Wer 2011 Zarah Leander hört, wer mit dem Dorfpolizisten Spielchen treibt, wer Hunde vergiftet, Rattenfallen auslegt, in die sich putzige Karnickel verlaufen, und wer mit dem Feldstecher seinem Objekt des Begehrens nachsteigt – mit dem kann etwas nicht stimmen. Dabei ist doch jene Charlotte Delius eine wichtige Stütze der Dorfgemeinschaft, eine Tierärztin, die im Zweifelsfall nicht einmal Geld nimmt für ihre Arbeit. Doch in ihrem Inneren hat sich eine tief greifende soziale Störung eingenistet. Ohne Skrupel führt sie einen Mord durch, der beinahe ein perfekter geworden wäre. Sie räumt die neue Partnerin des krankhaft begehrten Nachbarn aus dem Weg – Elektroschocker, Spritze, schließlich nimmt sie die Hände zu Hilfe und erstickt die junge Frau. Danach geht der Alltag weiter. Freundlich kümmert sie sich um den Nachbarn. Borowski verdächtigt den Polizisten, der als jähzornig verschrien ist. Als er seine Dienstmarke abgeben muss, bestätigt er sein Image als Testosteronbombe.
Autor Sascha Arango („Blond – Eva Blond“) führt in „Borowski und die Frau am Fenster“ den Täter offen, er zeigt den Tathergang und er ermöglicht dem Zuschauer von Beginn an, der Psychologie der Mörderin nachspüren. Borowski tritt erst nach 15 Minuten in Erscheinung. Zunächst muss er seinem liebesleidenden Chef Beistand leisten. Der nimmt sich frei und quartiert sich bei ihm ein. Der Kommissar tappt derweil im Dunkeln, blamiert sich gleich beim ersten Zufallstreffen mit der neuen Kollegin, die sich als Hacker-As erweist. Borowski ist beeindruckt. Fragt sich nur, was sie sich wohl denkt, als ihr in Borowskis Wohnung Kripo-Chef Schladitz die Tür öffnet – mit Putzlappen in der Hand, in Unterhose und Schürze. „Old School“- und „New School“-Polizeiarbeit scheinen sich bestens zu ergänzen. Auch dank Axel Milberg und Sibel Kekilli! Das Alt-jung-Prinzip springt förmlich vom Papier in die Bilder des Films. Borowskis aus einem gereiften Lebensrhythmus geborene, fragende, abwartende Gesichtsausdrücke werden wunderbar „erfüllt“ vom selbstbewussten Lächeln Sarah Brandts, welcher die Methoden des erfahrenen Kollegen ein bisschen zu langsam sind.
„Borowski und die Frau am Fenster“ ist ein vorzüglicher „Tatort“, der getragen wird von der am Detail orientierten Spannung auf den Gang der Handlung. Der Film lebt von irrwitzigen Szenen, von kleinsten Irritationen, Regisseur Stephan Wagner spricht vom „Schachspiel des Erzählens“. Bereits die Eingangssequenz unterläuft die Erwartungen und nimmt im Sekundentakt neue Wendungen. Auch das bereits erwähnte erste Zusammentreffen von Borowski und Brandt ist eine kleine komödiantisch aufgelöste Miniatur. Jede Szene ist bemerkenswert. Und auch die Moralapostel bekommen etwas zum Aufregen: eine in der Mikrowelle zerplatzte Zecke oder ein verendetes Pferd. Der Film ist dicht und von hoher Intensität. Die Psyche der Täterin ist in ihrem Verlangen nach menschlicher Nähe nachvollziehbar, ihr Handeln aber reißt einen in einen umso tieferen Abgrund. Diese Frau ist nicht „verrückt“, diese Frau ist krank. „Borowski und die Frau am Fenster“ besitzt etwas Beunruhigendes, sorgt aber mit Witz und Faible für Absurdes immer wieder für entlastende Kontrapunkte. Wagner: „Wir versuchen, aus der Härte des Sozialdramas herauszufinden und harte Geschichten so zu erzählen, dass der Zuschauer nicht abgeschreckt wird.“