Tatort – Damian

Thomas Prenn, Eva Löbau, Carlo Ljubek, Stefan Schaller. Die große Müdigkeit

Foto: SWR / Benoit Linder
Foto Thomas Gehringer

Schlaflos im Schwarzwald: Zwei überarbeitete Kommissare bekommen es mit zwei neuen Kriminalfällen und einem alten Mord zu tun. Dazu dreht ein gestresster Jura-Student immer mehr durch. Die raffiniert gebaute „Tatort“-Folge „Damian“ (Südwestrundfunk) spielt clever mit verschiedenen Wahrnehmungsebenen, überraschende Wendungen und ein verblüffendes Finale inklusive. Die Folge ist abgründig und bisweilen auch komisch, wobei der Humor nur zum Teil zündet. Für den erkrankten Hans-Jochen Wagner fügt sich hier Carlo Ljubek angenehm unspektakulär als Kollege der Kommissarin Tobler (Eva Löbau) ein. Glänzend das Debüt von Thomas Prenn in seiner ersten Haupt- und Titelrolle im deutschen Fernsehen.

Das erste Bild: Eine lichterloh brennende Hütte, eingerahmt vom dunklen Wald. Beinahe märchenhaft schön. Danach folgt erst einmal typischer Krimi-Alltag: Kommissarin Tobler (Eva Löbau) und ihr Interims-Kollege Weber (Carlo Ljubek) sitzen übermüdet auf der Couch im Haus des freundlichen Herrn Adam (André Jung). Dessen Auto war gestohlen worden, tauchte nun aber ganz in der Nähe eines Tatorts auf, wo ein Tennislehrer und seine Geliebte erschossen wurden. Außer einer Schachtel koffeinhaltiger Bonbons, die Adam ihnen schenkt, bringt das Gespräch herzlich wenig. Auf dem Kommissariat nicken Tobler und Weber ein, zuvor sieht man aber noch einen ebenfalls schlafenden Studenten, der offenbar das Wochenende in der Uni-Bibliothek verbracht hat und nun von einem Angestellten geweckt wird. Leicht verwirrend das Ganze zu Beginn, und das Wichtigste an dieser „Tatort“-Folge ist definitiv, sich nicht von der allgemeinen Müdigkeit anstecken zu lassen. Denn „Damian“, der dritte Schwarzwald-Fall, spielt auf clevere Weise mit verschiedenen Wahrnehmungsebenen. Viele Krimis lassen sich relativ leicht „weggucken“, diese Folge erfordert es tatsächlich, genau hinzuschauen. Es lohnt sich, auf Details zu achten, gerade auch an Orten voller Unordnung.

Tatort – DamianFoto: SWR / Benoit Linder
Ein Bild wie aus einem Horrorfilm oder einem dystopischen Drama. Wenn Franziska Tobler (Eva Löbau) und Luka Weber (Carlo Ljubek) gemeinsam mit Cornelia Harms (Steffi Kühnert) und der polizeilichen Qualitätskontrolleurin Meike Richter (Nora Waldstätten) an einem Tatort aufsuchen, dann gibt es einen neuen Fall.

Damian eilt in den Hörsaal – und kommt drei Wochen zu spät
Tobler und Weber bekommen es neben dem Mord an dem Tennis-Paar mit einem weiteren Fall zu tun, denn in der abgebrannten Hütte wird eine verkohlte Leiche gefunden. Zugleich rückt das Drehbuch den verwirrten Studenten Damian (Thomas Prenn) in den Mittelpunkt. Er hastet von der Bibliothek direkt in einen Hörsaal der Uni Freiburg, weil er befürchtet, er habe seine Klausur in Verwaltungsrecht verschlafen. Allerdings fand die Klausur bereits vor drei Wochen statt. Gegenüber seiner Freundin Mia (Lena Klenke) behauptet Damian dennoch: „Ich habe alles gewusst.“ Was Damian mit den beiden Kriminalfällen zu tun haben könnte, bleibt rätselhaft – außer dass er einmal von einer Polizeistreife aufgegriffen wird, weil er nachts im Schlafanzug in der Nähe des Doppelmord-Tatorts auftaucht. Er habe wegen einer schweren Klausur den Kopf freibekommen wollen, erklärt er den Kommissaren.

