„Tatort“ mit sozialkritischem Anspruch & Zombie-Genre-Anleihen
Die Richtung gibt schon der erste Song vor, der im Film angespielt wird. Kommissar Falke fährt mit dem Auto durchs dunkle Hamburg, und aus dem Radio ertönt „Zombie“ von den Cranberries. Der Hit von 1994 bezieht sich auf den Nordirland-Konflikt, die Untoten waren eine Metapher für die immer wieder kehrende Gewalt im Bürgerkrieg. In der „Tatort“-Folge „Böser Boden“ dagegen geht es um eine Art Umweltkrieg: In einer Kleinstadt in Niedersachsen sorgt die Gas-Gewinnung durch Fracking für Proteste. Die Menschen haben Hautausschläge, sind blass wie Leichen und buchstäblich bissig. Buch und Regie verknüpfen einen typischen „Tatort“ mit sozialkritischem Anspruch und das Zombie-Filmgenre – eine originelle Idee, aber der TV-Krimi-Realismus und die Horror-Fantasy-Zitate kommen sich in dieser sonderbaren Mischung eher gegenseitig in die Quere. So konsequent, wie der Hessische Rundfunk seine experimentellen „Tatorte“ umsetzt, geht es hier ohnehin nicht zu. Muss ja auch nicht sein. „The Walking Dead“ in Norddeutschland, das wäre jedenfalls arg übertrieben.
Foto: NDR / Christine Schroeder
Die Autoren wollen vom „Fanatismus der rechten Grünen“ erzählen
Zu Beginn gibt es, ganz klassisch, eine Leiche: Arash Naderi (Hadi Khanjanpour), ein erst vor kurzem eingewanderter Iraner, hat als Lkw-Fahrer bei dem Energiekonzern gearbeitet, der irgendwo im ländlichen Niedersachsen Fracking betreibt. Naderi wird nachts in der Nähe der Anlage mehrfach geschlagen, dann erstickt. Naderis Neffe Younes (Zoran Pingel) zeigt Falke (Möhring) und seiner Kollegin Julia Grosz (Weisz) ein Handy-Video, in dem sein Onkel von einem Aktivisten körperlich bedrängt wird. Jan Kielsperg (Rainer Furch), der „Häuptling von diesen Öko-Nazis“ (Younes), hat selbst einen Bio-Hof, ruft zum Widerstand gegen den Konzern auf und schlägt auch mal auf einen Landwirt ein, der sein Feld an den Konzern verpachtet. Mit dem Klischee, ökologisch bewusste Menschen könnten keine fremdenfeindliche Tendenzen haben oder seien sanft und gewaltfrei, bricht das Buch von Georg Lippert & Marvin Kren gründlich. „Diese Gruppe der rechten Grünen hat nach unseren Recherchen großen Zulauf. Wir wollten im ,Tatort‘ erzählen, wohin ihr Fanatismus führen kann“, sagt der Zombie-erfahrene Kren („Rammbock“). Jenseits der erwartbaren Klischees, aber auch etwas unentschlossen ist die Figur der mit den Aktivisten sympathisierende Polizistin Lenja Schultze (Kerstin Starke) angelegt. Christian Hockenbrink wiederum spielt den Experten vom Bergamt als bissige Männer-Karikatur, laut, aufdringlich, peinlich komisch.
