Dieser „Tatort“ wird polarisieren. Das ist zwar für sich genommen kein Qualitätsmerkmal, verspricht aber Diskussionsstoff; und das ist in jedem Fall interessanter als ein Sonntagskrimi, an den sich schon am Montag kaum noch jemand erinnert. Die beiden maßgeblichen Verantwortlichen sind zudem mehrfache Grimme-Preisträger: Sowohl Sascha Arango, der bislang fast ein Viertel der Drehbücher für den „Tatort“ aus Kiel geschrieben hat, wie auch Andreas Kleinert, der hier zum dritten Mal eine „Borowski“-Vorlage von Arango umsetzt, stehen für besondere Qualität. Der Regisseur, 2022 für seine in Schwarzweiß gehaltene Verbeugung vor Thomas Brasch („Lieber Thomas“) mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet, bewegt sich ohnehin gern außerhalb der Krimikonventionen.
Foto: NDR / Thorsten Jander
Zumindest mit dem Auftakt bleiben Buch und Regie dem klassischen Schema treu, denn „Borowski und der Wiedergänger“ beginnt mit einem Todesfall: Eine Frau wacht auf, als eine Scheibe zersplittert. Sie greift nach dem erstbesten Gegenstand, lauert dem Einbrecher auf und schlägt wie von Sinnen auf ihn ein. Anschließend fliegt die Kamera durch eine Art Tunnel oder Röhre. Auf ähnliche Weise wird in Science-Fiction-Filmen eine Wurmlochreise durch Raum und Zeit illustriert, und in gewisser Weise stimmt das auch. Der Flug endet in einem Schuppen, das Bild friert ein und wird zu einem Schwarzweißfoto, das an der Wand hängt: Greta Exner (Cordelia Wege) fotografiert „Lost Places“, Orte, die genauso verloren sind, wie sich für sie vermutlich ihr Leben anfühlt. Gegen Ende wiederholen Kleinert und Kameramann Johann Feindt, der auch für die Bildgestaltung bei „Lieber Thomas“ verantwortlich war, diese ungemein eindrucksvolle optische Idee, diesmal allerdings in umgekehrter Richtung.
Auf den vielversprechenden Auftakt folgt ein abrupter Stimmungswechsel: Im Haus von Familie Exner gibt es Grund zum Feiern, denn Greta ist zur Unternehmerin des Jahres gekürt worden; die Trophäe entpuppt sich als der zur Waffe gewordene Gegenstand aus dem Prolog. Ihre Firma stellt Medizinroboter her, aber das ist für die Handlung nicht weiter wichtig. Selbst der milliardenschwere Erfolg des börsennotierten Betriebs ist zweitrangig, denn Arango und Kleinert sind erst einmal bemüht, alle möglichen Klischees über die Welt der Reichen zu bedienen. Die Familienmitglieder sind in ihrer Überzeichnung zum Teil geradezu grotesk, allen voran Gretas parasitärer promiskuitiver Gatte (Pétur Óskar) und ihre Übermutter (Karin Neuhäuser). Dass die theatererfahrenen Mitwirkenden wie auf einer Bühne agieren, passt zwar ins Bild, weil sich die Figuren allesamt selbst inszenieren, hat aber ähnlich wie allzu dick aufgetragenes Make-up keinen satirischen, sondern gerade in der Nahaufnahme einen kontraproduktiven Effekt; erst recht, wenn sie dann auch noch laut werden.
Foto: NDR / Thorsten Jander
Wer keine Lust hat, seinen Sonntagabend mit dieser unsympathischen Mischpoke zu verbringen, zumal Klaus Borowski und Kollegin Mila Sahin (Axel Milberg, Almila Bagriacik) ziemlich lange auf sich warten lassen, verpasst allerdings einen Krimi, der sich zum raffinierten Katz-und-Maus-Spiel entwickelt. Dieser Teil der Geschichte beginnt mit einer Vermisstenmeldung. Zuvor zeigt der Film Tobias Exner beim Chat-Austausch mit einer Schönheit namens „Kitty13“, der er von seiner Sehnsucht nach Freiheit erzählt. Als die Polizei den Chat-Verlauf später rekonstruiert, lesen sich die Mitteilungen wie ein Komplott zum Mord an Greta, zumal Toby mit Hilfe einer Schaufensterpuppe offenbar schon mal geübt hat, die Gattin verschwinden zu lassen. Vermisst wird jedoch nicht sie, sondern er. Außerdem ist völlig klar, dass Kitty kein Interesse an der Umsetzung des Plans haben konnte: Hinter dem Pseudonym verbirgt sich niemand anderes als Greta, wie der Film noch während des Chats offenbart, was wiederum zu der Frage führt, warum Arango dieses Geheimnis so früh verrät. Möglicherweise hat er gedacht, dass ihm das Publikum ohnehin auf die Schliche kommen würde, aber die Preisgabe hat vor allem Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Borowski und Greta, denn was der Hauptkommissar ahnt oder weiß, lässt der Film offen.
Natürlich ist das ein typisches Krimikonstrukt, zumal Kleinert keinen Hehl aus der Inszeniertheit macht. Schon während der Preisfeier endet eine erotische Tanzeinlage von Toby und Greta mit einem Illusionsbruch, als beide direkt in die Kamera schauen. Eher unnötig sind zudem einige Schwarzweißeinschübe mit den Befragungsaussagen verschiedener unbeteiligter Nebenfiguren, die inhaltlich rein gar nichts beizutragen haben und auch darstellerisch nicht überzeugen; sie blicken ebenfalls in die Kamera. Ungleich verblüffender ist dagegen der Einfall, den Krimi nach gut einer Stunde mit dem typischen „Tatort“-Abspann scheinbar im Nichts enden zu lassen: gewagt, aber gekonnt. Es folgt der clever eingefädelte und mit ein wenig „Gaslighting“ gewürzte letzte Akt, auf den sich auch der Titel bezieht. Sehenswert ist „Borowski und der Wiedergänger“ zudem wie stets nicht zuletzt wegen Axel Milberg und Almila Bagriacik, zumal Borowski und Sahin einen gänzlich unterschiedlichen Umgang mit den Exners pflegen: Er ist offenbar angetan von Greta, sie reagiert auf die Arroganz der Familie mit Ironie. Ungewöhnlich ist auch die Musik (Daniel Michael Kaiser), die mit zarten Glockenschlägen immer wieder dezente Ausrufezeichen setzt. Borowski („Toby or not to be“) tut das auch mal, allerdings gänzlich undezent, als er wie ein Revolvermann mit großer Befriedigung eine aufdringliche Pressedrohne abknallt. (Text-Stand: 12.2.2024)
Foto: NDR / Olga Samuels