Ein Verbindungshaus als Schauplatz, aber kein Themenkrimi über Burschenschaften
Weil Hans-Jochen Wagner wegen einer Viruserkrankung bei den Dreharbeiten ausfiel, wurde Carlo Ljubek als Ersatz für eine Folge verpflichtet. Es bedarf keine große Eingewöhnungszeit, denn Tobler und Weber sind Kollegen, die sich kennen und wie selbstverständlich zusammenarbeiten, kleinere Meinungsverschiedenheiten inklusive. Angenehm, wie unspektakulär sich die aus der Not geborene Figur Weber einfügt, und Carlo Ljubek möchte man sowieso gern häufiger auf dem Bildschirm sehen. Aber die Bühne gehört hier vor allem dem jungen Südtiroler Thomas Prenn in seiner ersten Hauptrolle im deutschen Fernsehen. Damian wirkt anfangs wie ein Student, der sich selbst gewaltig unter Leistungsdruck setzt. Er wohnt im Haus einer Verbindung, weil „die Miete billig ist“. Ein paar Regeln, die hier gelten, werden eher unauffällig in die Handlung eingeflochten – ein Themen-Krimi über Burschen- oder Landsmannschaften und deren zweifelhaftes politisches Treiben ist „Damian“ nicht.

Tatort – Damian

Tatort – Damian

Tatort – DamianFoto: SWR / Benoit Linder
Dreimal Damian. OBEN: Jurastudent Damian (Thomas Prenn) gerät beim Joggen in eine Polizeiüberprüfung. MITTE: Damian und seine Freundin Mia (Lena Klenke) beim Tanzabend im Verbindungshaus. UNTEN: Damian hat alle Fenster seines Fensters im Verbindungshaus mit Auszügen aus juristischer Literatur abgeklebt. Aus Zeichen wird Gewissheit.

Psychostudie, von Thomas Prenn mitreißend gespielt
Mit der Zeit wird das Bild von Damian klarer: Er hört Stimmen, halluziniert, fühlt sich verfolgt. Etwas seltsam, dass seine Freundin Mia geradezu ahnungslos scheint, aber bei ihr reißt sich der junge Mann noch am ehesten zusammen. Außerdem gibt es einen Vertrauten im Haus der Verbindung, einen von Enno Trebs gespielten namenlosen Freund, den Damian offenbar als Ratgeber akzeptiert. Von seinem Vater fühlt er sich dagegen ungeliebt und unverstanden. Statt die elterliche Gastwirtschaft zu übernehmen, will er es seinen Eltern mit einem erfolgreichen Jurastudium zeigen. Wie intensiv und mitreißend Thomas Prenn das fortschreitende Durchdrehen dieses gestressten Studenten verkörpert, ist allein schon sehenswert. Man leidet mit diesem schlaksigen, sensiblen, überforderten jungen Mann, hofft auf den guten Einfluss seiner Freundin und seines Freundes, aber immer öfter reagiert Damian gereizt und aggressiv. Nach einer guten Stunde schärft sich dann der Blick auf den psychotischen jungen Mann dank einer starken, unerwarteten Wendung.

Stalking und ein sexuell verklemmtes Würstchen
Das Stalking-Motiv verbindet die verschiedenen, scheinbar zusammenhanglosen Handlungsstränge. Hier der paranoide Damian, der sich immer wieder von einem älteren, ihn stumm anstarrenden Mann belästigt fühlt. Dort der Doppelmord, der Weber an einen ungeklärten Fall vor 33 Jahren erinnert. Damals war eine junge Frau erschossen worden, die dem neuen Opfer verblüffend ähnelte. Ihr Freund gab an, sie sei von einem Mann gestalkt worden. In den Fokus der Kommissare gerät außerdem der Bauarbeiter Peter Trelkovsky, weil sich seine Fingerabdrücke in dem gestohlenen und in Tatort-Nähe abgestellten Auto nachweisen lassen. Trelkovsky ist mal wegen Exhibitionismus aufgefallen und wird hier von Johann von Bülow gekonnt als sexuell verklemmtes Würstchen vorgeführt. Trelkovsky steht darauf, Frauen-Unterwäsche zu tragen, gibt sich nach außen hin aber als kerniger Super-Stecher. Sein Alibi zur Tatzeit: Der wöchentliche Sex mit Inge (Mareile Blendl), einer Prostituierten, die ihre Freier daheim im Reihenhaus empfängt, während ihr Mann draußen im Auto wartet („zur Sicherheit“), Sportzeitungen liest und Butterbrote kaut. Der Schwarzwald in „Damian“ ist abgründig und bisweilen auch komisch.

