Er ist der Denker unter den „Tatort“-Kommissaren. Ruhig geht er seine Fälle an, nur wenn ihn sein Herzblatt hängen lässt, zeigt er gelegentlich Anflüge von Jähzorn. Bienzle, der Schwabe mit dem Trenchcoat, Alter Ego von seinem Erfinder Felix Huby – ein Genussmensch mit Hirn. In seinem achten Fall nun hat er es kriminalistisch nicht nur mit ganz harten Jungs zu tun, sondern er und sein Darsteller Dietz-Werner Steck müssen sich auch bewähren in einem für SDR-Verhältnisse ungewöhnlich Action-reichen „Tatort“ aus dem Boxer-Milieu.
„Bienzle und der Champion“ erzählt vom Boxer Peter Michalke (Ben Becker), der seiner großen Zeit nachtrauert und seit einem Ringunfall Probleme mit seinem Gedächtnis hat. So kann er sich auch nicht mehr erinnern, wer da in einer kalten Winternacht mit einer Leiche hantiert. Der Ermordete jedenfalls ist ein Bankmanager, der bei seinen Auslandsgeschäften offenbar einen Schritt zu weit gegangen ist. Bald gibt es einen zweiten Toten. Weil der Michalkes Erzfeind war, gerät dieser unter Mordverdacht. Doch Bienzle glaubt nicht an die Schuld des zunehmend melancholischer werdenden Boxers. Vielmehr hat er einen Großinvestor (Arthur Brauss) & einen Boxpromoter (Claude-Oliver Rudolph) auf dem Kieker.
Kritische Einwände zu Machart und Message (Text-Stand: 1998)
Die kleinen physischen Explosionen in geschlossenen Räumen vermittelten durchaus etwas von der gereizten Stimmung zwischen den Boxern, doch in Kombination mit einem auch in ruhigen Szenen ungemein fahrigen Erzählstil und einem nervtötenden Soundtrack-Gedröhne wirkte vieles dann letztendlich doch nur manieriert. Lasst uns Macho spielen – oder: wer hat die coolste Sonnenbrille?! Das war die Devise eines Männer-Krimis, der zwischen archaischem Kampfsport und phallischer Hightech-Architektur seine recht dünne Geschichte um falsche Männerfreundschaften und eiskaltes Geschäftsgebaren im Sport und anderswo entwickelte. Ich bin der Größte – und ich hab‘ den Größten… Dass sich Becker und Michalczewski nackt unter der Dusche trafen, war da nur folgerichtig.
Neben Action und den gelegentlichen Schlag-Stakkatos von Bienzles Haudrauf-Helden sind das Besondere an diesem „Tatort“ aus dem Ländle die Köpfe: Martin Semmelrogge („Die Straßen von Berlin“) grinst sich buchstäblich mal wieder zu Tode. Claude-Oliver Rudolph („Der König von St. Pauli“) darf ungewohnt stoisch den Box-Paten mimen, diabolisch, aber gerecht. Arthur Brauss spielt den Hightec-Schurken im Nadelstreif. Und Hauptdarsteller Ben Becker, der nach „Comedian Harmonists“ Star-Status genießt, darf seinem gebeutelten Prügelknaben noch die meisten Nuancen ins sonst ziemlich eindeutige Spiel legen.
Die größte Aufmerksamkeit im Vorfeld aber wurde einem echten Champion zuteil: Dariusz Michalczewski, Boxweltmeister im Halbschwergewicht, konnte vom SDR für eine kleine Rolle gewonnen werden. Nackt unter der Dusche erzählt er sich mit Beckers Michalke Witzchen über Mike Tyson und Michael Jackson. Sein Kommentar: „Wollte mindestens halb so gut spielen, wie Ben Becker boxt.“ Das ist ihm freilich nicht gelungen. Dafür lässt Becker einfach zu professionell die Fäuste krachen. Vom De-Niro-Ehrgeiz gepackt, speckte er fast 10 Pfund ab und nahm monatelang Boxtraining bei Profi-Coach Erwin Sahm.
Bei soviel Physis geraten Bienzles graue Zellen etwas ins Hintertreffen. „Ich denke, dass dieser Krimi nicht so gemütlich ist, wie wir es von schwäbischen ‚Tatorten‘ gewohnt sind, dass er milieusicher ist und dass er ein bisschen mehr Action hat als früher“, sagt denn auch Regisseur Dieter Schlotterbeck. Für einen wie Rudolph allerdings hätte es ruhig noch mehr zur Sache gehen können: „Beim Buch von Felix Huby ist manches doch etwas altbacken.“