Andrea Sawatzki und Jörg Schüttauf haben ihren Abschied vom „Tatort“ erklärt. Mit der Chemie soll es nicht mehr zum Besten gestanden haben zwischen den beiden eigenwilligen Charakterköpfen, wird gemunkelt. So erklären sich denn auch im Nachhinein die Filme, in denen ihre beiden Kommissare solo ermittel(te)n. „Allmählich wird’s Routine“, so Sawatzki. Ihre Charlotte Sänger ist die seelisch fragilste deutsche TV-Ermittlerin. Ein Ausbund an Ängsten. Nach zehn erfolgreichen Jahren reichte es Sawatzki mit dieser Psycho-Rolle.
Die HR-„Tatorte“ gehören zu den Lieblingen der Fernsehkritik. Aber auch bei den Einschaltquoten rangieren die Krimis aus Frankfurt ganz oben. Und das, obwohl sich viele der Filme neben den ausgetretenen Pfaden der klassischen Whodunit-Krimis ihren Weg zum Zuschauer suchen. Ein Hauptmerkmal der Hessen-„Tatorte“ ist die durchgängige psychologische Grundierung der weiblichen Kommissarin. Sie scheint mitunter noch immer traumatisiert zu sein vom Mord an ihren Eltern aus dem dritten Fall „Das Böse“. Ausgerechnet der Schauspieler, der damals Charlotte Sängers Eltern mit Übermensch-Attitüde in Niki Steins Film meucheln musste und dafür den Deutschen Fernsehpreis bekam, wird neuer HR-Kommissar: Ulrich Tukur steht derzeit zum ersten Mal als Murot vor der Kamera.
Für den Zuschauer wird es noch drei Filme mit dem hessischen Ermittler-Duo geben. Der erste, „Architektur eines Todes“, unterstreicht noch einmal die besonderen Qualitäten des Frankfurter „Tatorts“. Es beginnt gleich ungewohnt. Keine Leiche in den ersten Minuten. Eine junge Frau ist verschwunden. Sie ist die rechte Hand einer Frankfurter Star-Architektin. Die Kommissare fühlen sich nicht zuständig. Doch Staatsanwalt Scheer möchte gern, dass seine besten Leute diesen Fall von „Vermissung“ übernehmen. Und so tauchen Dellwo und Sänger ein in ein ihnen fremdes Milieu, landen bei Frauenstammtischen, arbeiten als Erotik-Lockvogel und legen noch manch andere ungewohnte Nachtschicht ein. Dabei werfen sie einen Blick hinter die wohl gestylte Fassade eines Architekturbüros. Doch auf potenzielle Entführer stoßen sie nicht. Ein Kokain-Swinger scheint die Vermisste zu lieben & ihr größter Konkurrent ist ein unsicheres Würstchen. Zunehmend seltsam verhält sich indes die renommierte Architektin, die offenbar unsterblich verliebt ist in ihre junge, hübsche Assistentin.
Wie Architektur und Ästhetik ist auch ein guter Krimi oft eine Frage von Wahrnehmung und Perspektive. Mit diesen Möglichkeiten des Genres geht „Architektur eines Todes“ äußerst einfallsreich um. Häufig sieht man in dem Film von Titus Selge Menschen, die etwas beobachten. Anfangs ist es die Architektin, die ihrer Geliebten bei einem geplatzen Date zuschaut. Später begibt sich Dellwo auf nächtliche Observierungstour. Auch der Zuschauer beobachtet, blickt auf ein Geschehen, bei dem er mehr weiß als die Kommissare. So erwartet man beispielsweise ein Date zwischen Sänger und Koks-Boy Charly. Davor sieht man ihn, wie er sich „heiß“ macht. Und man sah kurz zuvor, wie wenig Alkohol die Kommissarin doch verträgt. Die Fantasie also ist angeregt – doch dann kommt alles ganz anders.
Judith Angerbauer, die sich mit dem Drehbuch zu dem Vergewaltigungsdrama „Der freie Wille“ einen Namen gemacht hat als Drehbuchautorin komplexer Dramen, erweist sich als kluge Architektin einer vielschichtigen Dramaturgie. Die gut getimte Mischung aus jenen Szenen, in denen der Zuschauer mehr weiß, und Bildern, auf die er sich keinen Reim machen kann, sind das Konstruktionsgerüst dieses sehr gut gebauten und atmosphärisch stilsicheren Films, der seinen Charakteren dennoch genügend Spielraum lässt. Neben Sawatzki, die extrem blässlich durch den Film geistert, und Schüttauf, der mit Led Zeppelin im Ohr umso kraftvoller auf Lonesome Rider machen darf, ist es vor allem Nina Petri, deren gespielte Gratwanderung zwischen Erfolgsspur und Eifersucht zu den emotionalen Höhepunkten des Films gehört. Und am Ende haben wieder mal alle den Blues. (Text-Stand: 6.9.2009)