Tatort – Aida

Wachtveitl, Nemec, Bartsch, Hesse, Emmerich. Schräges Kammerspiel in der Oper

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Foto Rainer Tittelbach

Mutig vom BR, seinen dreizehnten Batic/Leitmayr-„Tatort“ im Opern-Milieu spielen zu lassen, ihn „Aida“ zu nennen und dem Zuschauer gleich zu Beginn, eine zweimintige Gesangseinlage zuzumuten. Man wurde 90 Minuten eingeschlossen in einem Tollhaus, das sich Oper nennt. 1996 war ein solches Szenario durchaus etwas Besonderes. Auch der Einsatz der hochbeweglichen Steadycam-Kamera war im Fernsehen damals nicht üblich. Der Fall indes ist ein typischer Whodunit, wie er im letzten Jahrhundert üblich war. Bei den vielen Schmankerln am Rande ließ man sich das gern gefallen. Wie wirkt das wohl heute?

„Mozart, Wagner, Verdi – des is füa mi oiss desselbe“, brummelt der Münchner Kommissar Leitmayr. Kompagnon Batic, musisch interessiert, nicht erst nachdem er die Aida-Sängerin einer Leibesvisitation unterziehen darf, ist da ganz anderer Meinung. Für Gaudi und Gezänk ist also mal wieder gesorgt beim bayerischen „Tatort“-Duo. „Aida“, ein Film von Klaus Emmerich („Rote Erde“), nach dem Buch von Wolfgang Hesse („Kainsmale“), blickt hinter die Kulissen eines Opernhauses, ohne Anspruch auf wirklichkeitsgetreue Wiedergabe, dafür augenzwinkernd und köstlich überdreht. Mordopfer ist der renommierte Dirigent und Verdi-Liebhaber Hubert Kramitz. „Liebling“ soll er gesagt haben, bevor sein Blut auf die Klaviertasten spritzte. Doch dass ausgerechnet die Sängerin Anita Kaden (zwischen Marlene & Madonna: Angelika Bartsch) zum Rasiermesser gegriffen haben soll, will keiner so recht glauben, am wenigsten der von der Muse geküsste Batic. Aber auch der Herr Intendant (köstlich: Gert Anthoff) schüttelt nur den Kopf, will der Kripo einen kleinen Flötisten – jenseits der Pensionsgrenze – als Mörder einreden. Tja, die Premiere, die Premiere!

Auch sonst erfährt man allerlei Bemerkenswertes über den Zusammenhang von Sänger-Alltag und Eros. „Der Tenor braucht also den inneren Druck, sonst kommt er nicht hoch – stimmlich?“ vergewissert sich Leitmayr, dem dieser ganze Opernquatsch reichlich spanisch vorkommt. „Ich muss es vorher lesen, damit ich weiß, was ich nachher sehe? Toll!“ Selten war das Münchner „Tatort“-Duo so in Fahrt, wurde mit so gewitzten Dialogen wie in „Aida“ versorgt. Noch nie rasten die beiden so viele Meter auf so engem Raum: atemberaubend die Szenen mit der entfesselten Steadycam-Kamera durch die engen, für den Film gebauten (Opernhaus-)Gänge. Und noch nie hatten Miroslav Nemec, der klassisches Klavier studierte, und Udo Wachtveitl mit solch illustren Nebendarstellern zu tun: mit der Sopranistin Reri Grist, der Jazzerin Özay Fecht oder dem Rock-Avantgardisten Irmin Schmidt („Can“).

Das Fundament für „Aida“ legte der Drehbuchautor und langjährige Bavaria-Dramaturg Wolfgang Hesse („Die Kommissarin“). Er selbst ist bühnengeschädigt, hat einige Jahre während seiner Studienzeit als Opernflötist gearbeitet. „Das Milieu blieb im Kopf“, sagt er, diese skurrilen, überspannten Typen, die auch ziemlich gewöhnliche Verhaltensweisen an den Tag legen könnten.  „Gerade dieses enorme Gefälle zwischen Biederkeit und Riesengestus hat mich gereizt“, betont der 50jährige, der vor acht Jahren mit an der Konzeption des bayerischen Tatort“-Teams beteiligt war. (Text-Stand: 1.7.1996)

Tatort – AidaFoto: BR
1996 war der „Tatort – Aida“ eine originelle Whodunit-Variation. Ermittlungen in der Oper mit einem Kommissar, der Mozart, Wagner oder Verdi nicht auseinanderhalten kann. Angelika Bartsch und Felix von Manteuffel

Kritik: „Tatort: Aida“ (ARD, 7.7., 20.15 Uhr) mit Täter-Spoiler

Mutig vom Bayerischen Rundfunk, seinen neuesten „Tatort“ im Opern-Milieu spielen zu lassen, ihn „Aida“ zu nennen und dem Zuschauer gleich zu Beginn, eine zweimintige Gesangseinlage zu Gehör zu bringen. Doch damit nicht genug.
Fast 90 Minuten wurde der Zuschauer eingeschlossen in einem Tollhaus, das sich Oper nennt. Wo überspannte Künstler und ein wunderbar karikierter Intendant beinahe durchdrehen kurz vor der Premiere. Und wo ein gekränkter Sänger, weil er seine Karriere nicht machen darf, zum Doppelmörder wird. Eine schöne Fiktion, dramaturgisch stimmig von Drehbuchautor Wolfgang Hesse entwickelt und von Klaus Emmerich einfallsreich umgesetzt. „Aida“ ist keine Milieu-Studie, dieser „Tatort“ ist ein Krimi mit vergnüglicher Schräglage. Vernehmungen schniefenderweise oder gar unterm Kamillenbad-Handtuch – sowas gibt es viel zu selten im deutschen Fernsehen. Und weil der Film in der Oper spielt (Schnupfen ist die Pest der Bühne), ist das natürlich mehr als ein beliebiger Gag. Köstlich auch die geschliffenen, bisweilen zweideutigen Dialoge. „Wollen Sie nicht rangehen?!“ herrscht die Diva den von der Muse geküssten Batic an, dessen Handy unentwegt bimmelt – und steht Sekunden später mit unbedecktem Oberkörper da.
Die Art, wie Klaus Emmerich diese kurzen Momente inszeniert, unaufdringlich, ohne vulgär zu werden, eher fein ironisch akzentuiert, das ist typisch für seine Regie. Bemerkenswert auch der Einsatz der höchst beweglichen Steadycam-Kamera. Und dass Emmerich Schauspieler führen kann (Angelika Bartsch so gut wie selten), erkennt man in jeder Szene dieses sehr dichten, ungemein vitalen Kammerspiels, einem der bisher besten „Tatorte“ in diesem Jahr.  tit.   

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Reihe

BR

Mit Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, Angelika Bartsch, Carola Regnier, Victor Schefé, Michael Habeck, Gerd Anthoff, Janina Hartwig, Felix von Manteuffel, Fred Stillkrauth

Kamera: Klaus Merkel

Schnitt: Alexandra Kramer, Silvia Lainova-Binder

Musik: Rudi Knabl jun.

Produktionsfirma: Bavaria Fernsehproduktion

Produktion: Veith von Fürstenberg

Drehbuch: Wolfgang Hesse

Regie: Klaus Emmerich

EA: 07.07.1996 20:15 Uhr | ARD

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