Tatort – DamianFoto: SWR / Benoit Linder
Die große Müdigkeit liegt über diesem Schwarzwald-„Tatort“, vor allem die Kommissare Franziska Tobler (Eva Löbau) und Luka Weber (Carlo Ljubek) sind völlig übermüdet, machen aber eine gute Figur.

Nora Waldstätten als Karikatur einer spießerhaften Karrieristin
Wobei man über den Humor streiten kann. Wie sich die Inszenierung an den Fotos von Trelkovsky in Frauen-Unterwäsche ergötzt, ist schon etwas plump. Man sollte es nicht übertreiben mit der politischen Korrektheit, aber in Zeiten, in denen die Existenz vielfältigerer Geschlechter-Bilder langsam ins gesellschaftliche Bewusstsein dringt, hätte es eine Nummer kleiner auch getan. Als zweiter komischer Sidekick in dieser Folge fungiert Nora Waldstätten als Meike Richter von der sogenannten Polizeilichen Beratergruppe. Richter soll die Arbeit des von Cornelia Harms (Steffi Kühnert) geleiteten Teams begutachten, wird von Waldstätten aber wie eine streberhafte, neunmalkluge Anfängerin mit stets gezücktem Block gespielt und ist eher die Karikatur einer spießerhaften Karrieristin, immer top gestylt, aber mit regem Interesse an den Trelkovsky-Fotos. Auch das trägt Züge eines etwas altväterlichen Humors.

An der eigenen Wahrnehmung zu zweifeln, gehört zum Spiel dazu
Dafür klingen viele Dialoge frisch und nicht abgestanden, nicht wie aus dem üblichen Krimi-Baukasten. Und auch die üppige Auswahl an Schlager- und Popsongs dient nicht einfach als emotionale Soße, die sinnfrei über die Handlung gegossen wird. Mal treiben Schlager aus dem Radio Damian zur Weißglut, mal tanzt er liebestaumelnd mit seiner Freundin bei einer Party im Verbindungshaus. Und was singt der Chor aus Jugendlichen, während Damian und Mia in parallel geschnittenen Szenen gemeinsam auf dem Fahrrad glücklich scheinen? „Pictures of You“ von The Cure, und der Songtext passt gut zu dieser tatsächlich in der Dunkelheit verlorenen Figur Damian und zu einem Film, der von Bildern, wahren und eingebildeten, handelt. Der verblüffende finale Clou setzt dem Ganzen die Krone auf, und möglicherweise wird sich mancher Zuschauer wundern oder gar ärgern, weil er/sie denkt, dass ihm/ihr da die ganze Zeit über ein schöner Bären aufgebunden wurde. Aber an der eigenen Wahrnehmung zu zweifeln, gehört zum raffinierten Spiel dazu. (Text-Stand: 4.12.2018)

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Reihe

SWR

Mit Thomas Prenn, Eva Löbau, Carlo Ljubek, Nora Waldstätten, Steffi Kühnert, Johann von Bülow, Lena Klenke, Enno Trebs, André Jung, Mareile Blendle, Tom Keune, Frederik Bott

Kamera: Andreas Schäfauer

Szenenbild: Marcel Beranek

Kostüm: Tina Keimel-Sorge

Schnitt: Sabine Garscha

Musik: Johannes Lehniger, Sebastian Damerius

Redaktion: Katharina Dufner

Produktionsfirma: Südwestrundfunk

Produktion: Dieter Streck

Drehbuch: Lars Hubrich, Stefan Schaller

Regie: Stefan Schaller

Quote: 6,27 Mio. Zuschauer (18,4% MA); Wh. (2021): 4,76 Mio. (17% MA)

EA: 23.12.2018 20:15 Uhr | ARD

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