Zwischen dem Debüt des neuen Leipziger „Tatort“-Duos und dem zweiten Fall lagen nur sechs Wochen. Das ist begrüßenswert, hat aber auch einen Nachteil: weil die Unterschiede im Entwurf der Hauptfiguren auf diese Weise fast unangenehm deutlich zu Tage treten. War Keppler (Wuttke) im ersten Film „Todesstrafe“ noch ein beinahe autistischer, mindestens aber grob unhöflicher Kommissar, der nur das Nötigste sagte und das auch nicht jedem, so tritt der Analytiker diesmal fast geschwätzig auf. Das ist schade, weil Keppler mit seinem soziopathischen Verhalten unter den vielen TV-Ermittlern ein echtes Original war. Als aufrechter Streiter für Moral aber ähnelt er nun auffällig dem Kölner Kollegen Ballauf.
Allerdings haben die entsprechenden Temperamentsausbrüche einen guten Grund. Autor Andreas Pflüger erweitert die gemeinsame Vergangenheit von Keppler und Eva Saalfeld (Thomalla) um ein Detail, das für ihren zweiten Fall von großer Bedeutung ist: Als eine junge Mutter erschlagen wird, macht sich das ungleiche Duo fieberhaft auf die Suche nach dem verschwundenen Baby. Saalfeld gehen die Ermittlungen sichtlich nahe: Die Ehe des einstigen Paares ist am Verlust ihres eigenen Kindes gescheitert. Verdächtigen droht die aufgewühlte Kommissarin an, persönlich dafür zu sorgen, dass sie in der Hölle landen. Und damit man auch versteht, wie tief der Schmerz noch sitzt, muss sie im Keller einen alten Koffer mit Babykleidung rauskramen und sich mit einem Kuscheltier weinend in die Ecke hocken.
Abgesehen von solchen mit kräftigem Ausrufezeichen versehenen Momenten ist auch der zweite Film der neuen Leipziger Zeitrechnung sehenswert, weil Hajo Gies („Schimanski“) seinen vielen guten „Tatort“-Krimis einen weiteren hinzufügt: In der Inszenierung findet sich exakt jene Lakonie, die im ersten Film den Reiz Kepplers ausmachte. Mit einfachen Mitteln sorgt Gies in den entsprechenden Szenen zudem immer wieder für unverhofften Humor.
Außerdem ist Pflügers Geschichte meisterhaft undurchsichtig: Die Polizei tappt zunächst komplett im Dunkeln, setzt mehrfach auf völlig falsche Fährten und findet immer wieder bloß die halbe Wahrheit raus. Die Tote scheint mit gleich mehreren Männern ein Verhältnis gehabt zu haben. Alle kommen als Vater wie auch als Mörder in Frage, erst recht der eigene Gatte (Hinnerk Schönemann), dem sie offenbar davon gelaufen ist. Aber auch ihr letzter Arbeitgeber (Oliver Stokowski) und seine Frau (Inka Friedrich) benehmen sich reichlich merkwürdig. Wie reizvoll Pflüger seinen Krimi konstruiert hat, zeigt sich nach rund zwei Dritteln, als der Fall eine völlig andere Wendung nimmt und eigentlich gelöst ist. Bloß der Mord ist noch nicht aufgeklärt; und dann wird eine zweite Frau von einer Brücke gestoßen. (Text-Stand: 2008)