Plötzlich hat man ihn richtig gern. Wie im Leben: Was etwas wirklich wert war, merkt man erst, wenn’s nicht mehr da ist. Nun weilt Ernst Bienzle, Leiter der Mordkommission Stuttgart, zwar durchaus noch unter uns, doch jedem der wenigen noch ausstehenden Filme wohnt bereits ein Abschied inne. Dietz-Werner Steck sorgt mit seiner kernigen Art allerdings dafür, dass weder Wehmut noch Amtsmüdigkeit seinen aktuellen Auftritt durchwehen. Mehr noch: Im rüstigen Opa-Alter sieht sich der kinderlose Kommissar mit einem liebenswerten Klotz am Bein konfrontiert, der ihn erst in sein Herz schließt und dann kurzerhand als Vaterersatz adoptiert. Und das kommt so: In der Stuttgarter Markthalle wird ein traumatisierter junger Mann mit einem Messer in der Hand neben der Leiche seines Vaters gefunden. Geza (Arndt Schwering-Sohnrey) ist seit einem Koma in Kindertagen zurückgeblieben und hat seinen Vater abgöttisch geliebt; er kommt als Täter kaum in Frage, selbst wenn er sich beharrlich die Schuld gibt. Eher schon der einzige Angestellte des Gemüsehändlers, denn der ist scharf auf einen eigenen Stand; oder der Leiter der Markthalle, denn der war jahrelang mit der Freundin des Toten liiert und sieht sich immer noch als den Richtigen an ihrer Seite.
Viel interessanter als die konventionelle Suche nach dem Mörder ist jedoch das zweite Gesicht dieses „Tatorts“. Die Routine offenbart sogar deutliche Schwachstellen: Wie zufällig stoßen die Kriminaltechniker im Keller der Markthalle auf einen geradezu genial versteckten Safe, und auch das nächste belastende Indiz fällt quasi vom Himmel. In Action-Filmen wie „Mission: Impossible“ mag derlei angehen, weil man ohnehin keine Zeit zum Nachdenken hat; beim derart überschaubaren Tempo eines „Tatort“-Krimis, noch dazu aus Stuttgart, hat man viel Muße, sich über die Eingebungen der Ermittler so seine Gedanken zu machen.
Zum Glück ist da ja noch die Kehrseite der Geschichte, und die ist von ganz anderem Kaliber: Weil der nunmehr verwaiste junge Mann auf Anhieb Zutrauen zu Bienzle fasst und ihm nicht mehr von der Seite weicht, hat der Kommissar nun ein Problem; Freundin Hannelore (Rita Russek) ist jedenfalls nicht sonderlich begeistert, als aus der trauten Zweisamkeit plötzlich ein flotter Dreier wird, zumal sich Geza als Künstler entpuppt und auch Hannelores Bilder verschönert. In diesen Szenen darf der barsche Bienzle endlich mal andere Saiten erklingen lassen, und fast hat man das Gefühl, Steck habe nur auf diese Gelegenheit gewartet. Schwering-Sohnrey spielt den Behinderten nicht minder fabelhaft und knüpft damit nahtlos an seine Leistung in dem Pro-Sieben-Film „Familie und andere Glücksfälle“ (2001) an; damals spielte er eine ganz ähnliche Figur. Die Auflösung ist schließlich einigermaßen überraschend, aber eigentlich auch wieder nicht. Dass Huby zwischendurch noch die geraubten tschechischen Kronjuwelen ins Spiel bringt, ist ein reines Ablenkungsmanöver, wenn auch bei Weitem nicht so plump wie die Eigenwerbung des SWR für eine seiner Radiowellen; eigentlich schade, dass man dem Sender in diesem Fall keine Schleichwerbung anhängen kann.