Welche Kommissarin hat schon Glück in der Liebe? Charlotte Lindholm gehört nicht dazu. Ihre Fans wissen das und ahnen Böses von Anfang an. Alle anderen warnt Regisseur Detlev Buck per Vorspann und ambitionierten Zeitsprüngen vor. Seinen ersten „Tatort“ hat Buck nicht in Lindholms Stammrevier Göttingen, sondern in Hamburg inszeniert. Charlotte Lindholm reist zu einem Blind Date im Hotel Atlantic an. Endlich mal was Schönes, im Rollkoffer ein neues Kleid, trés chic. Doch das Rendezvous mit Mr. Unbekannt geht nach hinten los. Im abgedunkelten Hotelzimmer liegt ein erstochener Mann unterm Laken, Lindholm gerät prompt in Mordverdacht. Ein verlässlicher Partner ist nicht in Sicht. Stattdessen sieht sich die Verdächtige von schrägen Kollegen, misstrauischem Hotelpersonal und einer illustren Schar von Udo-Lindenberg-Doubles umgeben. Das ergibt lustige Gruppenbilder, die nicht darüber hinwegtäuschen: Frau Kommissarin ist in eine Falle getappt. Um sie herum wird mit gezinkten Karten gespielt. Der Zuschauer wird Zeuge, wenn die in Hamburg ermittelnde Kollegin ein Beweisstück verschwinden lässt. Auf sich allein gestellt, geht Lindholm auf Spurensuche, erkundet den Kiez und streift durch die dunklen Gassen des Schanzenviertels. Ihre Nachforschungen laufen konträr zu den offiziellen Ermittlungen des Hamburger Teams, aber zunehmend intim an der Seite des in der Hansestadt neu angedockten Kommissars Ruben Delfgau (Jens Harzer). Gemeinsam kommen Lindholm und Delfgau einer unheilvollen Allianz auf die Spur: Eine Frau, die den Tod ihrer Schwester rächen will und ein Mann, der Lindholm für das größte Unglück seines Lebens verantwortlich macht, hätten sich nie begegnen dürfen. Die wilde Geschichte hinter „Tatort – Alles kommt zurück“ hat sich Uli Brée ausgedacht.
Foto: NDR / Fritzi Kurkhaus
Sieben Wien-„Tatorte“, die satirische Serie „Vorstadtfrauen“ und jüngst das Buch zur Komödie „Faltenfrei“ mit Adele Neuhauser legen nah, dass der Autor von Krimi und Komik was versteht. Diesmal aber versuppt seine Story, weil er sich wie alle Beteiligten ganz und gar auf gesetzte Größen und Schauwerte verlässt. Brée selbst spricht im Presseheft zu „Tatort – Alles kommt zurück“ vom „Kult-Krimiformat“ und der „Legende Udo Lindenberg“. Kleiner geht in diesem Fall gar nichts. Gekonnt stellt Detlev Buck (laut Presseheft „Kult-Regisseur“) Attraktionen aus, die sich leider nicht zum Ganzen fügen. Wie elegant Buck inszenieren kann, zeigen bereits die ersten Kameraschwenks, in deren Zentrum Charlotte Lindholm zu klassischer Musik die Hotel-Lobby betritt. Genießen könnte man das auch ohne hundert falsche Udos drumherum. Zumal die – wie der echte – rein gar nichts mit dem Fall am Hut haben. So versammeln sich falsche Udos, irre Figuren und „Legenden“ als hätte da jemand aufgezählt, was in Hamburg zu kriegen ist und vorgeschlagen, da jetzt mal was ganz Verrücktes draus zu zaubern. Wie das Kaninchen aus dem Hut kommen cineastisch anmutende Verweise on top (die Zwillinge aus „Shining“, Trugbilder, die an „Es“ erinnern), die ebenfalls nicht in der Story verankert sind. Wenig davon ist wirklich witzig, vieles wirkt eher gewollt. Die Szenen mit dem echten Udo Lindenberg wirken wie Gastspiele aus dem Jenseits. Anne Ratte-Polle gibt die Ermittler-Furie Jana Zimmermann, die Lindholm am Ende nichts anhaben kann, Ausnahme-Mime Jens Harzer den trinkenden Grübler, der sich in sie verliebt. Detlev Buck und Nadeshda Brennicke residieren als abgedrehtes Ludenpaar in Eppendorf, der echte Udo residiert in seiner Hotelsuite, klimpert am Klavier oder erscheint der träumenden Kommissarin als allwissender Schutzengel auf dem Hoteldach.
