Tatort – Beweisaufnahme

Volker Brandt, Praetorius, Schroeder, Lichtenfeld, Keglevic. Populärkulturfundus

Foto: RBB
Foto Tilmann P. Gangloff

Anders als die Berliner „Tatort“-Kommissare aus den Siebzigern, die nach maximal drei Fällen schon wieder ihren Hut nehmen mussten, hatte Volker Brandt als Kommissar Walther ab 1981 fünf Jahre Zeit, um Spuren zu hinterlassen. Das Buch zum ersten Fall, dem Krimi mit dem Titel „Beweisaufnahme“, stammt immerhin von Krimi-Ikone Herbert Lichtenfeld, Regie führte Peter Keglevic. Die Geschichte über zwei Studenten, die ihre Hilfsbereitschaft bitter bezahlen müssen, ist interessant, aber ansonsten bleibt der SFB seiner Linie treu: Die Krimispannung hält sich in Grenzen, das Augenmerk liegt auf der Entwicklung der Figuren.

Der Film beginnt mit Bildern des Kommissars, der zu den Klängen des Randy-Newman-Lieds „Pretty Boy“ auf einem Sportplatz seine Runden dreht; der Song wird auch am Ende zu Beginn des Abspanns wieder erklingen ist offenkundig auf den Ermittler gemünzt. Walther hat, wie sich später zeigt, eine Schusswunde an der Schulter und versucht, wieder fit zu werden. Woher die Verletzung stammt, wird nicht erläutert.

Mit der Krimihandlung hat der Auftakt ohnehin nichts zu tun: Hauptfiguren sind die Studenten Hannes (Friedrich-Karl Praetorius) und Klaus (Jochen Schroeder). Zunächst zeigt der Film jedoch, wie ein junger Mann eine junge Frau bedrängt. Beim Hundespaziergang hören die beiden Freunde ihre Hilferufe. Geschickt verschweigt das Drehbuch, was dann passiert. Als der Kommissar und sein Mitarbeiter Hassert (Ulrich Faulhaber), der auch schon Walthers beiden Vorgängern gedient hatte, am Ort des Geschehens eintreffen, ist der junge Mann übel zugerichtet; die Frau scheint unter Schock zu stehen. Die Studenten könnten sich feiern lassen, doch es kommt völlig anders: Der junge Mann, Gunnar (Manfred Lindlbauer), behauptet, die Frau und er seien sich einvernehmlich näher gekommen, als plötzlich die beiden Studenten aufgetaucht seien und grundlos auf ihn eingeprügelt hätten. Die Frau (Mareike Carrière) bestätigt seine Aussage. Hannes und Klaus finden zwar heraus, dass sie plötzlich um 5.000 Mark reicher ist, aber dennoch kommt es zum Prozess; die beiden werden zu vier Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Sie beschließen, Gunnar zu observieren, und tatsächlich beobachten sie, wie er erneut eine junge Frau begrapscht. Diesmal wollen sie zunächst nicht einschreiten, dann tun sie es doch. Erneut gibt es eine Handlungslücke; kurz drauf findet Gunnars Vater, Erich Melz (Dieter Thomas Heck), die Leiche seines Sohnes.

Tatort – BeweisaufnahmeFoto: RBB
Noch agieren die SFB-„Tatort“-Kommissare mehr am Rande. Volker Brandt und Ulrich Faulhaber in „Beweisaufnahme“ (1981)

Autor Herbert Lichtenfeld gehörte damals schon zu den Größten seines Fachs; er hatte unter anderem zehn Jahre zuvor gemeinsam mit dem Regisseur Wolfgang Petersen den enorm geschätzten „Tatort“-Kommissar Finke (Klaus Schwarzkopf) entwickelt; von ihm sind auch sämtliche Bücher der ZDF-Serie „Die Schwarzwaldklinik“. Regie bei „Beweisaufnahme“ führte Peter Keglevic; der spätere Grimme-Preisträger („Der Tanz mit dem Teufel – Die Entführung des Richard Oetker“, 2000) stand 1981 noch ganz am Anfang seiner Karriere. Sein erster größerer Erfolg war der Actionkrimi „Der Bulle und das Mädchen“ (1985), seine besten Filme der nächsten Jahre zwei Dramen mit Christoph Waltz: „Tag der Abrechnung – Der Amokläufer von Euskirchen“ (1994) & „Du bist nicht allein – Die Roy Black Story“ (96).

