„Mozart, Wagner, Verdi – des is füa mi oiss desselbe“, brummelt der Münchner Kommissar Leitmayr. Kompagnon Batic, musisch interessiert, nicht erst nachdem er die Aida-Sängerin einer Leibesvisitation unterziehen darf, ist da ganz anderer Meinung. Für Gaudi und Gezänk ist also mal wieder gesorgt beim bayerischen „Tatort“-Duo. „Aida“, ein Film von Klaus Emmerich („Rote Erde“), nach dem Buch von Wolfgang Hesse („Kainsmale“), blickt hinter die Kulissen eines Opernhauses, ohne Anspruch auf wirklichkeitsgetreue Wiedergabe, dafür augenzwinkernd und köstlich überdreht. Mordopfer ist der renommierte Dirigent und Verdi-Liebhaber Hubert Kramitz. „Liebling“ soll er gesagt haben, bevor sein Blut auf die Klaviertasten spritzte. Doch dass ausgerechnet die Sängerin Anita Kaden (zwischen Marlene & Madonna: Angelika Bartsch) zum Rasiermesser gegriffen haben soll, will keiner so recht glauben, am wenigsten der von der Muse geküsste Batic. Aber auch der Herr Intendant (köstlich: Gert Anthoff) schüttelt nur den Kopf, will der Kripo einen kleinen Flötisten – jenseits der Pensionsgrenze – als Mörder einreden. Tja, die Premiere, die Premiere!
Auch sonst erfährt man allerlei Bemerkenswertes über den Zusammenhang von Sänger-Alltag und Eros. „Der Tenor braucht also den inneren Druck, sonst kommt er nicht hoch – stimmlich?“ vergewissert sich Leitmayr, dem dieser ganze Opernquatsch reichlich spanisch vorkommt. „Ich muss es vorher lesen, damit ich weiß, was ich nachher sehe? Toll!“ Selten war das Münchner „Tatort“-Duo so in Fahrt, wurde mit so gewitzten Dialogen wie in „Aida“ versorgt. Noch nie rasten die beiden so viele Meter auf so engem Raum: atemberaubend die Szenen mit der entfesselten Steadycam-Kamera durch die engen, für den Film gebauten (Opernhaus-)Gänge. Und noch nie hatten Miroslav Nemec, der klassisches Klavier studierte, und Udo Wachtveitl mit solch illustren Nebendarstellern zu tun: mit der Sopranistin Reri Grist, der Jazzerin Özay Fecht oder dem Rock-Avantgardisten Irmin Schmidt („Can“).
Das Fundament für „Aida“ legte der Drehbuchautor und langjährige Bavaria-Dramaturg Wolfgang Hesse („Die Kommissarin“). Er selbst ist bühnengeschädigt, hat einige Jahre während seiner Studienzeit als Opernflötist gearbeitet. „Das Milieu blieb im Kopf“, sagt er, diese skurrilen, überspannten Typen, die auch ziemlich gewöhnliche Verhaltensweisen an den Tag legen könnten. „Gerade dieses enorme Gefälle zwischen Biederkeit und Riesengestus hat mich gereizt“, betont der 50jährige, der vor acht Jahren mit an der Konzeption des bayerischen Tatort“-Teams beteiligt war. (Text-Stand: 1.7.1996)
Kritik: „Tatort: Aida“ (ARD, 7.7., 20.15 Uhr) mit Täter-Spoiler
Mutig vom Bayerischen Rundfunk, seinen neuesten „Tatort“ im Opern-Milieu spielen zu lassen, ihn „Aida“ zu nennen und dem Zuschauer gleich zu Beginn, eine zweimintige Gesangseinlage zu Gehör zu bringen. Doch damit nicht genug.
Fast 90 Minuten wurde der Zuschauer eingeschlossen in einem Tollhaus, das sich Oper nennt. Wo überspannte Künstler und ein wunderbar karikierter Intendant beinahe durchdrehen kurz vor der Premiere. Und wo ein gekränkter Sänger, weil er seine Karriere nicht machen darf, zum Doppelmörder wird. Eine schöne Fiktion, dramaturgisch stimmig von Drehbuchautor Wolfgang Hesse entwickelt und von Klaus Emmerich einfallsreich umgesetzt. „Aida“ ist keine Milieu-Studie, dieser „Tatort“ ist ein Krimi mit vergnüglicher Schräglage. Vernehmungen schniefenderweise oder gar unterm Kamillenbad-Handtuch – sowas gibt es viel zu selten im deutschen Fernsehen. Und weil der Film in der Oper spielt (Schnupfen ist die Pest der Bühne), ist das natürlich mehr als ein beliebiger Gag. Köstlich auch die geschliffenen, bisweilen zweideutigen Dialoge. „Wollen Sie nicht rangehen?!“ herrscht die Diva den von der Muse geküssten Batic an, dessen Handy unentwegt bimmelt – und steht Sekunden später mit unbedecktem Oberkörper da.
Die Art, wie Klaus Emmerich diese kurzen Momente inszeniert, unaufdringlich, ohne vulgär zu werden, eher fein ironisch akzentuiert, das ist typisch für seine Regie. Bemerkenswert auch der Einsatz der höchst beweglichen Steadycam-Kamera. Und dass Emmerich Schauspieler führen kann (Angelika Bartsch so gut wie selten), erkennt man in jeder Szene dieses sehr dichten, ungemein vitalen Kammerspiels, einem der bisher besten „Tatorte“ in diesem Jahr. tit.