Abdichtungsmasse ins Fundament und lässt bei der Einweihungsfeier der Wohngenossenschaft die Wellen hoch schlagen. Marco (Joseph Bundschuh) greift Udo (Oliver Gehrs) an, den Vorsitzenden des „AK Bau“, der die Verwendung der „nicht funktionierenden Öko-Pampe“ (Marco) rücksichtslos durchgepeitscht habe. Kerstin (Nadine Dubois) hält Wasser im Fundament für eine „Chance, unsere Einstellung zu ändern“. Heilpraktiker Wendelin (Eike Jon Ahrens) hält bereits Marcos Ausruf „Jetzt haben wir den Salat“ für eine aggressive Formulierung und bittet die männlichen Kontrahenten zu einer spontanen Entspannungsübung. Karsten (Michael Kranz) wiederum trägt Bedenken gegen eine teure Neu-Abdichtung vor, denn die Gemeinschaft habe sich doch gerade „vom Fetisch Geld abkoppeln“ wollen. Vorerst geht es aber sowieso nicht weiter, denn die Arbeiter finden eine weibliche Leiche im Fundament.

Tatort – Das ist unser HausFoto: SWR / Benoit Linder
Man duzt sich. Ulrike (Christiane Rösinger), die Mutter des Wohnprojekts, ist die Verantwortungsvollste der „Oase“-Gruppe. So ein bisschen Vernunft tut gut beim Ermitteln. Richy Müller

Es wird teils herrlich geschwäbelt im Stuttgarter „Tatort – Das ist unser Haus“, aber egal, in welcher Region man zu Hause ist: Wer Erfahrungen mit privaten Eigentümergemeinschaften oder Elterninitiativen hat, dürfte sich in dieser Quasselbude namens „Oase“ schnell heimisch fühlen. Dietrich Brüggemann nimmt in seinem dritten „Tatort“ das Milieu der ökologisch und esoterisch bewegten Mittelschicht im Südwesten aufs Korn, wo alternative Lebensformen aller Art besonders zu gedeihen scheinen. Wo alle „per Vorname sind“, wo sich Waldorf-Pädagogik mit schwäbischer Spießigkeit mischt und wo verbale Aufgeschlossenheit schnell mal ins Gegenteil umschlägt. „Mir hänn ständig besondere Vorkommnisse“, sagt Ulrike (Christiane Rösinger), das älteste und offenbar auch vernünftigste Mitglied des Kollektivs. Das ist nicht zu viel versprochen, denn die Ermittlungen der Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) fördern verschiedene Verbindungen, gescheiterte Beziehungen und vermeintliche Affären, Liebe, Eifersucht und Neid zutage.

Ein Vergnügen ist dieses schwäbische Biotop nur zum Teil, denn die verschwurbelten Dialoge nerven auch schnell und die schauspielerischen Leistungen liegen nicht immer auf Top-Niveau. Allerdings trifft Brüggemann genau den Ton von Kollektiven, die ihren Traum vom alternativen Leben in quälenden Gruppensitzungen in Grund und Boden quatschen und an den eigenen hehren Idealen, die sie permanent vor sich her tragen, im Alltag ebenso permanent scheitern. Für die zornige Kira (Linda Elsner), die dunkelhäutige Ex von Marco, sind die „biodeutschen Weißbrote“ der „Oase“ die „weißesten Menschen von ganz Baden-Württemberg“. Als „Aushängeschild für Vielfalt“ wollte Kira lieber nicht enden – und zog aus. Eine ausschließlich bitterböse Abrechnung mit dem Milieu der schwäbischen Weltverbesserer ist diese „Tatort“-Folge aber auch nicht. Die Figuren sind allenfalls satirisch zugespitzt, aber keine Zerrbilder, eher tragische Helden, denen halt auf dem Weg zum großen Ziel immer allzu Menschliches in die Quere kommt. Sehr hübsch außerdem die Idee, dass die Wendung, die die Geschichte nimmt, ausgerechnet die abgedrehteste Vorstellung aus dem Kreise der „Oase“-Gemeinschaft bestätigt.