Foto: NDR / Christine Schroeder
Das Gift in Boden und Wasser – und in den Köpfen
Den Umweltskandal gibt es natürlich auch. Lecks in den Rohrleitungen, illegal entsorgte Giftstoffe, die bei der Gasgewinnung in großer Tiefe anfallen. Das Thema erfordert die üblichen Dialoge und Ansprachen über die Technologie und ihre Gefahren. Auch was den unübersichtlichen Fall betrifft, müssen die Kommissare dem Publikum schon mal erklärend auf die Sprünge helfen. Naderi war, wie sich herausstellt, dem Skandal auf der Spur. Seine Handlungsweise erscheint nur schwer nachvollziehbar, aber einem Toten kann man im Drehbuch bekanntlich alles Mögliche nachsagen, wenn es denn der Geschichte dient. Unglaubwürdig ist außerdem die Prämisse, dass sich trotz der offenkundigen gesundheitlichen Schäden niemand nachdrücklich um Ursachenforschung bemüht haben will. Aber das ist eben der notwendige Bruch mit dem Realismus, den eine solche Genre-Spielerei erfordert. Interessant und nachdenkenswert ist jedenfalls die Botschaft. Im Film bleibt offen, was stärker und gefährlicher ist: das Gift in Boden und Wasser oder das Gift in den Köpfen – die Angst und der Hass. „Letztlich sind im Film mehrere Lesarten möglich. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Vergiftungen der Dorfbewohner auf einen Nocebo-Effekt zurückzuführen sind, auf eine krankmachende Angst vor Gefahren“, so Co-Autor Lippert.
Foto: NDR / Christine Schroeder
Stumme, aggressive Kinder und ein schweigender Mob
Die Anleihen bei den Zombie-Filmen haben in der Inszenierung von Sabine Bernardi durchaus ihren Reiz. Schon die Maske setzt mit den bleichen, wund gescheuerten Gesichtern unübersehbare Signale. Die Felder, der See und der Wald wirken ebenso grau und wie tot. Im Wald haust ein in Lumpen gehüllter, offenbar irre gewordener „Waldschrat“ (Falke), der in rohe Fische beißt, röchelt, krächzt und mit einem Gewehr herumfuchtelt – auch das eine Karikatur, mit Vollgas gespielt von Axel Neumann. Unheimlicher sind eher die stumme Aggressivität der Kinder und das seltsame Verhalten der Menschen bei der Versammlung in Kielspergs Scheune. Wie ferngesteuert verwandeln sich später auch die einzelnen Kunden im Supermarkt in einen Mob, der, einer Ansammlung von Zombies gleich, langsam und schweigend auf die Familie von Naderis Bruder Hamed (Sahin Eryilmaz) vorrückt. Ein starkes Bild, das man auch als Kommentar auf das aktuelle Zeitgeschehen deuten könnte. Im Finale wird es dann noch enger, voller und klaustrophobischer, aber letztendlich doch nicht so zupackend inszeniert, dass man den Spuk glauben möchte.
Kommissar Falke muss sich seiner Vater-Rolle stellen
„Die Leute sind befallen“, sagt Julia Grosz irgendwann, während Falke als etwas gröberer Charakter die Wesensveränderung der Menschen mit flapsigen Sprüchen abtut: „Die sehen alle so aus, als ob sie dasselbe Handtuch benutzen.“ „Böser Boden“ ist erst der zweite NDR-Film mit dem Ermittler-Duo, beide sind sich noch etwas fremd und geraten auch gleich in eine erste Krise. Falke lässt Grosz im Stich, als er spontan nach Hamburg fährt, weil sein inzwischen groß gewordener Sohn Torben (Levin Liam) in Schwierigkeiten ist. Der einsame Polizist muss sich wie aus dem Nichts seiner Vater-Rolle stellen – eine Krimi-typische Wendung um 180 Grad, die sich jedoch einigermaßen harmonisch in den Film einfügt, weil sie nicht in den Vordergrund drängt. Außerdem dürfen sich Freunde des deutschen Indie-Rock auf einen Club-Auftritt von AnnenMayKantereit mit „Oft gefragt“ freuen. Während Falke schon mal aus der Haut fährt, gibt Franziska Weisz die Julia Grosz als eine kluge, sehr kontrolliert und reserviert wirkende Frau. Vielleicht wird man mit der unnahbaren Figur nicht so schnell warm, dafür bietet sie einen interessanten Kontrast zum „Straßenbullen“ Falke. Dass sie früher bei einem Einsatz in Afghanistan Schreckliches erleben musste, wird hier nicht einmal angedeutet. Gut so, denn der Film ist ohnehin schon übermäßig vollgepackt mit Figuren, Verwicklungen – und Beinahe-Zombies. (Text-Stand: 30.10.2017)