„Beweisaufnahme“ ist jedoch eher ein klassischer SFB-„Tatort“ als ein typischer Keglevic-Film, denn der Sender bleibt auch in diesem Krimi seiner Linie treu: Die Krimispannung hält sich in Grenzen, das Augenmerk der Geschichte liegt auf der Entwicklung der Figuren. Kommissar Walther hat zwar eine größere Präsenz als die meisten seiner Vorgänger, doch der Ermittler spielt auch diesmal nicht die Hauptrolle, zumal es zunächst ohnehin nicht viel zu ermitteln gibt. Anders als die Kollegen hat er immerhin ein Privatleben; allerdings macht ihm seine hübsche Freundin (Inge Blau) regelmäßig Vorwürfe, dass er nach Feierabend ständig kleine Mörder und kleine Polizisten im Kopf habe. Trotzdem kann sich Walther beruflich kaum profilieren, obwohl Susannes Aussage offenkundig gekauft ist; eine Disharmonie, die auch die Musik des Fassbinder-Komponisten Peer Raben schmerzhaft verdeutlicht. Wie aussichtslos die Lage von Hannes und Klaus ist, zeigt Keglevic mit einer kafkaesken Montagesequenz, die die Verhandlung zusammenfasst. Das Gutachten des mit Melz senior befreundeten Psychiaters Pechelt (Edgar Ott), der Gunnar von jeder Aggressivität freispricht, den Studenten jedoch asoziale Brutalität attestiert, bricht ihnen endgültig das Genick. Lichtenfeld lässt Pechelt seine Gefälligkeit jedoch büßen: Das zweite Mädchen, dem Gunnar nachstellt, ist seine Tochter. Sehenswert ist „Beweisaufnahme“ nicht zuletzt wegen der Darsteller. Friedrich-Karl Praetorius und Jochen Schroeder sind zwar mitunter etwas zu laut, aber gerade Bühnenstar Praetorius verleiht dem Zyniker Hannes viel Format. Schroeder, zwei Jahre zuvor gemeinsam mit Richy Müller durch den Dreiteiler „Die große Flatter“ bekannt geworden, gehörte später als Volker Brandt zum festen Ensemble der „Schwarzwaldklinik“. Brandt wiederum ist vor allem akustisch ein Star: Seit 1974, als das ZDF die US-Serie „Die Straßen von San Francisco“ ausstrahlte, ist er die deutsche Stimme von Michael Douglas.

Tatort – BeweisaufnahmeFoto: RBB
Schon allein deshalb lohnt sich ein Blick auf diesen „Tatort“-Oldie: Die Besetzung weckt nostalgische Gefühle. Jochen Schroeder („Die große Flatter“), Friedrich-Karl Praetorius („Liebling Kreuzberg“) & Dieter Thomas Heck („ZDF-Hitparade“ / „Millionenspiel“)

Während Mareike Carrière und Leslie Malton (als Gunnars Opfer) noch dabei waren, erste Erfahrungen zu sammeln, war Dieter Thomas Heck längst etabliert; allerdings als Moderator der „ZDF-Hitparade“ (1969 bis 1984). Er hatte aber schon 1970 in „Das Millionenspiel“ bewiesen, dass er in den richtigen Rollen ein ausgezeichneter Schauspieler ist. Die ungewöhnlichste Besetzung ist aber Magdalena Montezuma als Ehefrau von Melz. Die 1984 im Alter von erst 41 Jahren verstorbene Darstellerin war in den Siebzigern dank diverser verstörender Avantgarde-Produktionen von Werner Schroeter und Rosa von Praunheim zum Star einer filmischen Gegenkultur avanciert und stand später auch für Rainer Werner Fassbinder vor der Kamera. Ihre eigenwillige Spiel- und Sprechweise ließen Mitwirkungen in gängigen Fernsehproduktionen kaum zu. Als Gunnars Mutter ist ihre Besetzung jedoch schlüssig: Die Dominanz der affektierten Frau deutet zumindest an, warum das Muttersöhnchen ein gestörtes Verhältnis zum weiblichen Geschlecht hat.

Viel Freude an dem Film dürfte auch Ausstatter Götz Heymann gehabt haben: Hannes und seine Freundin leben in einer riesigen loftähnlichen Wohnung, die sich vermutlich in einem leerstehenden Gewerbegebäude befindet: Ein Zimmer ist in strahlendem Weiß gehalten und enthält nichts anders als ein Klavier, ein anderes besteht aus einer Südseeszenerie inklusive Insel mit Palme und stilisiertem Meer. Sympathisch ist auch die Idee, dass Hannes ein großer Fan von Robert Redford und dem Film „Der elektrische Reiter“ (1979) ist; auch er läuft irgendwann mit einer Jacke voller Glühbirnen herum. (Text-Stand: 9.7.2017)

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Mit Volker Brandt, Ulrich Faulhaber, Friedrich Karl Praetorius, Jochen Schroeder, Dieter Thomas Heck, Magdalena Montezuma, Manfred Lindlbauer, Johanna Sophia, Edgar Ott, Anita Kupsch, Leslie Malton, Mareike Carrière

Kamera: Gérard Vandenberg

Szenenbild: Götz Heymann

Schnitt: Barbara Herrmann

Musik: Peer Raben

Soundtrack: Randy Newman („Pretty Boy“)

Produktionsfirma: SFB

Drehbuch: Herbert Lichtenfeld

Regie: Peter Keglevic

EA: 08.03.1981 20:15 Uhr | ARD

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