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Auch wenn dieser „Tatort“ nicht von der Spannung lebt: Achtung, Spoiler-Alarm!
Bei all diesen ausgestellten Skurrilitäten möchte man sich die Augen reiben. Gleichzeitig will man sie nicht schließen, weil Ausstattung, Licht und Kamera tolle Bilder einfangen. Im April 2021 hatte das Produktionsteam die Chance, im pandemiebedingt leeren Atlantic zu drehen. Als eingespieltes Gespann haben Buck und Szenenbildner Agi Dawaachu gemeinsam mit der preisgekrönten Kamerafrau Bella Halben („Hierankl“, „Das Herz ist ein dunkler Wald“) diese Chance genutzt. Lange Hotelflure, ausladende Treppenaufgänge, elegante Interieurs, Architektur und Ausstattung des Nobelhotels sind per se was fürs Auge. Auch rund um den Kiez fand man dankbare Locations. Unbemalte Fassaden (die gibt es dort auch) wurden mit zusätzlichen Graffitis auf Subkultur getunt. In diesem dunkel funkelnden Milieu bewegt sich die drogensüchtige Kim (Céline Yildirim), die durch die sexuellen Vorlieben des aktuellen Mordopfers Roy Schöne ihre Schwester verlor. Der Fall wurde als Drogentod zu den Akten gelegt, dafür bekamen die bestechliche Kommissarin Jana Zimmermann und ihr „Mann“, Pathologin Kastorp (Neda Rahmanian), von Hafencity-Investor Schöne ein schickes Appartement mit Blick auf die Elbphilharmonie (noch so ein Schauwert, der in jedem Hamburg-Krimi auftauchen muss) geschenkt. Ihren Partner in Crime fand die kranke Rachegöttin Kim in Jonas Holdt (Lukas Zumbrock). Der junge Mann, der im Verlauf einer früheren Lindholm-Ermittlung seine Eltern verlor, klinkte sich in Kims mörderische Pläne ein, um seinerseits Rache an Lindholm zu üben. Wer jetzt endgültig nicht mehr mitkommt, erinnert sich vielleicht an „Tatort – Der Fall Holdt“. Der 25. Lindholm-Krimi lief erstmals im November 2017. Die durch eine persönliche Verletzung angezählte Kommissarin verdächtigte darin zu Unrecht Jonas Holdts Vater (Aljoscha Stadelmann). Der nahm sich in der Zelle das Leben und Lindholm wurde nach Göttingen strafversetzt. „Tatort – Der Fall Holdt“ nach dem Buch von Jan Braren gilt als einer der besten Filme der Reihe.
Foto: NDR / Fritzi Kurkhaus
Nun also der finale Tanz zwischen Lindholm und Holdt Junior. Im Ballsaal des Atlantic liefern sich die beiden am Ende ein Pas de deux zu Beethovens vierter Sinfonie. John Neumeier hat das bestimmt nicht choreografiert. Dafür spielen die Berliner Philharmoniker unter Dirigent Wilhelm Furtwängler. Den Großonkel von Maria Furtwängler nannte man in den Fünfzigern noch nicht Kultdirigent, sondern Titan. Passt auch. Abgesehen von allen Superlativen, die dieser „Tatort“ ins Rennen schickt: Es gibt ein Publikum für Mordermittlungen à la „Der Fall Holdt“ und es gibt Fans selbstreferentieller Feierstunden. Vielleicht ist Letzteres für den Sendetermin am zweiten Weihnachtsfeiertag sogar genau das Richtige. Im neuen Jahr aber dann bitte wieder mehr klug gestrickte Geschichten und weniger „Gaststars“, in die, so scheint es, besonders der NDR verliebt ist. Im nächsten Rostocker Polizeiruf („Keiner von uns“, 9.1. 2022) schlüpft Bela B. Felsenheimer („Die Ärzte“) in die Rolle des mordverdächtigen Rock-Musikers Jo Mennecke. Die Maske orientiert sich an Keith Richards. Zum Glück spricht Bela B. deutlicher als der alte Mann von den Stones. Von Udo Lindenberg ganz zu schweigen…