Tatort – Das ist unser HausFoto: SWR / Benoit Linder
Gemeinschaft mit Mörder? Mitten in der Einzugsphase sind die Bewohner*innen plötzlich nicht nur miteinander, sondern mit den Ermittlungen konfrontiert. Lana Cooper, Désirée Klaeukens, Eike Jon Ahrens, Anna Brüggemann, Joseph Bundschuh, Michael Kranz, Christiane Rösinger, Nadine Dubois und Oliver Gehrs (v.l.n.r.)

Die Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) kämpfen sich geduldig durch dieses disharmonische Dickicht, in dem auch Brüggemanns Schwester Anna als Karstens Frau und stets besorgte Mutter sowie Lana Cooper und Desire Klaeukens als lesbisches Paar das „Oase“-Ensemble komplettieren. Brüggemann, selbst auch Musiker, hat wieder eine bunte Mischung aus Künstlerinnen und Künstlern zusammengebracht. Neben Songwriterin Klaeukens und der Musikerin und Roman-Autorin Rösinger ist außerdem Heinz Rudolf Kunze in einer kleinen Nebenrolle zu sehen. Den Journalisten und Medienkritiker Oliver Gehrs hatte Dietrich Brüggemann bereits in seinem „Stau“-Film eingesetzt. Die Laien schlagen sich wacker, aber was Profis aus kleinen Nebenrollen machen können, beweist zum Beispiel Hede Beck, die als seltsame Nachbarin in Erinnerung bleibt.

Die Handlung nimmt Fahrt auf, als Udos pubertierender Sohn eine ehemalige Kandidatin für einen Platz in der „Oase“ als die tote Frau im Fundament identifiziert. Beverly hatte offenbar die Gefühle mehrerer Bewohner und Bewohnerinnen geweckt, was nun zu erneuten Beziehungskrisen führt.  Die Gemeinschaft, vom Leichenfund arg verunsichert und um die Aura ihres Hauses fürchtend, einigt sich darauf, den Mörder lieber nicht in den eigenen Reihen zu suchen, sondern einen älteren Herrn zu verdächtigen, der einst im Kampf um einen Platz in der „Oase“ von Beverly ausgestochen worden war. Beverly hatte ihn verdächtigt, Frauen sexualisierte Gewalt anzutun – ohne dies freilich belegen zu können. Die Kommissare sind der Ruhepol im schwäbischen Irrsinn, der mit einer kuriosen Verfolgungsjagd (zwei Fahrräder, ein Porsche, eine Menschenkette) endet. Lannert empfindet in Erinnerung an seine eigene WG-Zeit gewisse Sympathien, Bootz flirtet mit Kerstin, aber irgendwann stöhnt auch er: „Ich kann langsam nicht mehr.“ (Text-Stand: 27.12.2020)

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Reihe

SWR

Mit Richy Müller, Felix Klare, Christiane Rösinger, Nadine Dubois, Oliver Gehrs, Joseph Bundschuh, Eike Jon Ahrens, Anna Brüggemann, Michael Kranz, Lana Cooper, Desire Klaeukens, Jürgen Hartmann, Sarah Bauerett, Hede Beck, Linda Elsner, Heinz Rudolf Kunze

Kamera: Andreas Schäfauer

Szenenbild: Cosima Vellenzer

Kostüm: Sarah Raible, Juliane Maier

Schnitt: Barbara Brückner

Musik: Dietrich Brüggemann

Redaktion: Brigitte Dithard

Produktionsfirma: Südwestrundfunk

Produktion: Franziska Specht

Drehbuch: Dietrich Brüggemann, Daniel Bickermann

Regie: Dietrich Brüggemann

Quote: 10,15 Mio. Zuschauer (28,1% MA)

EA: 17.01.2021 20:15 Uhr | ARD

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